piwik no script img

Aktenzeichen LKA 513-HW 114

Gerichtsdolmetscher Aly Abdelwahab lebt seit 28 Jahren in Berlin. Das Landeskriminalamt hat gegen ihn ermittelt – wegen eines anonymen Schreibens. Ein normaler Fall in Zeiten der Rasterfahndung

von ULRICH SCHULTE

Der Polizeipräsident in Berlin/Landeskriminalamt 5131 – Geschäftszeichen (bei Antwort bitte angeben): LKA 513-HW 114

Eine Formsache. Ein Brief auf grauem Behördenpapier, dreimal gefaltet und maschinell erstellt, datiert auf den 18. September. Da war es gerade eine Woche her, dass zwei Passagierflugzeuge ins World Trade Center einschlugen und tausende Menschen starben. Millionen schauten ungläubig auf ihre Fernseher, auf die stürzenden Türme und spürten, dass sich etwas verändern würde. Noch bevor es die Politiker sagten, wieder und wieder. Doch erst mit dem Brief sprangen die Ereignisse von den flimmernden Schirmen in den zweiten Stock des Charlottenburger Bürgerhauses, schmutzig-gelb getüncht. Unten neben dem Eingang steht auf einem der blank geputzten Klingelschildchen zwischen „Piepenschneider“, „Holzapfel“ und „Stein“ auch der Name „Abdelwahab“, was orientalisch klingt. Fremd.

„Sehr geehrter Herr Abdelwahab, Sie werden gebeten, in der Angelegenheit kriminalpolizeilicher Ermittlungen schnellstmöglich anzurufen.“

Er brauchte nicht anzurufen. Sie klingelten, den Brief in der Hand. „Das ist schade um Ihre Zeit“, sagte Aly Abdelwahab, 54, Gerichtsdolmetscher, seit 28 Jahren in Berlin und geboren in einem Dorf in Oberägypten, als die beiden Beamten vor der dunkelroten Tür im zweiten Stock standen. „Schade um Ihre und um meine.“ Eine Frau und ein Mann mit Dienstausweis vom Landeskriminalamt 5131, sehr nett, sehr freundlich. „Wir haben einen anonymen Hinweis, dass sie etwas mit den Ereignissen in New York zu tun haben“, sagten sie. Abdelwahab hat gelacht, wie er es während des Redens häufig macht – etwas heiser und immer leise. „Gut, stellen Sie Ihre Fragen“, sagte er. „Nicht hier, Sie müssen mit auf die Wache kommen. Passt es Ihnen heute oder am Freitag?“ „Ich komme heute noch. Aber das ist lächerlich. Wenn einem Nachbarn meine Nase nicht gefällt, dann ruft er Sie an – und Sie kommen?“ „Ja.“

„Im Hinderungsfalle werden Sie unter Angabe des Grundes um Benachrichtigung gebeten. Sollten Sie Ihren Aufenthalt inzwischen verlegen, wird um Mitteilung Ihrer neuen Anschrift gebeten.“

„Du brauchst nicht zu gehen, Aly“, sagte sein Anwalt am Telefon. Abdelwahab schrieb am Computer ein paar Dokumente zu Ende. Dann erinnerte ihn der Gongschlag einer Software an das Pflichtgebet „salât“, welches ihm Allah für den Mittag befiehlt. Nach einer knappen Stunde steckte er seinen Personalausweis ein und fuhr trotzdem. „Das war menschliche Neugierde“, sagt er heute. „Ich wollte wissen, was gegen mich vorliegt. Verstehen Sie das?“ Er parkte seinen Wagen vor dem Kriminalamtsaltbau, Bayernring 42, wo in diesen Tagen vor jeder Schranke ein Beamter steht. Ging durch die Glastür, an der zwei Plakate hängen. Links lädt das Polizeiorchester zum vorweihnachtlichen Konzert, rechts schauen Ramzi Binalshibh und Said Bahaji von riesig vergrößerten Passbildern – verdächtig des mehrtausendfachen Mordes. Abdelwahab ging die Treppe hoch, vorbei an der Polizistin hinter Glas, die nur Befugten Eintritt gewährt. In einem der Zimmer, über die sie hier scherzen „wunderschön eingerichtet, grau in grau“, warteten die beiden Ermittlungsbeamten. Und fragten. Sehr korrekt, sehr freundlich.

