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Etwas mehr Gelassenheit

Bürgerrechtler haben mit Sicherheitspolitikern eines gemeinsam: Sie brauchen Horrorszenarien, um ihr Tun zu rechtfertigen. Doch schrille Töne verbrauchen sich

Der Protest gegen Schilys Sicherheitspaket hat ein Gutes. Er stärkt das rechtsstaatliche Denken in dieser Republik, weil er beharrt und erläutert, was den Rechtsstaat ausmacht: Polizeimaßnahmen nur bei Gefahr oder konkretem Verdacht, gerichtliche Kontrolle der Polizei, parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste, Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit.

Zugleich schießen viele Proteste aber über das Ziel hinaus, indem sie so tun, als handele es sich hier um einen Paradigmenwechsel, der den Rechtsstaat im Mark erschüttert. „Grundprinzipien werden geopfert. Die bisherigen Fundamentalgewissheiten sind nicht mehr gewiss“, schreibt etwa Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung.

Das hat man schon öfter gehört, zuletzt bei Einführung des großen Lauschangriffs. Oder, als Anfang der 90er-Jahre der damalige CDU-Innenminister Manfred Kanther zwei vergleichbare Gesetzespakete schnürte: das „Gesetz gegen die Organisierte Kriminalität“ und das „Verbrechensbekämpfungsgesetz“. Oder Ende der 80er-Jahre, als mit einer Reihe von „Sicherheitsgesetzen“ der Datenaustausch zwischen Polizei und Geheimdiensten institutionalisiert wurde. Ein Paradigmenwechsel folgte dem anderen – stets fürchteten die Kritiker aufs Neue, dass dem Rechtsstaat der Todesstoß drohe.

Tatsächlich bauen viele der jetzt vorgesehenen Maßnahmen auf früheren Verschärfungen auf. So konnten Asyldaten bereits bisher an Geheimdienste weitergegeben werden. Das Bundeskriminalamt kann auch heute schon im Vorfeld eines konkreten Verdachts „Sachverhalte“ abklären. Und wegen Demonstrationsdelikten können missliebige Ausländer auch heute schon ohne gerichtliches Strafurteil ausgewiesen werden. Das macht die Erweiterungen durch das Sicherheitspaket nicht besser, aber es relativiert die Rede vom Paradigmenwechsel.

Im Prinzip arbeiten Innenminister und Bürgerrechtler nach dem gleichen Prinzip. Ein Innenminister muss alle paar Jahre die Befugnisse seiner Behörden erweitern, um zu zeigen, dass er mehr für die Sicherheit tut als seine Vorgänger. Und die Bürgerrechtler malen sich neue Horrorszenarien aus, um in der Gesellschaft überhaupt Gehör zu finden. Eine Bestandsaufnahme der bisherigen Maßnahmen unternehmen beide Seiten nicht. Den Innenminister interessiert es wenig, ob das letzte Verschärfungspaket etwas gebracht hat. Und für die Bürgerrechtler ist die Frage zu heikel, warum denn die einst prophezeiten Worst-Case-Szenarien nicht eingetreten sind.

Auch mit dem Sicherheitspaket II wird noch lange kein Überwachungsstaat geschaffen. Denn so viel zusätzliches und qualifiziertes Personal werden Polizei und Geheimdienste gar nicht bekommen, um all die neuen Befugnisse und Aufgaben vernünftig ausschöpfen zu kommen: die Überwachung des Zahlungs- und Reiseverkehrs, die Ausweitung der Sicherheitsüberprüfungen oder die Kontrolle des Islamismus. Vermutlich wird es deshalb bei einigen exemplarischen Aktionen, etwa gegen den Kölner Kalifatstaat, bleiben. Auch sollte man nicht vergessen, dass das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren den Rechtsschutz bei Sicherheitsüberprüfungen sowie gegen Polizeimaßnahmen deutlich verbessert hat.

Nun ist es sicher schwer, aufrüttelnd zu warnen, ohne zu übertreiben. Und auch andere soziale Bewegungen wie die Umwelt- oder Friedensbewegung scheitern regelmäßig an diesem Balanceakt. Dennoch hätte etwas mehr Gelassenheit handfeste Vorteile. Zum einen sollte man die dramatischen Aufrufe für wirklich dramatische Situationen aufsparen, sonst wird im Ernstfall das nötige Gehör nicht mehr zu finden sein. Zum anderen sollte man in der Bevölkerung, auch der systemkritischen oder der nichtdeutschen, keine übertriebene Angst vor Polizei- und Geheimdienstexzessen erzeugen. Denn auch das ist nicht gut für eine selbstbewusste demokratische Gesellschaft.

CHRISTIAN RATH

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