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Weißer Rauch am Petersberg

Abkommen für Übergangsregierung in Afghanistan steht. Vereinbarung weltweit begrüßt. Kanzler zu Beteiligung an UN-Truppe bereit. Designierter Regierungschef bei US-Angriff verletzt

BONN dpa/afp/taz ■ Nach acht Tagen zäher Verhandlungen haben die Vertreter Afghanistans am Mittwoch auf dem Petersberg bei Bonn ein Abkommen über die politische Zukunft des Landes unterzeichnet. Als erster Schritt wurde die Einsetzung eines Kabinetts unter der Leitung des königstreuen Paschtunen Hamid Karsai vereinbart. Karsai selbst wurde gestern bei einem US-Angriff leicht verletzt, als eine fehlgeleitete 1.000-Kilo-Bombe einer B-52 bei Kandahar einschlug. Zwei US-Soldaten wurden dabei getötet. Die Afghanistan-Delegierten stimmten auch einer Schutztruppe unter UN-Mandat zu. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) stellte die Beteiligung der Bundeswehr an dem Friedenseinsatz in Aussicht. Weltweit wurde das Abkommen als Erfolg und Meilenstein gewürdigt. Damit ist auch der Weg frei für eine milliardenschwere Aufbauhilfe, über die seit gestern eine internationale Geberkonferenz in Berlin berät.

Die 30-köpfige Regierung soll ihre Arbeit in Afghanistan am 22. Dezember aufnehmen und sechs Monate im Amt bleiben. In dem Vertragswerk wurde auch die Einberufung der Loja Dschirga, einer großen Ratsversammlung, zur Ernennung einer Übergangsregierung für weitere 18 Monate festgeschrieben. In rund zwei Jahren sollen dann erste demokratische Wahlen stattfinden. Das Abkommen erkennt ferner die Rolle des früheren Königs Mohammed Sahir Schah als nationale Identifikationsfigur an. Der Vertreter der Nordallianz, Junis Kanuni, versicherte, er stehe hundertprozentig hinter dem Vertrag. Die Nordallianz stellt im Kabinett mit dem Außen-, dem Innen- und dem Verteidigungsministerium drei Schlüsselressorts. Auch zwei Frauen werden der Regierung angehören.

An der feierlichen Unterzeichnung am Mittwochvormittag nahmen Bundeskanzler Schröder und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) teil. Schröder beglückwünschte die Delegierten und die Vereinten Nationen zu dem Abkommen. „Sie alle haben zu Stande gebracht, was vor kurzem noch niemand für möglich gehalten hätte“, sagte der Kanzler. Die Einigung sei ein „ermutigendes Signal für die Region und die ganze Welt“. Die Bundesregierung stellt für Soforthilfen und den Wiederaufbau in Afghanistan insgesamt 260 Millionen Mark bereit. 100 Millionen sollen noch in diesem Jahr fließen.

Der UN-Sonderbeauftragte Lakhdar Brahimi bezeichnete das Abkommen als Chance, den Konflikt in dem von 22 Jahren Krieg zerrütteten Land zu beenden. Eine Truppe unter UN-Mandat soll zunächst die Sicherheit in Kabul und Umgebung, später eventuell auch in anderen Regionen gewährleisten. Auf eine entsprechende Bitte der UN werde sich die Bundesregierung im Rahmen einer europäischen Lösung einer Truppenbeteiligung „weder verschließen können noch wollen“, betonte Schröder. Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Kerstin Müller, reagierte zurückhaltend auf einen möglichen deutschen Einsatz in Afghanistan. Sollte es dazu kommen, werde sich Deutschland aber „wahrscheinlich schwer verweigern können“. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle sicherte Schröder dagegen die volle Unterstützung seiner Partei für einen Bundeswehreinsatz zu. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer meinte, wer eine solche Konferenz ausrichte, müsse auch Soldaten schicken. Dagegen will die PDS einem Bundeswehreinsatz auf gar keinen Fall zustimmen.

International stieß die Vereinbarung auf ein positives Echo. US-Außenminister Colin Powell begrüßte das Petersberger Abkommen, auch wenn die „richtige Arbeit“ erst beginne. Auch der französische Präsident Jacques Chirac wertete die Vereinbarung als vollen Erfolg. Hilfsorganisationen mahnten eine schnelle Direkthilfe an, um der hungernden afghanischen Bevölkerung über den Winter zu helfen.

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