: Die Meilensteine Richtung Berlin
Seit in Berlin Rot-Rot die Farbe der Zukunft ist, rücken die Bundesländer ins Scheinwerferlicht, in denen die Sozialisten schon an den Hebeln der Macht sitzen: Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Dort wird eisern gespart und kaum gestritten
von ADRIENNE WOLTERSDORF
Ein Untergang des Abendlandes werde es nicht, prophezeite Lothar Wilken, Verbandschef der Unternehmer im ersten rot-rot regierten Bundesland, Mecklenburg-Vorpommern. Das war 1998. Zwei Jahre später ist Wilken zum Unmut der institutionalisierten Kapitalisten bei seinem Urteil geblieben. „Es hätte schlimmer kommen können“, wiederholte er bei einem Verbandstreffen im Dezember in Berlin.
Nach der Wahl des rot-roten Senats in der Hauptstadt schürt unterdessen ein Bündnis bürgerlich-konservativer Presse mit Opposition und Wirtschaft weiterhin die Angst vor der „SED-Erbengemeinschaft“. Laut Emnid glauben zudem 64 Prozent der Wähler, dass die Sozialistenliaison an der Spree die SPD Stimmen im Bund kosten werde. Nur jeder vierte Befragte sah die PDS als verlässliche, demokratische Partei, so die Umfrage zum Jahreswechsel. Angesichts solch wilder Spekulationen verweisen Politpragmatiker auf die beiden PDS-Experimentalstationen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Dort erweisen sich die roten Konstellationen als erstaunlich stabil. In Sachsen-Anhalt toleriert die PDS seit 1994 die Minderheitsregierung von Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD). Im Norden schmiedete 1998 Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) das bundesweit erste Bündnis mit den Nachfolgern der Mauerbauer. Beide Länder bilden das wirtschaftliche Schlusslicht der Bundesrepublik, beide Länder wählen noch in diesem Jahr. Sachsen-Anhalt im April und Mecklenburg zeitgleich mit der Bundestagswahl im September.
Während in Magdeburg die CDU-Opposition neuerdings eine „Links-Verdrossenheit“ diagnostiziert und kräftig zulegt, schwärmen die Schweriner Sozialdemokraten von „prima Klima“ im Koalitionslager. So gut laufe alles, dass Ringstorff auch nach der Wahl weiter mit der PDS regieren will. Anders als zu Zeiten der Vorgängerkoalition aus CDU und SPD werde im Norden nicht mehr öffentlich gestritten, sondern „sachbezogen hinter den Kulissen diskutiert“, lobt Ringstorff die pflegeleichte PDS. Allein deshalb sei das Land aus dem Stimmungstief herausgekommen, betont Ringstorff gerne, der am Sand im Getriebe der großen Koalition vor 1998 nicht unschuldig war.
Investoren bleiben weg
Magdeburgs miese Stimmung scheint hingegen chronisch zu sein. Das Schlusslicht Sachsen-Anhalt erschreckt regelmäßig mit Negativrekorden: niedrigste Investitionsquote, höchste Arbeitslosenrate (18 Prozent), höchste Verschuldung pro Kopf.
Während Ringstorff die Schuld an den lauen Wirtschaftsdaten noch immer auf die CDU-Vorgänger abwälzen kann, zieht das Argument bei Höppners Landsleuten schon lange nicht mehr. Höppners Politik werde nicht von zukunftsweisenden Investitionen, sondern von sozialpolitischen Taten dominiert, bemängelt Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle.
Eindeutige Ratschläge zum Umgang mit den Sozialisten gabe es für den Berliner Parteifreund Klaus Wowereit nur indirekt. Für die anstehenden schwierigen Aufgaben brauche die Hauptstadt-SPD Partner, „die nicht gleich ins Wackeln kommen“, meint Ringstorff. Zufrieden verweist er auf die Nordsozialisten, die seit drei Jahren den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Sparkurs der SPD-Finanzministerin Sigrid Keler mittragen. Wenn auch nörgelnd. Mit den Wendesozialisten, so das einstweilige Schweriner Fazit, lasse sich passabel regieren. Statt jeden Haushaltseuro zu vergesellschaften, legten die Sozialisten schon manche Sozialleistung aufs Eis. Anders als die PDS mögen sich die Schweriner Sozialdemokraten aber öffentlich nicht als Vorbild für Berlin preisen.
