: Sieger ohne Fortune
Heute wird Klaus Wowereits Senat gewählt: Der Regierende kämpft gegen Gegenwind in der Stadt, Unmut in der eigenen Partei und Risse im eigenen Image. Senatorenwahl gefährdet?
von ROBIN ALEXANDER
Eigentlich müssten das schöne Tage für den Regierenden Bürgermeister sein. Der Koalitionsvertrag ist gebunden und unterschrieben, die Senatoren sind benannt. Dennoch steht Wowereit unter Druck – und das gleich aus mehreren Richtungen.
Bedenken gegen die Koalition mit der PDS regen sich in Berlin spät, aber heftig. Im Wahlkampf artikulierten nur Frank Steffel von der CDU und der Radiosender Hundert,6 die Angst vor einer Machtbeteiligung der Ostpartei: So platt antikommunistisch, dass es Teilen des Westberliner Bürgertums zu peinlich war, in das Geschrei einzustimmen. Erst seit Rot-Rot tatsächlich Gestalt annimmt, melden sich auch andere Skeptiker. Dass im Koalitionsvertrag die Schließung der Westberliner Uniklinik Benjamin Franklin festgeschrieben wurde, mobilisiert die Eliten im Westteil der Stadt zusätzlich gegen PDS und SPD. Selbst Wowereits eigene Partei, die SPD, scheint plötzlich unglücklich mit dem Koalitionspartner. Die Stimmung ist schlecht.
Der Unmut der eigenen Partei speist sich auch aus anderen Quellen. Die Besetzung der Senatorenposten geriet Wowereit zum Desaster. Nachdem tagelang Kandidatinnen aus dem Osten für Finanzen und Justiz öffentlich einen Korb gaben, präsentierte Wowereit schließlich einen männlichen Finanzsenator und eine Pseudo-Ostfrau als Justizsenatorin. Es gehe um „Qualität, nicht Herkunft“, bürstete Wowereit Bedenkenträger auf einer Sitzung von Fraktion und Landesvorstand barsch ab. Die Ostabgeordneten ärgern sich darüber immer noch. Thorsten Hilse, Abgeordneter aus Pankow, erklärt: „Dieses unkluge Argument bedeutet: Im Osten gibt es keine Qualität.“ Die besser organisierten frauenbewegten Genossinnen konnten Wowereit wenigstens einen Minierfolg abtrotzen: Er macht Justizsenatorin Karin Schubert statt Bildungssenator Klaus Böger zu seiner Stellvertreterin. Die Vorsitzende des Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, Mechthild Rawert, stimmte im Landesvorstand trotzdem gegen Wowereits Personal.
Risse im persönlichen Image machen dem fleißigen Zeitungsleser Wowereit schwer zu schaffen, wie seine Umgebung einräumt. Da sind einmal die nicht enden wollenden Klagen über seinen Führungsstil. Zum Nachtreten von Amtsträgern, die ausscheiden, gesellt sich auch Kritik von Anhängern. Wowereit, der sich im Hauptausschuss des Parlaments durch das Zerpflücken von mangelhaften Senatsvorgaben einen Namen gemacht hat, müsse als Regierender Bürgermeister zu einem konstruktiveren Auftreten finden. Die Nachrichten über den schlechten Führungsstil stehen in scharfer Diskrepanz zur bisherigen öffentlichen Wahrnehmung eines außergewöhnlich umgänglichen Politikers. Bewusst hat Wowereit auf ein anderes Auftreten als Eberhard Diepgen gesetzt, der als Langweiler verschrien war. Wowereit geht auf Bälle und Empfänge, zeigt sich mit Prominenten und kokettiert auch noch mit seinem Image als „Partymeister“. Dabei scheint er allerdings überzogen zu haben.
Die Wahl der Senatoren, die heute ansteht, scheint dennoch nicht gefährdet. Zu groß ist die Mehrheit von Rot-Rot (77 Sitze gegenüber 64 der Opposition). Trotzdem kämpfte die SPD-Führung gestern um jede Stimme. Fraktionschef Michael Müller führte den ganzen Tag Gespräche mit Abgeordneten aus dem Osten. Bei Redaktionsschluss hatte sich zumindest Ralf Hillenberg aus Pankow noch nicht entschieden, wie er abstimmt. Die Anzahl der Gegenstimmen wird zum Gradmesser, wie loyal die Fraktion zu ihrem Bürgermeister steht, den in diesen Tagen alle Fortune verlassen zu haben scheint.
kommentar SEITE 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen