: Ein Mann, der sich verhebt
Mit seiner Vertrauensfrage hat der Kanzler den rot-grünen Abgeordneten viel aufgebürdet – nun stellt sich die Frage, wie lang sie ihn noch tragen werden
von PATRIK SCHWARZ
Wie groß die Last genau ist, die die Abgeordneten an diesem Morgen auf dem Weg in den Bundestag zu tragen haben, ist schwer auszumachen. Sind es 12 Kilo oder 15 oder 17? Leicht sehen die meisten Köfferchen jedenfalls nicht aus, die die Politiker aus den Fonds ihrer Dienstlimousinen hieven und die kleine Rampe zum Osteingang des Reichstags hochziehen. Das Wochenende steht an, und für die Heimfahrt in den Wahlkreis gilt es gerüstet zu sein. Vorher wird noch über das Schicksal der rot-grünen Koalition entschieden und einen Kriegseinsatz obendrein. Schwerer als die Kilos im Koffer wiegt darum für viele Abgeordnete die Last auf der Brust.
„Wir waren 15“, erzählt der bayerische Grüne Helmut Wilhelm vor der Bundestagsgarderobe. 15 grüne Abgeordnete wollten gegen eine deutsche Beteiligung am US-Militäreinsatz gegen den Terrorismus stimmen. Jetzt, eine gute Stunde vor der Abstimmung, sind es noch 4. Bleibt es bei der Abstimmung dabei, wäre die Koalition gerettet – vorerst. Keiner von denen, die sich anders entschieden haben, sieht gesund aus an diesem Morgen: geränderte Augen, rote Nasen, gesenkte Blicke.
Antje Vollmer scherzt
„Was mich wirklich ärgert“, versucht Antje Vollmer zu scherzen, „ich habe das Björk-Konzert verpasst.“ Obwohl sie sich schon kurz vorher zum Ja entschlossen hatte, nahm sie am Abend an einer vorletzten Runde der Kriegsskeptiker mit Partei- und Fraktionsführung teil.
So fair die innergrünen Gespräche gewesen sein sollen, so schmerzhaft empfanden die Dissidenten die Not, zwischen Krieg und Koalition entscheiden zu müssen. Allerlei Folterwerkzeug wird genannt, von Daumenschrauben angefangen, wenn Grüne von der Verknüpfung des Afghanistan-Einsatzes mit der Vertrauensfrage sprechen. Der Mann, der ihnen die Entscheidung zumutet, schaut heute selbst etwas verquollen aus. Dafür hat er sich emotionalen und vielleicht auch politischen Beistand mitgebracht. Gerhard Schröder steht direkt hinter dem Eingang zum Plenarsaal. Kurz küsst der Kanzler seine Frau Doris auf den Mund, dann reiht er sich in die Prozession seiner engsten politischen Helfer ein. Vorneweg geht SPD-Generalsekretär Franz Müntefering mit einem Schal, der so rot ist wie seine gute Laune demonstrativ, ihm folgt Kanzleramtsminister Frank Walter Steinmeier, dann kommt Schröder.
Im Saal wird es mehr als drei Stunden lang um erstaunlich vieles gehen, was weder mit Terror noch mit Afghanistan zu tun hat. So wird CDU-Fraktionschef Friedrich Merz sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, der rot-grünen Regierung ein Scheitern in der Wirtschaftspolitik vorzuhalten.
Joschka Fischer wird daraufhin sein angestammtes Fachgebiet verlassen und in einer der freudvoll-polemischsten Reden des Morgens statt über Außenpolitik über Lohnnebenkosten reden. Und über die aktuellen Arbeitslosenzahlen auch gleich noch: „Mit welcher Zahl haben Sie sich denn aus dem Amt verabschiedet?“, fragt er Merz.
Wenn es um den Krieg geht, wird es ernst, aber auch reichlich nüchtern, manchmal sogar erstaunlich unbeteiligt. So oft sind die Argumente für und wider diesen Krieg gebraucht worden, dass die Mehrzahl der Befürworter wie Gegner sie nicht mehr wirklich mit Verve vorträgt. Und ganz so abwegig sind die Abschweifungen in die unterschiedlichsten Domänen der deutschen Politik nicht. Wenn ein Kanzler die Vertrauensfrage stellt, so stellt er schließlich seine gesamte Regierungsbilanz zur Abstimmung. Im Kern aber geht es in der Debatte vom Freitag um das, was die Grüne Steffi Lemke „die Rückgratfrage“ nennen wird. Lemke ist eine der gut zehn grünen Dissidenten, die gerne gegen den Krieg gestimmt hätten und nun dafür stimmen, um Kanzler und Koalition zu retten.
Trotzdem, so paradox geht es zu im parlamentarischen Betrieb, wurde sie von ihren Mitstreitern als die einzige Rednerin benannt, die das Nein begründet. Die Rückgratfrage besteht, simpel gesagt, daraus, wie man diesen Widerspruch aushält. „Wir beantworten eine Machtfrage strategisch“, sagt Lemke. Im Klartext: Krieg schlucken, Kanzler retten. Die Auswirkungen auf das Rückgrat sind noch unbekannt.
Gerhard Schröder bemüht sich sichtlich, das Seine dazu beizutragen, die Haltungsschäden zu begrenzen. Seine eher unspektakuläre Rede war vor allem ein Stützkorsett für den gebeugten grünen Koalitionspartner.
Neben dem inzwischen fast rituellen Lob für Außenminister Fischer präsentierte er die Sicherheitspolitik der Bundesregierung als stetes Streben nach Krisenprävention und Friedenserhaltung. Fischer selbst sekundierte mit Verweis auf die Chancen, die sich aus der Vertreibung der Taliban für das Bundeswehrmandat ergeben würden: „Unsere Hauptaufgabe ist, Hilfe zu sichern.“
Man solle doch nicht so tun, konterte der inoffizielle PDS-Frontmann Gregor Gysi, als dienten die Bombardements der Verwirklichung der Frauenrechte: „Wie viele Länder wollen Sie denn noch bombardieren, bis Sie die überall durchgesetzt haben?“
Für längere staatsrechtliche Dispute im Plenum sorgte die Frage, ob denn die Bundeswehr tatsächlich jederzeit vom Parlament zurückbeordert werden könne, wie die Regierung angibt. Doch die Kernfrage blieb, wie den skeptischen Abgeordneten die Zustimmung zum Krieg erleichtert werden könnte.
„Was ist die richtige Antwort auf Terrorismus?“, fragte die grüne Fraktionschefin Kerstin Müller. Der Kanzler selbst verwendete besondere Mühe auf seine Verteidigung gegen den Vorwurf, die Verknüpfung von Kriegs- und Vertrauensfrage sei unzulässig: „Es geht, kurz gesagt, um die Verlässlichkeit unserer Politik.“
Konflikt aufgezwungen
Wie wenig der Kanzler mit seinen Worten selbst bei seinen eigenen Leuten durchdrang, zeigte die Abstimmung. Angesichts der zahllosen Vorabsprachen war nicht das Ergebnis von 336 Jastimmen (und damit 2 über der notwendigen Mehrheit) überraschend, sondern die Zahl der persönlichen Erklärungen.
15 Sozialdemokraten bekundeten, was stellvertretend der Abgeordnete Rüdiger Veit am Rednerpult erklärte: „Wir hätten mit Nein gestimmt.“ Und überraschend deutlich erklärte er: „Wir standen in einem Konflikt, den wir nicht gewollt haben, sondern der uns in gewisser Weise aufgezwungen wurde.“
Die Auswirkungen spürt die 26-jährige Grüne Grietje Bettin am eigenen Leib. „Mein Magen tut weh, arschweh“, sagt sie.
So endet der Vormittag zwar mit einem Kanzler, der in die Kameras strahlt über die Standing Ovations in seiner Fraktion, der aber nur begrenzt sein Ziel erreicht hat: eine Wiederholung der Mazedonien-Abstimmung zu verhindern. 15 Dissidenten in den eigenen Reihen, 15 bei den Grünen – damit sind die Gegner seiner Militärpolitik nun zahlreicher als zuvor. Und der grüne Parteitag hat noch nicht einmal begonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen