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Krieg um Kabinett und Koalition

Die israelischen Attacken folgen innenpolitischen Notwendigkeiten: Premier Scharon braucht den Krieg, um seine wackelnde Koalition zu retten

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Israels Premierminister Ariel Scharon ist auf eine Fortsetzung der palästinensischen Gewalt angewiesen, wenn er seine Koalition zusammenhalten will. Ohne Terror müsste er mit der Umsetzung des Mitchell-Berichts beginnen, der ihm sehr bald schon einen totalen Baustopp jüdischer Siedlungen abverlangen würde. Politische Verhandlungen mit den Palästinensern scheinen denkbar unmöglich angesichts der tiefen ideologischen Kluft zwischen rechts und links im Kabinett.

Die jüngste Terrorwelle zwingt ihn jedoch zu noch drastischeren Maßnahmen. Auch das ist nicht gut für die Koalition. Nach fast sechsstündiger Regierungssitzung erklärte Scharon – ohne die Unterstützung von Außenminister Schimon Peres und dessen Parteikollegen, die vor der Abstimmung demonstrativ den Regierungssaal verlassen hatten – die Fatah-Organisation Tansim sowie die Präsidentengarde Force 17 zu Terrorgruppen. In Peres’ Augen signalisierte diese Erklärung die israelische Absicht, „ein Ende der palästinensischen Führung herbeizuführen“.

Auch gestern kam es erneut zu Luftangriffen auf eine Polizeistation in Ramallah, unweit der Präsidentenloge, was möglicherweise ein Indiz dafür ist, dass Peres mit seiner Vermutung nicht allzu falsch liegt. Parlamentspräsident Abraham Burg (Arbeitspartei) rief bereits dazu auf, die Koalition zu verlassen. Einzig diese Gefahr ist es, die den Premierminister von schärferen Militäraktionen abhält. Um Scharons Balanceakt perfekt zu machen, drohten unterdesssen auch zwei rechtskonservative Minister mit ihrem Rücktritt, sollte die Regierung ihre Entscheidung verzögern, die „palästinensische Führung als den Terror unterstützend“ zu definieren. Zumindest versprach Scharon, die „operativen Schritte zur Umsetzung der Beschlüsse“ – dazu gehört neben den Luftangriffen und Blockaden auch, Arafat die Ausreise aus der Autonomiezone zu verweigern – einzustellen, „in dem Moment, in dem die palästinensische Führung ihre Verpflichtungen entsprechend der Abkommen einsetzt“.

Scharon versucht – wie auch in seiner „Rede an die Nation“, in der er wiederholt die Bedeutung der Einheit im Volk hervorhob, deutlich wurde – auf innenpolitischer Ebene Zeit und Raum zu gewinnen. Zu dem Druck derjenigen im Kabinett und im Likud, die im Grunde lieber seinen Vorgänger Benjamin Netanjahu als Parteichef sehen würden, und den linken Koalitionspartnern gesellt sich die internationale Stimme, allen voran die USA. Präsident Georg W. Bush hat bislang eine wenig klare Position demonstriert. Mal werden die militärischen Aktionen scharf kritisiert, mal mit Verständnis betrachtet.

Zweifellos kamen Scharon in dieser Hinsicht die jüngsten Terroranschläge, die sich gerade abspielten, als er sich in Washington aufhielt, zugute. Die enge Verbindung zu den USA, wie sie Scharon sich wünscht, spiegelte sich nicht zuletzt auch in seiner Rede wieder, in der er zu Teilen fast im Wortlaut die Rede kopierte, die Bush hielt, um die Nation auf die Angriffe gegen Afghanistan vorzubereiten.

Vergleiche zu Amerikas Krieg gegen den Terror gehören inzwischen stets zu den offiziellen Verlautbarungen Scharons. Die für seinen nächsten Schritt entscheidene Überlegung ist dennoch die innenpolitische Situation. Sollte die Arbeitspartei ihre Drohung wahrmachen und sich aus der Regierung verabschieden, hätte Scharon freie Hand für Maßnahmen auch direkt gegen den Palästinenserführer. Selbst wenn er damit die Machtergreifung der extremistischen Widerstandsgruppen provoziert, so hätte er zumindest einen klaren Gegner vor sich. Und eine Kriegssituation, die als solche auch in den westlichen Staaten wahrgenommen würde. Dies zu verhindern ist die Aufgabe von Peres, der auch aus diesem Grunde den Posten als Außenminister nicht aufgeben wird. „Es tut mir Leid, dass Arafat auch in Zukunft ein Hindernis bleiben wird“, signalisierte Scharon bereits.

So wird sich vermutlich nicht allzu viel ändern. „Das Überraschendste an den Terroranschlägen ist die Überraschung darüber“, meint Dr. Nurit Peled-Alchanan, die vor vier Jahren bei einem Terroranschlag ihre Tochter verlor. Die israelischen Medien berichteten, als sei der Terror von der Realität abgeschnitten, dabei vergingen oft nur Stunden zwischen dem einen und dem anderen Anschlag. Grund für die Gewalt sei, so Peled-Alchanan, die „grausame Besatzung und damit Erniedrigungen, Aushungern, Mord an Kindern, Verhaftungen ohne Prozess“ und mehr. Die Palästinenser hätten von Israel gelernt, „jedes Opfer zigfach zu vergelten“.

Die siebentägige Waffenruhe, die Scharon verlangt, bevor Verhandlungen aufgenommen werden, sollten zunächst die Israelis einhalten. Umgekehrt fordert der deutschstämmige jüdische Siedler aus Kirjat Arba, Eliakim Ha’etzni eine völlig „neue Strategie“, die zuerst die Rücknahme von Scharons Versprechen eines Palästinenserstaates beinhalte. Ferner sollten die Osloer Abkommen für ungültig erklärt und „die Palästinenserführung, die Giftfrucht, zerschlagen werden“. Ha’etzni schlägt „massenhafte Landesverweise“ und eine „zionistische Politik“, die nicht den Palästinenserstaat in „Judäa und Samaria“ (Westjordanland) vorsieht, sondern eine „neue Welle von jüdischen Ortschaften“.

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