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Das freche Mädchen

In den Filmen der iranischen Filmemacherin Tahmineh Milani stehen meist selbstbewusste und aufmüpfige Frauen im Zentrum. Das macht sie zum Feindbild konservativer Kritiker. Ein Porträt

Der Vater verbot ihr das Regiestudium. Also lernte Tahmineh Milani es heimlich

von FAHIMEH FARSAIE

Der geistliche Richter Mobascheri war begeistert, als er den Film „Die verborgene Hälfte“ von Tahmineh Milani gesehen hatte: Endlich hatte er einen Beweis, um die Regisseurin als „Anhängerin einer ketzerischen und subversiven Gruppe“ verhaften zu lassen. Sein Indiz: ein großformatiges Poster von Bidjan Djazani, eines unter dem Schahregime ermordeten linken Widerstandskämpfers. Das Poster kommt während eines rührenden Dialogs über die Liebe ins Bild, bei einem langsamen Schwenk der Kamera aus der Dunkelheit ins Licht.

Um weitere Belege zu finden, wühlte der Richter in den zahlreichen Interviews, die Milani über ihren Film gegeben hatte, riss einen Satz aus dem Zusammenhang und legte ihn als „Geständnis“ der Filmemacherin vor. Der Satz lautete: „Ich war Sympathisantin dieser Gruppe!“ Ein Anruf genügte. Milani wurde sofort im Oktober letzten Jahres verhaftet und stundenlang verhört. Nur aufgrund öffentlicher Proteste wurde sie nach drei Tagen auf Bewährung freigelassen. „Das Gerichtsverfahren folgt aber bald“, versprach der Richter.

Auch im Film „Die verborgene Hälfte“ geht es um einen Richter, der vom Präsidenten beauftragt wird, nach Schiras zu reisen, um die Beschwerde einer politischen Gefangenen zu prüfen. Vor dem ersten Treffen mit ihr, die aufgrund der „Mitgliedschaft in einer antirevolutionären Gruppe“ zum Tode verurteilt wurde, findet der Richter Khosro den Brief seiner geliebten Frau Fereschteh, in dem sie ihm ihre eigene Vergangenheit als Aktivistin einer linken Gruppe beichtet – in der Hoffnung, ihn zu einem gerechten Urteilsspruch über die Verurteilte zu bewegen. Der Schauplatz des Filmes, der im letzten Jahr auf den Filmfestivals Los Angeles und Kairo für die beste Regie ausgezeichnet wurde, ist das nachrevolutionäre Teheran – in einer Phase, die von Terrorakten, Verhaftungs- und Hinrichtungswellen gekennzeichnet war. Tahmineh Milani ist die erste Künstlerin, die sich diesem brisanten Thema in ihrem Film nähert und es mit poetischen und beeindruckenden Bildern beschreibt. „Die Vergangenheit zu vergessen und von der Zukunft zu reden ist absurd“, erklärte die Regisseurin ihre Absicht, diesen Film zu drehen.

Freunde hat sie sich damit keine gemacht. Denn der direkte Adressat dieser indirekten Kritik ist der gegenwärtige Präsident Chatami, der mit seinem Reformkurs eine bessere Zukunft besonders für die Frauen und Jugendlichen versprochen hatte. Doch nicht nur Hardliner und Reformer im Iran fühlen sich durch Milanis Film gestört, sondern auch die linke Szene des Landes, deren historische und politische Rolle im Film als unbedeutend und konservativ dargestellt worden sei, so die Kritik. „Hier beschimpfen mich manche Zeitungen einfach als westlich orientierte und moralisch verkommene Filmemacherin. Im Ausland bezeichnen mich unsere radikalen Landsleute dagegen als regimetreu“, beklagt die 41-jährige Regisseurin.

Sie gehört zur aserbeidschanischen Minderheit, deren Angehörigen im Iran besondere Courage und Gerechtigkeitssinn nachgesagt wird. Milanis künstlerisches Schaffen scheinen jedenfalls stark von diesen Eigenschaften geprägt zu sein. „Mit Ungerechtigkeit kann ich mich nicht abfinden“, sagt sie.

