: Märchenstunde mit Hamid Karsai
Vor Vertretern der deutschen Industrie verspricht Afghanistans Regierungschef, was diese gern hören wollen. Die Wirklichkeit sieht anders aus
BERLIN taz ■ „Deutsche Produkte werden in Afghanistan ohne Fragen gekauft. Sie können dafür jeden Preis verlangen.“ Afghanistans Regierungschef Hamid Karsai kokettierte gestern Vormittag zur Freude seiner Zuhörer mit der Beliebtheit der Deutschen und ihren technischen Produkten in seinem Land. Vor Vertretern der Industrie warb er redegewandt für Investitionen in Afghanistan. Er zeigte sich dabei als Politiker, der weiß, was Investoren hören wollen: Eine effiziente und saubere Verwaltung ohne Korruption versprach er, Investitionsschutz, Freihandel und natürlich ordentliche Gewinne. Auch pries er sein Land als Sprungbrett nach Zentralasien.
Die Zuhörer hätten ihm auch gern geglaubt. Doch Karsais Vortrag beruht zum Großteil auf Wunschdenken und allenfalls guten Vorsätzen. Afghanistans Wirtschaft liegt am Boden. Und von dem, was Karsai versprach, gibt es noch nichts. Dies verdeutlichte der afghanische Wiederaufbauminister Amin Farhang, der bis vor kurzem Wirtschaftsprofessor an der Universität Bochum war. „Die Bevölkerung kann unsere Aktivitäten nicht sehen, und es entsteht langsam der Eindruck, wir machen nichts.“ Doch die Übergangsregierung könne viele Entwicklungen nur einleiten, die noch keine Früchte trügen. Langsam brauche die Regierung aber vorzeigbare Ergebnissse, so der Minister selbstkritisch.
Nach ihrer euphorischen Afghanistan-Reise vor einem Monat sind auch die Mitglieder der damaligen deutschen Wirtschaftsdelegation inzwischen etwas nüchterner geworden. Damals war schon ein Vorvertrag über die Lieferung einer Asphaltmischanlage abgeschlossen worden. Für 60 Millionen Euro wollten drei deutsche Baufirmen die Anlage liefern und 230 Kilometer Straße asphaltieren. Damals hieß es, innerhalb von sechs Wochen könne die Anlage in Kabul stehen. Doch bewegt hat sich seitdem nichts. „Es klemmt hauptsächlich daran, dass das Geld nicht zur Verfügung steht“, sagt Baumanager Volker Jurowich, zugleich Afghanistan-Sprecher der deutschen Wirtschaft. „Wir drängen, dass die Bundesregierung die Anschubfinanzierung gibt, doch bilateral läuft noch nichts.“
Afghanistan hat keine Einnahmen, und die bei der Geberkonferenz in Tokio zugesagten Hilfsgelder können wegen des funktionsunfähigen Bankensystems noch nicht überwiesen werden. Als so gut wie vereinbart gilt allerdings das schon vor einem Monat in Aussicht gestellte Projekt zur Straßenbeleuchtung in Kabul, das der Energieanlagenkonzern ABB durchführen will. Hier kommt das Geld im Umfang von knapp einer Million Euro direkt von der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau. SVEN HANSEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen