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Strahlenschutz nicht „ins Blaue hinein“

Bundesverfassungsgericht: Keine Pflicht zur Senkung der Grenzwerte bei Mobilfunkstrahlung. Politik entscheidet

FREIBURG taz ■ Der Gesetzgeber muss die Grenzwerte für Mobilfunkanlagen nicht verschärfen. Zu diesem Urteil kam gestern das Bundesverfassungsgericht. Es gebe keine Pflicht, Vorsorge „ins Blaue hinein“ zu betreiben, so die Richter.

Konkret ging es um den Fall eines Mannes, der sich gegen die Erweiterung eines Mobilfunk-Sendemasts der Deutschen Telekom um zusätzliche Einrichtungen wandte. Er befürchtete Gesundheitsschäden durch „Elektrosmog“. Schon jetzt leide er an Herzrhythmusstörungen und Hörschäden, wenn er sich längere Zeit in seinem Haus aufhalte. Das Haus steht 20 Meter neben dem Sendemast.

Die Gerichte in Rheinland-Pfalz wiesen die Klage des Mannes ab, da die Anlage alle Grenzwerte einhalte. Es gebe auch keinen Beleg dafür, dass die Gesundheitsbeschwerden des Mannes durch Mobilfunkstrahlung ausgelöst wurden. Daraufhin erhob der Kläger Verfassungsbeschwerde: Der Staat werde seiner „Schutzpflicht“ für die Gesundheit der Bürger nicht gerecht, wenn er auf die derzeit gültigen Grenzwerte vertraue.

Mit klaren Worten hat Karlsruhe diese Klage nun abgelehnt. „Eine Pflicht des Staates zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen besteht nicht“, heißt es. Die geltenden Grenzwerte müssten nur dann verschärft werden, wenn es „verlässliche wisssenschafltiche Erkenntnisse“ über gesundheitsschädliche Wirkungen gebe. Solche Studien lägen jedoch nicht vor. Es reiche auch nicht aus, dass nachteilige Auswirkungen durch Mobilfunk lediglich „nicht auszuschließen“ seien. Nach Ansicht der Verfassungsrichter ist es vielmehr eine „politische Entscheidung“, welches Maß an Vorsorge in einer solchen „Situation der Ungewissheit“ zu treffen sei.

Die Verantwortung der Politik stellten die Karlsruher Richter auch an einem zweiten Punkt heraus. Der Kläger hatte kritisiert, dass die Gerichte in Rheinland-Pfalz keine Sachverständigengutachten zur Mobilfunkbelastung einholen wollten. Dies hielt das Verfassungsgericht im Hinblick auf die staatliche Gewaltenteilung aber ausdrücklich für sachgerecht. Nur die Exekutive in Regierung und Verwaltung, nicht aber ein einzelnes Gericht oder ein einzelnes Gutachten sei in der Lage, eine „Gesamteinschätzung“ der wissenschaftlichen Diskussion zu leisten.

Die Entscheidung dürfte auch Bedeutung für die Grenzwerte im Atom-, Luft-, Wasser- oder Chemikalienrecht haben. Dort sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse allerdings allgemein anerkannter als im Bereich der elektromagnetischen Strahlung durch Mobilfunkanlagen. (Az. 1 BvR 1676/01) CHRISTIAN RATH

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