: Der Kampf beginnt
Giscard d‘Estaing sieht sich als alleiniger Herr des Konvents. Doch er hat mächtige Gegner
von DANIELA WEINGÄRTNER
Am 15. Dezember, wir erinnern uns dunkel, wurde im Königsschloss von Laeken eine vorweihnachtliche Bescherung gefeiert: Die Staatschefs der alten Europäischen Union schenkten den Bürgern Europas einen Reformkonvent. Noch vor dessen feierlicher Eröffnung zeigt sich, dass es den Beschenkten so gehen wird wie vielen kleinen Mädchen mit ihrer Elektroeisenbahn: Papa spielt.
„Die Bürger verlangen nach einer offenen, effektiven, demokratisch kontrollierten Gemeinschaft …“ – mit drei Seiten glitzernder Worte beginnt die Laeken-Erklärung. Um die Machtfrage zu klären, braucht es dann nur zwei Zeilen: „Der Europäische Rat hat Herrn V. Giscard d‘Estaing als Präsidenten des Konvents und Herrn G. Amato und Herrn J. L. Dehaene als Stellvertreter bestimmt.“ Dieser Geburtsfehler rächt sich. Eine in der Geschichte der EU einmalige Versammlung, die das ramponierte demokratische Image der Union aufpolieren soll, kann ihre Vorsitzenden nicht wählen, sondern bekommt drei alte Männer vor die Nase gesetzt.
Giscard d‘Estaing ist in den Vorbereitungswochen in Brüssel seinem Ruf als routinierter Strippenzieher gerecht geworden. Er fütterte ausgewählte Journalisten mit ausgewählten Informationen, forderte ein Spitzengehalt und begnügte sich dann bescheiden mit 1.000 Euro Tagessatz. Eine von ihm entworfene Geschäftsordnung lag zwei Wochen vor der Eröffnungssitzung fertig in der Schublade. Politische Freunde unter den Konventsdelegierten durften vorab einen Blick darauf werfen. Das gab ihnen Gelegenheit, sich eingeweiht zu fühlen und sich von dem Schock zu erholen.
Denn das Papier beantwortet die Frage, wie Giscard d‘Estaing den Konvent zu leiten gedenkt: „Der Präsident wacht über die ordnungsgemäße Durchführung der Debatten. Zu diesem Zweck kann er jede Entscheidung treffen, die ihm notwendig erscheint. Er organisiert die Reihenfolge der Tagesordnung, bestimmt die Länge der jeweiligen Debatte, erteilt das Wort und teilt die Redezeit zu. In dieser Aufgabe wird er von den Vizepräsidenten und dem Sekretariat unterstützt.“ Auch darüber, welche Rolle den Vertretern der Kandidatenländer zugedacht ist, gibt die geplante Geschäftsordnung Aufschluss: Getagt wird in 11 Arbeitssprachen der EU, mit Simultanübersetzung für alle Altmitglieder.
Vergangenen Freitag trafen sich die Vertreter der nationalen Parlamente zum ersten Mal in Brüssel, um ihre zwei Delegierten in das Präsidium des Konvents zu wählen. Die spanische Parlamentspräsidentin hatte die Initiative ergriffen, da Spanien derzeit den Vorsitz im Europäischen Rat innehat. Einladungsschreiben gingen zunächst an die Abgeordneten aller 28 Länder. Dann aber wurden die Kandidatenländer wieder ausgeladen – das Büro von Giscard d‘Estaing lässt dementieren, dass es auf seine Initiative hin geschah.
Die feierliche Eröffnungsveranstaltung hingegen wird sich heute ganz nach seinen Vorstellungen gestalten: zunächst ein intimes Mittagessen der 105 Mitglieder, damit alle sich mal persönlich kennen lernen; dann werden drei wichtige Männer drei wichtige Reden halten – José María Aznar als amtierender Ratspräsident, Pat Cox als Präsident des Europaparlaments und Gastgeber Giscard d‘Estaing selbst. Sollte anschließend wider Erwarten Zeit bleiben, wird kurz über den Sitzungskalender und die Geschäftsordnung gesprochen. Danach ist eine schöpferische Pause vorgesehen – erst am 21. und 22. März sollen die Delegierten wieder zusammentreffen.
Bis dahin, so dürfte der Strippenzieher sich gedacht haben, ist Gras über die Sache mit der Geschäftsordnung gewachsen. Wenn es Giscard‘Estaing tatsächlich gelingt, seine 16 Verfahrensartikel morgen im Handstreich bestätigen zu lassen, ist die Machtfrage entschieden: Die Delegierten werden dann an der kurzen Leine des Präsidenten durch die kommenden 15 Monate geführt.
Die 16 Vertreter des Europaparlaments im Konvent sind allerdings Gegner, die man nicht unterschätzen sollte. Einige von ihnen haben schon im Grundrechtekonvent Erfahrung mit dieser Form der Willensbildung gesammelt. Trotz unterschiedlicher Parteizugehörigkeiten liegen sie in ihrer Mängelanalyse der bestehenden Institutionen und ihren Forderungen an eine demokratische, regierbare EU nicht weit auseinander. Bereits drei Mal haben sie zusammengesessen und Taktik sowie Ziele aufeinander abgestimmt.
Viel schwerer wird es für die nationalen Parlamentarier, als Gruppe politisches Gewicht zu entwickeln. Vage bleibt der Status der Vertreter der Kandidatenländern. Und bei jeder nationalen Wahl kann sich die Zusammensetzung der Gruppe ändern. Der deutsche Vertreter Jürgen Meyer zum Beispiel tritt zur nächsten Bundestagswahl nicht wieder an. Ob er dann jedoch seinen Platz räumen muss, ist noch unklar.
Es sieht also nicht gut aus für die „klare, offene, demokratisch kontrollierte Gemeinschaft“. Wetten werden aber noch angenommen, denn einige Delegierte sind für Überraschungen gut. Spanien zum Beispiel hat die Europaabgeordnete Ana Palacio als Regierungsvertreterin ins Konventspräsidium entsandt. Die spanische Konservative kennt das EU-Geschäft inklusive sämtlicher Verfahrenstricks. Mit ihrem sozialistischen Kollegen im Europaparlament Katiforis, der von der griechischen Regierung entsandt ist, und den Parlamentsvertretern Hänsch und Mendez de Vigo könnte die Spanierin dem Franzosen vielleicht Paroli bieten.
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