„Wir machen zu dem Themenkomplex Rasterfahndung grundsätzlich keine Angaben“, sagt ein Sprecher der Polizei Berlin. „Aus ermittlungstaktischen Gründen.“

Deshalb bleibt es bei Aly Abdelwahab, die Geschichte aus seiner Sicht zu erzählen und aus der Erinnerung. Ob er ein Buch über Ussama Bin Laden geschrieben habe, wollten die Beamten wissen. „Wie kommen Sie darauf?“ „Uns wurde ein anonymer Brief zugeschickt. Haben sie irgendwelche Feinde?“ „Neider habe ich viele – aber Feinde nicht“, sagte Abdelwahad, Besitzer zweier Eigentumswohnungen und Imam, Vorbeter, in der deutschsprachigen Muslimgemeinde Berlins. In dem Brief stand noch mehr. Weitere Hinweise. Ob er vor einer Versammlung dazu aufgefordert habe, den Amerikanern und Juden ihr Verhalten heimzuzahlen? „Das ist absurd“, sagt Abdelwahab und hebt noch Wochen später die Stimme. Ob es stimme, dass ein Anwesender gefragt habe: Wie kann das geschehen? Ob er geantwortet habe: Indem man das Weiße Haus, die Freiheitsstatue oder das World Trade Center angreift? Im Wohnzimmer in Charlottenburg verteidigt sich Abdelwahab noch einmal, immer noch ungläubig: „So etwas hätte ich nie gesagt.“ Pause. „Ich lebe fast dreißig Jahre hier. Das ist nicht meine Art. Absurd.“ Die Beamten zeigten ihm den anonymen Brief der Anklage nicht, hielten ihn halb verdeckt. Dann unterschrieb er das Protokoll und durfte gehen. Noch im Wagen rief Abdelwahab seine Frau an. „Ich bin auf dem Weg, Hosni. Bin gleich wieder zurück.“

„Auch zu Einzelfällen nehmen wir keine Stellung“, so der Polizeisprecher. „Mit den ermittelnden Beamten zu sprechen, ist nicht möglich.“

Hosni Abdelwahab, 54, studierte erst Ökonomie in Kairo, dann Betriebswirtschaft in Berlin, doch als ihr Mann in die Behörde fuhr, siegte Angst über analytisches Denken. „Ich war ein bisschen besorgt“, sagt sie. Hosni Abdelwahab ist eine kleine Frau mit vielen Lachfältchen, etwas rundlich, von ihrem Schneidezahn ist ein Stückchen abgebrochen, und ihr Mann nennt sie leise „die Regierung“, wenn sie aus der Küche in die Sitzecke kommt. Ein bisschen besorgt, sagt sie, weil sie sich im Nachhinein schämt. Doch als ihr Mann in die Behörde fuhr, fing sie an zu beten. Ein Bittgebet, Allah möge ihren Mann beschützen. Dann putzte sie die Wohnung mit den hohen Decken und den mannshohen Topfpalmen, die ganzen drei Stunden lang – saugte vielleicht die persischen Läufer oder staubte die geschliffenen Glasperlen des Kronleuchters ab. „Ich hatte Angst, dass er vielleicht nicht wiederkommt“, sagt sie. „Es ist irgendwie die Sorge, dass der Mann, Vater, das Oberhaupt der Familie . . .“ Sie zieht ihr seidenes Kopftuch am Kinn zusammen, als ob sie fröre. Wiegt den Kopf. „Ich kann das nicht beschreiben.“

Der Datenschutzbeauftragte äußert sich nicht zu Details der Rasterfahndung (siehe Kasten). Derzeit prüfe man das Vorgehen der Polizei, so ein Sprecher.

Die meisten Menschen seien seit dem 11. September bemüht freundlich, sagt Aly Abdelwahab. Sie rücken in der U-Bahn ein wenig, wenn sie seinen schwarzen Bart bemerken, grau an Kinn und Wangen, und seine dunklen Augen. Eine Bekannte aus der Verwaltung dagegen sprach ihn auf dem Betriebsausflug an. „Aly, ich kann nicht verstehen, dass ihr euch tötet. Dass euch dieses Leben so wenig bedeutet.“ Ihr, die Muslime. „Das war schockierend für mich“, sagt Abdelwahab. Noch zu Weihnachten, ein Fest das der Koran nicht kennt, hat er für zwanzig Kollegen gekocht, Gemüsetopf mit Kalbfleisch und Okraschoten. Ob sein Fall wenigstens für das Landeskriminalamt erledigt ist, weiß Abdelwahab nicht. Die Polizisten sagten nicht, wie es weitergeht. Seinen drei Töchtern und dem Sohn hat er später etwas erklärt. Er, der fast drei Jahrzehnte in Deutschland lebt und Berlin seine Heimat nennt. „Ihr braucht nicht zu antworten, wenn euch jemand irgendetwas fragt. Gebt nur die Personalien und den Wohnort an, mehr nicht.“ Diese Feinheiten müssten die Kinder wissen, sagt Aly Abdelwahab. Eine Formsache?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen