: „Dies ist ein Tanz von bösen Geistern“
Mark Heller vom Jaffee-Zentrum für Strategische Studien sieht keine politische Strategie für ein Ende der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern
taz: Die Regierung hat heute über eine Verschärfung der Angriffe entschieden. Was halten Sie davon?
Mark Heller: Die Entscheidung bedeutet keine großartige Revolution. Das kommt nicht überraschend, denn der Handlungsspielraum Ariel Scharons ist nicht unendlich. Wenn es ein Wundermittel gegen Terror und Gewalt gäbe, wäre es längst eingesetzt worden. Angesichts der Begrenzungen sowohl außenpolitisch als auch innenpolitisch muss jedem klar sein, dass das Ende der Gewalt nicht allein militärisch herbeigeführt werden kann. Parallel dazu muss es politische Anstrengungen geben.
Die bisherigen Angriffe haben sich immer als kontraproduktiv erwiesen. Könnte durch eine einseitige Waffenpause von israelischer Seite nicht viel mehr erreicht werden?
Das Problem ist, dass im Grunde schon alles versucht wurde – auch ein einseitiger Waffenstillstand. Es hat eine Feuerpause von ein bis zwei Wochen gegeben, und es hat nichts gebracht. Das macht es ja gerade so frustrierend. Es ist nicht richtig, zu sagen, dass alle Operationen kontraproduktiv waren. Richtig ist, dass vor allem die punktuellen Exekutionen zu Vergeltung führten. Auf der andere Seite kann niemand wissen, was dadurch verhindert wurde und was geschehen wäre, wenn man es nicht getan hätte.
Welches Szenario könnten Sie sich vorstellen, um die Gewalt zu beenden?
Vielleicht gäbe es eine Chance, wenn die Verhandlungen wieder aufgenommen würden. Aber auch das würde nur zu einer zeitlich begrenzten Ruhe führen, denn es wird ja vermutlich nicht zu einer politischen Einigung kommen. Ich fürchte, dass der derzeitige Konflikt noch sehr, sehr lange dauern wird.
Werden mögliche Angriffe der USA auf Irak die Lage in Nahost beeinflussen?
Natürlich besteht immer die Hoffnung auf einen Deus ex Machina, auf Hilfe von außen. Einige glaubten, dass der 11. September Auswirkungen auf den Nahen Osten haben und etwas bringen würde. Das ist nicht passiert. Es kann sein, dass erfolgreiche Angriffe auf den Irak einen Einfluss haben werden. Sicher kann man das jetzt nicht sagen.
Die EU scheint zunehmend die Geduld zu verlieren, auch angesichts der Bombardierungen der palästinensischen Infrastruktur, die mit europäischen Geldern finanziert wurde. Ist die Forderung Scharons nach einer siebentägigen Feuerpause noch sinnvoll?
Es sind sich alle darüber einig gewesen. In Scharm al-Scheich kamen alle Seiten überein, dass genau das passieren muss. Der Mitchell-Bericht sieht eine Feuerpause vor, sogar Javier Solana hat das unterschrieben. Jetzt sehen die Europäer, dass die Palästinenser die Ware nicht liefern, also sagen sie, okay, da müssen wir gucken, was sich machen lässt. Ich glaube allerdings auch, dass die Hoffnung auf eine Feuerpause nicht realistisch ist.
Könnte Israel seine Strategie ändern, zum Beispiel eine Zeit lang den Strom oder das Wasser abdrehen?
Eine solche Entscheidung würde die Regierungskoalition spalten. Kritik aus dem In- und Ausland, die ohne Zweifel kommen würde, ist der Hauptgrund, der dagegen spricht. Die Palästinenser wissen, dass es rote Grenzen gibt, die Israel nicht überschreitet. Was heute entschieden wurde, ist ein bisschen mehr vom Bisherigen.
Das große Problem ist, dass es keine politischen Strategien gibt. Weder auf israelischer noch auf palästinensischer Seite. Dies ist keine politische Auseinandersetzung, sondern ein Kampf zwischen Banden. Der nächste Schritt wird vom letzten Attentat oder Luftangriff festgelegt. Dies ist keine Gewalt mit klarem politischem Ziel, sondern ein Tanz von bösen Geistern.
INTERVIEW: SUSANNE KNAUL
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