: So blond wie der arische Galiläer Jesus
Die nordelbische Landeskirche zeigt als erste evangelische Kirche Deutschlands in einer mutigen Ausstellung, wie sehr sie die NS-Judenverfolgung stützte. Nach dem Krieg sollten die verstoßenen Christen jüdischer Abstammung als Erstes ihre während der Nazizeit nicht gezahlte Kirchensteuer nachreichen
von PHILIPP GESSLER
So sicher wie das Amen in der Kirche? Wer dieser Tage den Weg in die Hauptkirche St. Petri am Hamburger Einkaufsboulevard Mönckebergstraße findet, wird zögern, künftig diese Redewendung in den Mund zu nehmen. Denn vor 60 Jahren gab es in der evangelischen Kirche starke Bestrebungen, das „Amen“ zu verbieten: In einem „entjudeten“ Gesangbuch von 1941 wurde der Kirchenhit „Großer Gott, wir loben dich“ von den Worten „Amen“, „Halleluja“ und „Hosianna“ gesäubert: Hebräische Worte durfte es in einem deutschen Kirchenlied nicht geben.
Die bahnbrechende Ausstellung „Kirche, Christen, Juden in Nordelbien 1933–45“, die im eindrucksvollen Kirchenschiff neben die schweren Kirchenbänke und auf deren Gebetbuchablagen platziert wurde, liefert solche erstaunlichen Erkenntnisse. Vor knapp vier Jahren beschloss die Synode, also die Basis, der nördlichsten evangelischen Kirche Deutschlands, ihre eigene dunkle Geschichte in der Nazizeit zu thematisieren. Es ging darum, die Schuld ihrer Gemeinschaft bei der Judenverfolgung zu dokumentieren – ein Wagnis, vor dem alle anderen Kirchen der Bundesrepublik seit mehr als 55 Jahren zurückschrecken.
Warum? Weil, wie die Ausstellung zeigt, wie die damals noch vier Kirchen der heute nordelbischen Landeskirche in einem unglaublichen Maß am Holocaust beteiligt waren. „Die Mehrheit der Kirche“, so heißt es in der Schau tapfer, „unterstützte die Verfolgung der Juden.“ Von notgedrungener Hinnahme der NS-Judenpolitik durch die Kirche kann keine Rede sein. Im Gegenteil.
So endete etwa die „braune Synode“ der schleswig-holsteinischen Kirche am 12. September 1933 mit einem „Sieg Heil“ und dem „Horst-Wessel-Lied“. Bis auf die Hamburger schlossen alle drei Landeskirchen Nordelbiens ihre „nichtarischen“ Pastoren, später alle Mitglieder auch nur entfernt jüdischer Abstammung aus – diesen Hintergrund hatten in Schleswig-Holstein und in der Hansestadt 1939 immerhin knapp 8.000 Christinnen und Christen. Damit verloren sie den letzten Schutz vor der Deportation. Schlimmer noch, die schleswig-holsteinische Kirche rühmte sich in einer Werbeschrift, nur über den Rückgriff auf ihre Kirchenbücher könnten Ariernachweise erstellt werden: Und durch die allein sei schließlich „die Durchsetzung der notwendigen bevölkerungspolitischen Aufgaben“ möglich. Sie stelle sich „freudig“ in den Dienst dieser Sache, warb die Kirche für sich.
Solcher Antisemitismus fußte auf einer Theologie, die in der Regel seit fast 2.000 Jahren antijudaische Tendenzen in sich trug. Die antisemitischen „Deutschen Christen“ erhielten bei den Kirchenwahlen 1933 etwa 70 Prozent der Stimmen. Die Ausstellung zeigt ein Foto von der Landessynode der Hamburgischen Kirche vom 5. März 1934. Sie glich einem Parteitag: Ein Kreuz ist nirgends zu sehen. Vor der Hakenkreuzfahne aber steht der Synodenpräsident in SS-, der gerade gewählte Landesbischof Franz Tügel in Parteiuniform.
Gerade Tügel, der wie acht weitere Persönlichkeiten der Kirche in der Ausstellung noch einmal eingehender beschrieben wird, ist eine schillernde Gestalt. Einerseits setzte er sich für Pastoren und Christen „nichtarischer“ Herkunft ein. Andererseits war er Parteimitglied seit 1931 und rühmte sich privat, schon immer Antisemit gewesen zu sein, ja bereits als Knabe Juden verprügelt zu haben. Einer der prägenden Gestalten der regimekritischen „Bekennenden Kirche“ in Nordelbien, Wilhelm Halfmann, rechtfertigte die Judenverfolgung und beschrieb das Judentum als „Zersetzungsstoff für die christlichen Völker“. Die „Bekennende Kirche“, die Märtyrer wie den Theologen Dietrich Bonhoeffer in ihren Reihen hatte und nach dem Krieg von Kirchenoberen stets als Beweis für die Oppositionskraft der Kirche im Nazireich gepriesen wurde, tat für die Juden zumindest öffentlich so gut wie nichts, wie die Ausstellung belegt.
Die „freudige“ Anpassung der Kirche an die Nazis ging so weit, dass in Eisenach ein theologisches Institut mit 50 Professoren gegründet wurde, das dazu dienen sollte, das „Jüdische“ aus dem Christentum wegzuinterpretieren – eine absurde Veranstaltung. Da wird der jüdische Rabbiner Jesus von Nazareth zum „arischen Galiläer“ verfälscht, der gar blond gewesen sein soll. Selbst die Heilige Schrift, Grundpfeiler des Protestantismus seit Luther, wurde im „arischen“ Sinne redigiert, projüdischer Text gestrichen.
Natürlich gab es auch Pastoren die Widerstand leisteten. Aber ihre Zahl war mehr als gering, ihre Unterstützung auch von der Basis minimal. Als nach Einführung des „Judensterns“ klar wurde, dass noch getaufte Juden in den Kirchenbänken saßen, protestierte das einfache Kirchenvolk dagegen, dass man neben „Nichtariern“ seine Kommunion erhalte.
Und nach dem Krieg? Der Pastor und spätere Propst Ernst Szymanowski war während des Krieges Leiter einer „Einsatzgruppe“ an der Ostfront und wurde für den Tod von mindestens 3.000 Menschen für schuldig befunden: Ab 1958 fand er wieder Anstellung bei der Kirche, deren Einsatz ihn auch frühzeitig aus dem Knast gebracht hatte. Noch im berühmten „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ vom Oktober 1945 log die Kirche, sie habe „lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat“. Doch nicht wegen der Lüge bekämpften viele Protestanten das „mea culpa“ sondern weil ihnen das Schuldbekenntnis zu weit ging. Immerhin, die überlebenden „nichtarischen“ Christen wurden nach dem Krieg wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen. Das erste Kirchenschreiben, das viele nach 1945 empfingen, war die Aufforderung, ihre während der Nazizeit nicht gezahlte Kirchensteuer nachzureichen.
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