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Ein rechter Bürgerrechtler

Karl-August Kamilli, Bürgerrechtler, Ost-SPDler und Volkskammerabgeordneter, landet bei der Schill-Partei in Sachsen

Die eben erst aus dem Ei schlüpfende Schill-Partei in Sachsen wollte sich bewusst nicht mit ihrem vorläufig höchstrangigen Mitglied schmücken. Als Beamter des höheren Dienstes leitet Karl-August Kamilli immerhin die „Stabsstelle Bürgeranliegen“ der sächsischen Staatskanzlei. Verwunderlicher aber ist, dass mit ihm ein Exbürgerrechtler und kurzzeitiger Volkskammerabgeordneter den Weg in die „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ in Sachsen fand. Man wolle den Eindruck vermeiden, ein Hort frustrierter Leute mit abgebrochenen Parteikarrieren zu sein, sagt Landeskoordinator Ulf Mäder. Die Vorsicht der sächsischen Schill-Aktivisten ist begründet.

Der 1945 im mecklenburgischen Hagenow geborene Karl-August Kamilli hat schon mehrfach mit politischen Gruppierungen experimentiert. Wollte er zunächst noch Flieger bei der Volksarmee der DDR werden, so verweigerte er nach dem Studium der Geophysik in Leipzig sogar den Waffendienst. Aus dem Jahr 1972 datieren erste Kontakte zu kirchlichen Friedens- und Umweltgruppen. Die Staatssicherheit wurde auf ihn aufmerksam. Doch der Friedenskreis beim Jugendpfarramt der Leipziger Nikolaikirche entsprach nicht seinen Vorstellungen, wie er im Jahr 1991 bilanzierte. „Das war mir alles zu emotional, nicht sachlich genug.“ Er wandte sich ab.

Mit dem Aufbruch des Jahres 1989 entdeckte Kamilli sein Engagement wieder. Obschon Christ, gehörte er im Oktober 1989 zu den Mitbegründern der SPD in Leipzig. Vier Monate später avancierte er zum stellvertretenden Vorsitzenden des Ost-Ablegers der Partei, saß bis 1993 im Bundesvorstand und wurde im März 1990 in die neue Volkskammer gewählt. Hier allerdings krachte es bald. Kamilli wandte sich entschieden gegen die von Ministerpräsident Lothar de Maizière angestrebte große Koalition mit der CDU. Auch in Leipzig bekam er spätestens im Wahljahr 1994 Ärger, als er sich unabhängig von Parteibeschlüssen um ein Bundestagsmandat bewarb. „Der Partei geht es nicht um die Interessen der Bürger, sondern lediglich um Machtkämpfe“, lautete sein Vorwurf damals. Intrigen und nie bewiesene Gerüchte über eine Stasi-Zuträgerschaft mögen außerdem dazu beigetragen haben, dass er im Spätsommer 1994 die SPD verließ.

Auch jetzt begründet er seinen Beitritt zur Schill-Partei mit der notwendigen Stärkung des Bürgers gegenüber dem Staat. „Ich bin nicht für den starken Staat an sich, sondern für den konsequenten Rechtsstaat, der eigentlich die Schwachen zu schützen hat!“ Das unterscheide ihn zum Beispiel von Otto Schily.

Zu verlieren hatte Kamilli bei seinem damaligen SPD-Austritt nicht viel. Als Beauftragter der Staatsregierung für die Streitkräfte und den Abzug der GUS-Truppen gehörte der Mann mit dem Sinn fürs Militärische 1991 zu den ersten Beamten des Freistaates überhaupt. Nach einem Intermezzo im Landesrechnungshof und im Gleichstellungsministerium hält er nun Kurt Biedenkopf die etwa 2.000 persönlichen Petitionen jährlich vom Leibe. In Konkurrenz zum „Königlich-Sächsischen Kummerkasten“ von Landesmutter Ingrid übrigens. Kein Grund, sich nicht bei Schill zu engagieren. In der Partei stehe er für alle Ämter zur Verfügung. „Was ich tue, tue ich ganz!“

MICHAEL BARTSCH

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