Als ihr vierter Film „Kakadu“, ein Kinderfilm über die Umwelt, weltweit Erfolge feierte, kritisierte sie bei einem Staatsempfang die strenge iranische Kulturpolitik der 90er-Jahre. Die Zensurbehörde, die sich durch diesen Affront blamiert fühlte, entzog dem Film daraufhin prompt die Vertriebslizenz, und verhängte ein unausgesprochenes Berufsverbot über sie. Stress und ständige Furcht vor Repressionen trieben Milani an den Rand des Zusammenbruchs. Sie verliert ein Baby, und die überlebende Zwillingsschwester wiegt nur ein Kilo, als sie zur Welt kommt.

Dennoch griff auch ihr fünfter Film „Zwei Frauen“ 1998 wieder ein Thema auf, das die Sittenwächter im Iran beunruhigte. Der Film behandelte ein politisches und gesellschaftliches Problem, das seit zwanzig Jahren totgeschwiegen wurde: die verheerenden Auswirkungen der islamischen Kulturrevolution von 1980 bis 1984 auf das Leben von Millionen Studenten, deren Zukunft unverhofft oft durch eine einzige unbedachte Entscheidung ruiniert wurde.

Der Film „Zwei Frauen“ handelt von der Freundschaft zweier Kommilitoninnen, deren Lebenswege aufgrund der Kulturrevolution im Iran auseinander gehen, und die zwei unterschiedliche Schicksale erleiden. Fereschteh, die begabtere von beiden, muss heiraten und mit einem eifersüchtigen Pascha zurechtkommen, weil sie aus einer traditionellen Familie stammt. Der Film lebt von seinen brillanten Charakterzeichnungen, seinen kräftigen Bildern und dem hervorragenden Spiel der Schauspielerin Niki Karimi. Konservative Zeitungen dagegen werteten den Film als „politisch unkorrekt und zu feministisch“.

Nicht nur Milanis Themen, sondern auch ihre Frauenfiguren sind den Moralhütern der iranischen Gesellschaft ein Dorn im Auge. Diese Figuren sind meistens selbstbewusst, aufgeklärt und wissensdurstig, und solche unkonventionellen Frauenfiguren darzustellen war zu Beginn der 90er-Jahre äußerst schwierig. Deshalb forderte man Milani 1992 auf, die Hauptfigur ihres Filmes „Was gibt’s Neues“, ein freches Mädchen, in einen Jungen zu verwandeln, um finanzielle Unterstützung zu bekommen. Nach dem Milani ihren Film doch mit dem frechen Mädchen in der Hauptrolle privat produziert, und damit einen Berg von Schulden angehäuft hatte, zerissen ihn die konservativen Zeitungen gnadenlos – sie befürchteten „eine fatale westlich orientierte kulturelle Auswirkung auf die Jugendlichen, auf ihr Benehmen und ihre Lebenseinstellung“ durch die Hauptfigur.

Milanis freches Mädchen ist eine Studentin, die in einer Fantasiewelt lebt und aufgrund von kritischen Recherchen vom Literaturstudium ausgeschlossen wird. Eine Diskriminierung, die Milani nicht unbekannt ist: „Als Jugendliche durfte ich nach meinem Abitur nicht Regie studieren – mein Vater hatte es mir verboten“, so Milani. So erwarb die Tochter einen Studienplatz im Fach Architektur, beschäftigte sich aber gleichzeitig heimlich mit der Kinowelt und verstieß auf diese Weise gegen das traditionelle Gebot, dem Vater unterwürfig zu sein.

Im Rahmen der Ausstellung „Der neue iranische Film“ stellt Tahmineh Milani heute Abend, 20 Uhr, in der ifa-Gallerie in Stuttgart ihren neuen Film „Die verborgene Hälfte“ vor

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