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Vom Winde verweht

Über die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Flächen ist geschädigt. Vor allem falsche Anbaumethoden führen dazu, dass die fruchtbare Erdkruste immer dünner wird. Ernährungsforscher fordern ein radikales Umdenken in der Landwirtschaft

Pro Jahr wird 20- bis 40-mal mehr Boden weggespült oder vom Winde verweht als neu gebildet

von CLAUDIA BORCHARD-TUCH

Zurzeit verdoppelt sich die Weltbevölkerung alle vierzig Jahre. Immer schwieriger wird es, die rasch wachsende Menschheit zu ernähren. „Wir müssen dringend Wege finden, um die Nahrungsproduktion zu steigern. Ansonsten wird die Bevölkerung in den Entwicklungsländern nicht mehr satt werden“, erklärte Ian Johnson, Weltbank-Vizepräsident und Vorsitzende der Consultive Group on International Agricultural Research (CGIAR). „Dabei wird es nicht einfach sein, die Wälder zu verschonen und die Artenvielfalt zu erhalten.“

Bereits jetzt ist der Zustand der Natur besorgniserregend. Vor kurzem analysierten Wissenschaftler des International Food Policy Research Institute (FPRI) in Washington – einem der 16 Forschungszentren des CGIAR – gemeinsam mit Kollegen des World Resources Institute Landkarten, Satellitenbilder und Datentabellen. Die Forscher wollten sich einen weltweiten Überblick über die Zustände der Ackerböden verschaffen. Ergebnis: 20 bis 30 Prozent der Waldbestände auf der Erde sind bisher in Ackerland umgewandelt worden. Hierbei starben zahlreiche Tier- und Pflanzenarten aus. Zurzeit verbraucht der Ackerbau 70 Prozent der Frischwasserreserven. An vielen Orten benötigt eine Bewässerung mehr Wasser, als durch Regen wieder aufgefüllt werden kann, so dass die Wasserstände fallen.

Auch ein großer Teil der landwirtschaftlich genutzten Flächen selbst ist geschädigt – weltweit sind es 66 Prozent. Hauptproblem ist die Erosion, die Abtragung des fruchtbaren Mutterbodens durch Wasser und Wind: Sie ist für 84 Prozent der globalen Schäden verantwortlich. Zumeist vor der Aussaat und nach der Ernte ist die nackte Erde Wind und Regen schutzlos ausgeliefert.

Wie kleine Steine prasseln die Regentropfen auf die Erdoberfläche, zerstören diese und schwemmen den Humus mit seinen wertvollen Nährstoffen davon. Eine harte, luft- und wasserundurchlässige Schicht bleibt zurück: Das Regenwasser kann nicht mehr versickern, strömt über die Erdoberfläche und nimmt dabei weitere Bodenteilchen mit sich.

Pro Jahr wird 20- bis 40-mal mehr Boden weggespült oder vom Winde verweht als neu gebildet. Besonders betroffen sind die Entwicklungsländer. Lang anhaltende Trockenzeiten, hohe Temperaturen und starker Regen beschleunigen die Erosion. Werden die geschädigten Böden dann von den Bauern umgepflügt, hält die Erde den Regenfluten nicht mehr stand.

Ein weiteres Problem ist die Versauerung der Böden durch Schwefel- und Stickoxide. Von einer Versauerung massiv betroffen sind große Teile Europas und der Osten Nordamerikas. Immerhin konnten die Schwefeldioxid-Emissionen in Westeuropa durch moderne Filteranlagen in Kraftwerken und Industriebetrieben seit Mitte der Siebzigerjahre um 40–50 Prozent, in der Bundesrepublik sogar um 60 Prozent gesenkt werden. Die Stickoxid- und die Ammoniakverseuchung stiegen jedoch beträchtlich.

Die Stickoxide stammen vor allem aus Autoabgasen, und das Ammoniak verdunstet in großen Mengen aus den Fäkalienströmen der Massentierhaltung. Der Einsatz von Kunstdünger im Übermaß hat schlimme Folgen: Kunstdünger setzt Stickstoff frei, das das Wasser der Flüsse verschmutzt und die Fische und Pflanzen sterben lässt. Zudem gelangen methanreiche Abgase des Düngers in die Luft und verweilen dort als eines der wichtigsten Treibhausgase, die zur globalen Erwärmung beitragen.

Ohne Düngung wächst jedoch bei intensiver Landwirtschaft auf einem stark ausgelaugten Boden kaum etwas. Zum anderen führen falsche Bewässerungsmethoden zu einer Versalzung des Landes: Verdunstet zu viel Wasser, so hinterlässt dies regelrechte Salzkrusten auf den Böden.

Anbaumethoden, die den Ackerboden erodieren, ihn auslaugen und versalzen, gefährden bereits jetzt eine ausreichende Nahrungserzeugung für die 6 Milliarden Menschen, die sich zurzeit auf der Erde befinden.

Nach Berichten der UN sind mehr als 840 Millionen Leute, fast ein Siebtel der Weltbevölkerung, chronisch unterernährt, während mehr als eine Milliarde keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Und der Druck auf die Ressource Boden lässt nicht nach.

Um 40 Prozent, so die Experten, müsse die Getreideproduktion in den nächsten 20 Jahren weltweit erhöht werden. Nur so werde die bis zum Jahre 2020 um etwa 1,7 Milliarden Menschen anwachsende Bevölkerung satt.