Mit distanzierter Zufriedenheit beobachtet Lothar Wilken vom Unternehmerverband, wie PDS-Arbeitsminister Helmut Holter Unternehmer lobt und sich in die Notwendigkeit des Gewinnemachens füge, weil sich nur so Arbeitsplätze im strukturschwachen Norden schaffen ließen. Den drei Schweriner PDS-Kabinettsmitgliedern Holter, Wolfgang Methling (Umwelt) und Martina Bunge (Soziales) bescheinigt Wilken großen Pragmatismus. Rituelles Lamento ertönt dagegen aus der Schweriner CDU. Die Regierungsbeteiligung der PDS reiche aus, um Investoren abzuschrecken, behauptet die Union. Beweise dafür blieb sie bislang schuldig. Vielmehr erhielt das mecklenburgische Selbstbewusstsein einen Kick, als das Land beim Standortpoker um das neue BMW-Werk immerhin in die Endrunde hinter Leipzig kam.
„Es ist unfair, die ideologischen Scheuklappen aufzubehalten“, meint Wilken. Die Ebbe in der Landeskasse hätte eine andere Regierung ähnlich wie Rot-Rot handeln lassen, vermutet er. Insgesamt sei die SPD-PDS-Koalition aber „eher arbeitsmarkt- als marktwirtschaftlich orientiert“.
Versagt haben die Linken beider Länder in ihrem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Die liegt im Nordosten bei 17,5 Prozent. Hinzu kommen, wie bei Sachsen-Anhalt, eine schlechte Wachstumsbilanz von nur 0,6 Prozent und die niedrigsten Existenzgründerquoten (7,2 Prozent) der Republik.
Rote Bewährungsproben
Trotz „prima Klima“ kriselte in Schwerin die rot-rote Ehe bereits dreimal. Zunächst mussten die Sozialisten klein beigeben, als sich die SPD deren schulpolitischen Plänen widersetzte. Im Mai vergangenen Jahres drohte das Aus, als Ringstorff im Bundesrat entgegen allen Absprachen für die rot-grüne Rentenreform stimmte. Doch die PDS fügte sich schmollend. Im vergangenen November dann stellten sich die Sozialisten fast selbst ein Bein. Ihr verschwurbelter Umgang mit der eigenen Vergangenheit führte zur bis dahin schlimmsten Krise. Zwar haben sich Ringstorff und sein PDS-Vize Holter demonstrativ „Aussöhnung“ ans Revers geheftet. Sozusagen eine zweite Chance für jeden. Die wird aber verschieden interpretiert. Während die SPD damit beispielsweise die ehemals fast zwangsläufig SED-nahe Wissenschaftselite meint, die 1990 beim Großreinemachen mit weggewischt wurde, versteht die PDS darunter auch die Rehabilitation mancher dubioser Genossen.
Der affärenbehaftete Holter wollte zunächst von der inoffiziellen Stasimitarbeit seines Referatsleiters nichts gewusst haben. Nach eindeutigen Hinweisen wollte Amigo Holter den Genossen entlassen, ließ sich aber von seiner Fraktion umstimmen und verkaufte dies öffentlich als „Versöhnung“. Wütende SPD-Proteste führten am Tag darauf dann doch zur Kündigung.
Der Arbeitsgerichtsprozess „PDS gegen PDS“ wird möglicherweise im kommenden Frühjahr anlaufen – pünktlich zum einsetzenden Wahlkampf.
Als rot-rotes Charakteristikum gilt insbesondere die mecklenburgische Variante des „sozial gerechten Sparens“. PDS-Versprechen, mit Arbeitsprogrammen für Beschäftigung zu sorgen, wurden kurzerhand eingedampft. Selbst die CDU nennt die verabschiedeten Landesetats „Dokumente des Totsparens“. Die SPD ist dennoch stolz auf den Sparkurs und verweist darauf, dass „auch die äußerste Linke rechnen kann“. Rot-Rot verschwendet nichts – das soll die Botschaft in Richtung Westen sein.
Diskrepanzen mit der gegenwärtigen Antikriegshaltung der PDS gab es nicht. „Außenpolitik wird nicht in Schwerin gemacht“, lautet die pragmatische Formel. Großzügigere Budgets für Programme auf dem 3. Arbeitsmarkt, im öffentlichen Beschäftigungssektor, sollen den Sozialisten das Schweigen versüßen.
Auch Missstimmungen wegen der „fortdauernden Entschuldigerei“ wurden von den PDS-Strategen geschickt unter der Decke gehalten. Nach den Erklärungen des PDS-Bundesvorstands zum Mauerbau und zur SPD-Zwangsvereinigung rumorte es zwar an der Basis, die Unruhestifter wurden jedoch harsch ausgebremst. Schließlich geht es um die Macht. Und wer die in Zukunft haben wird, sieht die PDS ganz deutlich: „Die Zukunft für den gesamten Osten heißt Rot-Rot“, ist sich Holter sicher. Dafür werde „Berlin ein Meilenstein sein“.
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