: Im Dickicht des Tarek Mousli
Vor zwei Jahren wurden bei einer großen Sprengstoffrazzia im Mehringhof Ermittlungen gegen angebliche Terroristen publik. Gefunden wurde nichts. Es war der Anfang des RZ-Prozesses
von CHRISTOPH VILLINGER
Wie in einem Pokerspiel sitzen sie sich seit neun Monaten im Moabiter Kriminalgericht gegenüber. Auf der einen Seite die Bundesanwaltschaft (BAW), ihr Kronzeuge Tarek Mousli, 42, und meist Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) als Zeugen der Anklage. Auf der anderen Seite zehn VerteidigerInnen und die fünf Angeklagten. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ).
„Daran kann ich mich nicht mehr erinnern“, das ist eine beliebte Standardantwort der beiden leitenden BKA-Fahnder Klaus Schulzke und Ralf Trede. „Wenn es so in den Akten steht, dann stimmt das auch so“, parieren sie jeden Vorhalt der Verteidiger, die Unterlagen enthielten Widersprüche. Auf keinen Fall wollen sich die Beamten in die Karten schauen lassen, wie sie wirklich agiert, kombiniert und schließlich zugeschlagen haben. Aber auch die Verteidigung ist vorsichtig, erst sollen die Staatsanwälte ihre Karten auf den Tisch legen. Die Angeklagten schweigen, was ihr gutes Recht ist.
Das 1. Kammergericht unter Vorsitz von Gisela Hennig schaut dem Spiel anscheinend gelangweilt zu. Müsste es ihr zum Beispiel nicht auffallen, wie der BKA-Fahnder Schulzke im Gerichtssaal versucht, den debilen Rentner zu spielen, aber – kaum draußen vor dem Gerichtsgebäude – wie ein junger Hirsch durch die Gegend rennt? Bei der nun seit neun Monaten andauernden juristischen Bewältigung einer der größten Polizeiaktionen in der BRD spielt das BKA entgegen seinem gesetzlichen Auftrag zur Wahrheitsfindung nicht mit offenen Karten.
Verdeckte Ermittlungen nach einem Sprengstofffund 1995 stehen am Anfang der Geschichte. Sie wurden erst vor zwei Jahren publik, als das alternative Kulturzentrum Mehringhof in einer groß angelegten Razzia nach dort verstecktem Sprengstoff und Waffen durchsucht wurde – das alles aufgrund der Aussagen des vom hochkarätig „als Rädelsführer der Berliner RZ“ Beschuldigten zum Kronzeugen mutierten Tarek Mousli. Gefunden wurde nichts. Trotzdem wurden drei von Mousli als Mittäter Beschuldigte – der Hausmeister des Mehringhofes Axel Haug, der Politologe Harald Glöde und die Frankfurterin Sabine Eckle – in Untersuchungshaft genommen. Ein weiterer Beschuldigter, Rudolf Schindler, saß zu diesem Zeitpunkt bereits dort. Wenige Monate später verhaftete die Polizei noch den Leiter des Auslandamtes der TU Berlin Matthias Borgmann und strengte ein Auslieferungsverfahren gegen den in Kanada lebenden Lothar Ebke an.
Allen Beschuldigten wirft die Bundesanwaltschaft die Mitgliedschaft in den Berliner RZ, die Beteiligung an Sprengstoffanschlägen sowie an den Knieschussattentaten 1986 auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg und 1987 auf den leitenden Asylrichter Günter Korbmacher vor. Mousli wurde im Dezember 2000 in einem vorgezogenen Prozess bereits zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.
In vielen Details gelang es den Verteidigern bisher, die Geschichte des Kronzeugen Mousli zerbröseln zu lassen. So konnten Silke Studzinsky und Andrea Würdinger nachweisen, dass Harald Glöde an einem Anschlag gar nicht beteiligt gewesen sein konnte. Er saß zum Tatzeitpunkt in Polizeigewahrsam. Auch behauptete Mousli, dass Fluchtfahrzeug im Fall Korbmacher sei gestohlen worden. Tatsächlich wurde es selbst nach Erkenntnissen der Polizei gekauft. Völlig unklar ist weiterhin, ob nicht doch Mousli auf Korbmacher geschossen hat. Dies legt die Aussage von Mouslis ehemaliger Lebensgefährtin Karmen T. nahe. Ihre Aussage hielten die BKA-Fahnder so lange für glaubwürdig, wie sie Mousli damit erpressen konnten. Um den Druck auf ihn zu erhöhen, zerstörte das BKA dem anfangs nicht kooperationswilligen Mousli systematisch die ökonomische Existenz als Karatelehrer. Parallel lockte es ihn mit finanziellen Angeboten in die Rolle des Kronzeugen. Heute wirkt Mousli im Prozess bei oberflächlichem Zuhören recht souverän.
Nach Ansicht des Rechtsanwalts von Sabine Eckle, Johannes Eisenberg, trägt Mousli ein „undurchdringliches Konglomerat von tatsächlich Erlebtem, vielleicht Gehörtem und wahrscheinlich Erdachtem“ vor. Völlig offen bleibt, was Mouslis Geschichten mit „der Wahrheit“ und den angeklagten Personen zu tun haben. Für Rechtsanwältin Undine Weyers, Kollegin von Studzinsky, stellt sich der Prozess inzwischen als „kleines Schmücker-Verfahren“ heraus: „Am Anfang gibt es eine scheinbar runde Geschichte, die aber im Verlauf des Verfahrens zerbröselt, immer mehr andere Details kommen ans Tageslicht, und am Ende sieht die Geschichte ganz anders aus.“
Doch das Gericht bleibt in der Haftfrage hart. Da bei einer Verurteilung mit einer Strafe von mindestens fünf Jahren zu rechnen sei, ist eine Untersuchungshaft von bis zu zweieinhalb Jahren „nicht unverhältnismäßig“, urteilte es vor wenigen Wochen.
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