kommentar: Zwei Gipfeltreffen und der 11. September: Die Globalisierungskritiker boten mehr Antworten
Der Sieger des Wettbewerbs der letzten Tage zwischen dem Weltwirtschafts- und dem Weltsozialforum steht fest. Das Wohlwollen der öffentlichen Meinung, was den Umgang mit den Folgen der Anschläge vom 11. September angeht, haben die Globalisierungskritiker gewonnen, die im brasilianischen Porto Alegre tagten. Für die Weltelite hingegen, halb aus Angst vor Randale und halb aus Solidarität mit den USA in New York versammelt, zeigen die Daumen nach unten.
Denn ein System politischer und ökonomischer Institutionen funktioniert nicht nur, weil das Militär gezielt Bomben auf feindliche Ziele abwerfen kann und der Arm der Macht bis in den letzten Winkel des Hindukusch reicht. Genauso entscheidend ist, ob die Bürger dieses Handeln der Regierungen mittragen – es also für legitim halten. Die Legitimität aber des Krieges der USA und ihrer Verbündeter in Afghanistan beruht zum erheblichen Teil auf einem Versprechen, das US-Außenminister Colin Powell erst beim Weltwirtschaftsforum in New York erneuerte: Man werde nicht nur den Terrorismus bekämpfen, sondern auch die Armut. Man werde nicht nur Armeen in die Dritte Welt schicken, sondern auch Geld und Wissen, um die Kluft zwischen Elend und Reichtum zu verringern.
In dieser Hinsicht jedoch ist seit dem 11. September nichts, aber auch gar nichts passiert. Dieses Versagen der Weltmacht USA war beim Weltwirtschaftsforum in New York deutlich zu sehen. Die Verantwortlichen sprachen derart viel von „Hilfe“ und „Gerechtigkeit“, dass umso klarer wurde, wie wenig sich tatsächlich in den Beziehungen des Nordens zum Süden geändert hat. So verwiesen die Kritiker in Porto Alegre immer wieder auf ihre zentralen Punkte: Wurde die Entwicklungshilfe erhöht? Erhielten die Länder Afrikas, Asiens und Südamerikas einen Teilnachlass ihrer Schulden? Diskutierten die Regierungen über die Grenzen des Neoliberalismus? Hat die Welthandelsorganisation Sorge getragen, beim Abbau von Handelsschranken für Abfederungen zu sorgen? Im Gegenteil.
Während die Elite erfolgreich daran arbeitet, das moralische Guthaben, das ihr der Einsturz des World Trade Centers einbrachte, zu verbrauchen, haben die Globalisierungskritiker Boden gutgemacht. Das hängt auch mit ihrer Haltung zum Terrorismus und seinen Ursachen zusammen. Organisationen wie Attac grenzen sich nicht nur rhetorisch deutlich gegen die Gewalt ab, sondern haben sich Glaubwürdigkeit verschafft, indem sie Militante wie etwa die baskischen Nationalterroristen von der ETA ausluden.
Globalisierungskritiker haben zurzeit keine größeren Probleme, um ihrer Ablehnung der weltwirtschaftlichen Entwicklung Glaubwürdigkeit zu verschaffen – ihre Gegner legitimieren sie. Ein makabrer Erfolg, andererseits.
HANNES KOCH
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