: Zweitausendundein gute Gründe
Was hat Gregor Gysi mit Billy Idol, Roland Kaiser und den Telefonsex-Ladys gemeinsam? Richtig: diesen Zug an der Oberlippe. Schwieriger zu beantworten ist die Frage: Wer wählt eigentlich PDS? Eine kleine, aber erhellende Umfrage im Bekanntenkreis
von JOCHEN SCHMIDT
Billy Idol, Roland Kaiser, die Frau aus der 0190-Werbung und Gysi, sie alle ziehen auf eigenartige Weise den Mundwinkel hoch. Bei Billy Idol signalisiert das Verachtung. Bei Roland Kaiser, dass jemand, der aus dem Hinterhof kommt und als Gentleman auftritt, immer Angst hat, verarscht zu werden. Bei der Frau aus der Telefonsex-Werbung, dass eine Wildkatze von ihren Trieben übermannt wird. Aber was bedeutet diese Mimik bei Gysi? Ist sie nicht ein Zeichen von Arroganz? Warum stören sich 50 Prozent der ostdeutschen Wähler nicht daran? Und: Wer sind diese Wähler überhaupt?
Wenn man seine Bekannten nach ihrem Wahlverhalten fragt, schlägt man ein noch langweiligeres Thema an als das Wetter. Nur wenn es um die PDS geht, kann es noch ein bisschen spannend werden, weil man begründen muss, dass der Fall bei dieser Partei anders liegt als damals bei der NSDAP, die ja auch klein angefangen hat.
A. studiert seit vielen Semestern Kulturwissenschaften, lebt aber längst von Radio- und Fernsehfeatures. Sie wohnt jetzt nicht mehr in Pankow, sondern in Mitte, hat PDS gewählt, unterscheidet aber zwischen PDS-Politikern, die ihr gefallen, und denen, die immer noch wie Pionierleiter wirken. Ihre Mutter war ein frustriertes SED-Mitglied, hat es aber zur Wendezeit, als alle ihr Parteibuch abgaben, aus Trotz abgelehnt, auch auszutreten. Sie hat das dann später wegen der Stasi-Affäre um André Brie nachgeholt, wählt aber trotzdem noch PDS. P., Germanistikstudent aus einem Dorf in Brandenburg, sagt: „Warum verlangen bei der Partei alle, dass man begründet, warum man sie wählt?“ Trotzdem liegt ihm nicht viel an der PDS, obwohl er sie gewählt hat: „Die die Partei lieben, wollen nicht, dass sie regiert, sondern dass sie noch Zeit hat, um groß rauszukommen.“
D., diplomierter arbeitsloser Soziologe aus Lichtenberg, der sich mit Improvisationstheater über Wasser hält, hat PDS gewählt, „weil sie sich in Haushaltsfragen sicher nicht so verbiegen lassen und am wenigsten an diesem Filz beteiligt sind, der sinnlos Geld verballert“. S., Fotograf aus Hamburg, wohnt im Ostberliner Plattenbau, weil er den Schnitt genial findet. War am Wahltag um fünf noch betrunken, sonst hätte er PDS gewählt. B., Designerin aus Ostberlin, ist von Walter Momper in der U-Bahn angegrinst worden. Sie dachte erst, ihr Hosenstall sei offen, bis sie bemerkt hat, dass sie wie er einen roten Schal trug.
Sie geht inzwischen so weit, es anderen nicht mehr übel zu nehmen, wenn sie PDS wählen, findet es eigentlich auch ganz gut, wenn sie wer wählt, will aber „diese Drecksarbeit nicht selber machen“. Krieg sei kein Argument, denn damals habe die Partei ja von den Lehrern verlangt, für den Krieg der Russen in Afghanistan zu unterschreiben. Dadurch habe sie ihren besten Lehrer verloren. Für sie sind es immer noch die alten. G., freie Journalistin aus Friedrichshain, hat Gomera gewählt, hätte aber sonst PDS gewählt. F., Privatgelehrter aus Ludwigsfelde, ist vor der Wende über Ungarn in den Westen abgehauen und war nicht wählen. Kann weder Gysi, „der überzieht die Presse mit Gegendarstellungen, obwohl doch jeder weiß, dass er Stasispitzel war“, noch die Partei leiden. Fühlt sich von der Zerrissenheit der Grünen in seinen inneren Konflikten am ehesten vertreten.
A., Programmierer aus Ostberlin, hat zu Ostzeiten in einer Mädchenbrigade Gärtner lernen müssen, weil er kein Abitur machen durfte, „meine beiden Geschwister waren schon delegiert worden, drei aus derselben Familie wollten sie nicht schicken“, hält Gysi für einen Blender und wählt grün. A., Lebenskünstler und freier Autor, den im Osten die Stasi vergeblich umworben hat – „Sie treffen doch bestimmt diesen und jenen aus bestimmten Kreisen“ – wohnt im besetzten Haus. Aus seinem Fenster sieht er auf eine Dachrinne herab, in der eine Taube liegt, „die ist bestimmt noch aus der DDR“. Hat PDS gewählt, „die anderen waren mir noch unsympathischer“.
Zwei Sozialarbeiterinnen – „Siehst du doch, Strickpullover“ –,Zuschauerinnen der Chaussee der Enthusiasten, durften im Osten kein Abitur machen, haben trotzdem PDS gewählt „wegen dem Krieg“.
D., junger Mann aus Osnabrück, Fan des dortigen VFL, der die Union-Fans für Nazis hält, weil sie immer „Eisern Union“ rufen, behauptet, dass nur 2,5 Prozent der PDS-Mitglieder früher in der SED waren und hat deshalb keine Bedenken, diese Partei zu wählen. J., freier Autor aus Ostberlin, war froh, sich nicht entscheiden zu müssen, weil er am Wahltag an einem Artikel über die Wahl schreiben musste und deshalb keine Zeit hatte, wählen zu gehen.
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