„Zur Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung wird eine Verdopplung der landwirtschaftlichen Produktion während der nächsten fünfzig Jahre notwendig werden“, stellte Stanley Wood, Wissenschaftler am FPRI, fest. Und das Problem ist nicht einfach zu lösen. „Mittlerweile überwiegen die Anbauflächen in den besiedelten Gebieten der Erde, und wir müssen mehr tun, als nur mehr Nahrung zu produzieren“, erklärte Wood. Er forderte ein radikales Umdenken: weg von den konventionellen Anbaumethoden, hin zu einer nachhaltigen Nutzung, die den Boden langfristig schützt und somit dessen Fruchtbarkeit erhält.

Integrierter Pflanzenanbau heißt eine mögliche Lösung. Zu seinen wichtigsten Zielen zählen eine schonendere Bodenbearbeitung und eine deutliche Verminderung chemischer Insekten- und Pilzbekämpfungsmittel. Direkt- und Mulchsaat bearbeiten das Ackerland besonders sanft. Bei beiden Verfahren bedecken den Boden ständig schützende Schichten aus Stroh und Ernterückständen. Der Bauer bringt die Saat per Hand oder mit einer speziellen Direktsaatmaschine durch die Mulchauflage in den Boden, ohne ihn vorher mit dem Pflug zu wenden. Bei der Mulchsaat oder Minimalbodenbearbeitung wird die Erde oberflächlich gelockert, bei der Direktsaat dagegen bleibt sie vollkommen unberührt.

Die schützende Schicht wirkt den Schäden durch Wasser und Wind entgegen. Der Boden behält seine feinen nährstoffreichen Bestandteile, und da sich seine Struktur verbessert, gelingt es ihm, wieder mehr Wasser zu speichern.

Jedoch stellen diese Verfahren erhöhte Anforderungen an das Management. Wie Kurt Steiner, Experte für Ressourcen schonende Landnutzungssysteme bei der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Eschborn, feststellte, ist besonders die Bekämpfung von Unkraut nicht immer ganz einfach. Denn das könne oft nur mit Hilfe einer komplizierten Fruchtfolge, der Einsaat von Zwischenfrüchten zur Gründüngung und speziellen Herbiziden ohne Pflug unter Kontrolle gehalten werden.

Auch stelle sich der Erfolg nicht sofort ein, erklärte Kurt Steiner. Zu Anfang könnten die Erträge sogar sinken – und das schrecke viele Kleinbauern ab. Daher müsse noch viel Aufklärungsarbeit betrieben werden. Denn bei richtiger Anwendung führten Direkt- und Mulchsaat mittel- und langfristig zu deutlichen Ertragssteigerungen – bei einem wesentlich geringeren Energie- und Arbeitsaufwand.

Anstelle chemischer Pflanzenschutzmittel können bestimmte Viren, Bakterien und Pilze zur Bekämpfung von Schädlingen eingesetzt werden. Sie bieten wesentliche Vorteile: Pflanzen, Menschen und Tiere werden nicht geschädigt, Luft, Böden und Gewässer nicht belastet. Einige der Nützlinge lassen sich bereits jetzt in industriellem Maßstab züchten und einsetzen. In Deutschland zugelassen und schon im Handel sind beispielsweise ein Mittel mit dem Bakterium Bacillus thuringiensis zur Bekämpfung von Schadraupen, eines mit dem Pilz Metarhizium anisopliae gegen bodenlebende Stadien von Insekten und ein Granulose-Virus-Präparat gegen den Apfelwickler.

Im Allgemeinen stellt der Nützlingseinsatz jedoch höhere Ansprüche als die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel. Der Landwirt muss über Grundkenntnisse in der Biologie von Schädlingen und Nützlingen verfügen, seine Anbauflächen regelmäßig kontrollieren, um einen Befall rechtzeitig zu erkennen, optimale Freilassungstermine für die jeweiligen Nützlinge bestimmen, die weitere Entwicklung von Schädling und Nützling abschätzen und über zusätzliche Freilassungen oder die Anwendung spezifisch wirkender, nützlingsschonender chemischer Präparate entscheiden. Zumindest im kommerziellen Garten- und Ackerbau sind daher intensive Fachberatung und mehrjährige praktische Erfahrung wichtig.

Artenvielfalt, geringere Belastung der Umwelt durch Pflanzenschutzmittel und weniger Stickstoff, der von den Äckern in die Gewässer gelangt – solche Ergebnisse erleichtern jedoch eine Entscheidung für die integrierten Anbaumethoden. Konkrete Empfehlungen zu geben ist aber nicht einfach.

„Man kann nicht generell sagen, verwendet nur so und so viel Dünger und nur dieses Pflanzenschutzmittel“, sagte Bärbel Gerowitt, Wissenschaftlerin am Forschungs- und Studienzentrums Landwirtschaft und Umwelt der Universität Göttingen. „Der integriert wirtschaftende Bauer muss viel Flexibilität zeigen, um die Bewirtschaftung jeweils an seine Standorte anzupassen.“

Aber auch wenn man den Boden noch so gut nutzt, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, steht eines mit Sicherheit fest: Das gegenwärtige exponentielle Wachstum der Menschheit wird sich nicht ungebremst fortsetzen lassen. Denn sonst würden die Menschen im Jahr 2600 Schulter an Schulter stehen und der Stromverbrauch die Erde zum Glühen bringen.

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