: Scharon setzt weiter auf Krieg
Israels Premier kündigt „totalen Krieg“ gegen den Terror an. „Nichts Neues also“, kommentiert ein Abgeordneter. Internationale Politik ist ratlos
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
„Wir haben alles versucht, so behauptete Israels Premier Ariel Scharon am Sonntagabend in einer Rede an das Volk, doch „alles, was wir dafür erhielten, war Terror.“ Den will er mit einem „totalen Krieg“ bekämpfen. „Nichts Neues also“, kommentierte der Abgeordnete Jossef Lapid (Schinui), sondern „erneut mehr vom Gleichen.“ Scharon liefert wie bisher keine politischen Lösungen. Stattdessen rekrutierte die Armee 20.000 Reservisten, während der Terror offenbar unaufhaltsam andauert.
Kaum hatten sich die Außenminister der Arabischen Liga letzte Woche für die saudi-arabische Friedensinitiative ausgesprochen, begann das israelische Militär mit der größten Invasion in die Autonomiegebiete seit Beginn der Intifada. Die gesamte Stadt Ramallah, darunter der Sitz von Palästinenserführer Jassir Arafat, wurde neu besetzt. Panzer und Infanteriesoldaten beschossen wiederholt das Büro Arafats, wobei auch die Frischwasserzuleitung zerstört wurde. Der Palästinenserführer sitzt seit vier Tagen in dem Gebäude fest, aber der Sprecher der israelischen Armee erklärt, dass man „Maßnahmen unternehme, um Arafat nicht zu verletzen“. Bei Razzien konfiszierten die Israelis Waffen sowie gefälschte israelische Banknoten in Millionenhöhe. Mindestens 500 Menschen wurden bei der Militäroperation, die die Armee gestern auf die Städte Bethlehem und Kalkilia ausweitete, festgenommen. In Tulkarem, Nablus, Bethlehem und Kalkilia töteten Paläsitinenser 18 der Kollaboration verdächtige Landsleute.
Mit der Operation „Wall“ reagierte Israel auf eine Reihe schwerer Terrorattentate, allen voran das Selbstmordattentat am Pessachabend in einem Hotel in Netanja, dem über 20 Menschen zum Opfer fielen. Innerhalb weniger Stunden kam es dann am Sonntag nach dem israelischen Einmarsch in Ramallah zu Anschlägen in einem Haifaer Restaurant mit 14 Toten sowie zahlreichen Verletzten in einer jüdischen Siedlung unweit von Bethlehem. Außenminister Schimon Peres, der früher wiederholt eine neue Besetzung der Palästinensergebiete abgelehnt hatte, erklärte am Wochenende, die Operation werde „mehrere Wochen“ andauern.
Bei vergangenen Invasionen hatte sich die Armee stets beeilt, die Autonomiegebiete wieder zu verlassen, schon um dem Gegner keine Gelegenheit zu geben, sich auf die Situation einzustellen und die stationierten Soldaten zu bedrohen, aber auch um internationalen Druck zu entkräften. Israel untersagt jetzt zum ersten Mal seit Beginn des Konflikts internationalen Medienvertretern den Zugang zur besetzten Stadt Ramallah. Am Sonntag erklärte die Vizeverteidigungsministerin Dalia Rabin-Philosof, dass Israel angesichts des internationalen Drucks „nur wenige Tage bleiben, um die Operation zur Zerstörung der terroristischen Infrastruktur zu beenden“. Rabin-Philosof bezog sich dabei auch auf die jüngste Entscheidung des UN-Sicherheitsrats, mit der die Mitgliedsstaaten den „Abzug der israelischen Truppen aus palästinensischen Städten“ fordern.
Aus den USA kommen doppeldeutige Stellungnahmen: einerseits die Aufforderung zu einem sofortigen Abzug, andererseits „Verständnis für Israel“, das US-Präsident Bush signalisierte. Bundesaußenminister Joschka Fischer warnte unmissverständlich vor direkten Angriffen gegen Arafat. Fischer sorgt sich vor einer „Destabilisierung der gesamten Region“. Dem müsse entgegengewirkt werden, indem die palästinensische Führung ihre Handlungsfähigkeit zurückerhalte.
Konkrete Maßnahmen kündigten unterdessen lediglich Ägypten und Jordanien an. Von „Kriminalität“ und „unverständlichem Wahnsinn“ sprach der ägyptische Außenminister Achmad Maher. Israel habe, sollte die Belagerung Arafats andauern, mit „diplomatischen Konsequenzen“ zu rechen. Weder Ägypten noch Jordanien sind an einem Krieg interessiert. Selbst Syriens Staatschef Assad hält sich vorerst mit konkreten Drohungen zurück.
Unterdessen wächst auch der innenpolitische Druck auf Scharon, der einerseits Arafat unmittelbar für den Terror verantwortlich macht, andererseits von einem direkten Angriff gegen ihn absieht. Die Exekution des Palästinenserführeres hätte jedoch unabsehbare Folgen und ist derzeit kaum zu erwarten.
Nach Ergebnissen jüngster Umfragen wächst im palästinensischen Volk die Sympathie für Jassir Arafat. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung unterstützen den Palästinenserführer. Demgegenüber äußerten nur etwa 20 Prozent der Befragten Vertrauen in den US-Sonderbeauftragten Anthony Zinni, dessen Mission im Nahen Osten trotz der neuen Gewaltwelle andauert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen