piwik no script img

Geschichte eines Gepfändeten

Für die Schulden der Bankgesellschaft in Milliardenhöhe haften alle Berliner. Landowsky und Co. kommen ungeschoren davon. Ganz anders ergeht es Privatschuldnern wie dem ehemaligen Polizisten Dieter Göttert. Nachrichten aus einem ruinierten Leben

„Weil ich mir keine Schuld gab, habe ich mich auch nicht geschämt“

von WALTRAUD SCHWAB

Noch immer hat Dieter Göttert den Moment vor Augen, als sich sein Schicksal zum Schlechten wendet. Nicht nur rückwärts und in die falsche Richtung geht es von da an, vielmehr befindet er sich im freien Fall. Binnen weniger Jahre verliert er alles, wovon er träumt, woran er arbeitet, wofür er lebt. Unten angekommen, hat er nichts mehr, außer der Gewissheit, dass er sich im entscheidenden Augenblick treu geblieben ist. Seit zwanzig Jahren hält er sich daran fest.

Dabei hat man ihn gewarnt. „Göttert, pass auf, man will dich loswerden“, soll ein Kollege ihm gesteckt haben. Bei Göttert klingt das heute wie „fertig machen“. Er nimmt es nicht ernst. „Was kann man mir schon anhaben?“ In Deutschland, da herrscht doch Recht und Gesetz. Das zumindest meint er sicher sagen zu können, schließlich ist er – der Sohn eines Bergmanns, Enkel eines Bergmanns, Bruder, Cousin, Neffe etlicher saarländischer Bergmänner – bei der Polizei.

Sieben Jahre hat Göttert selber im Bergbau im saarländischen Luisental gearbeitet. Er will Steiger werden. Mit 21 aber treibt ihn Unerklärliches dazu aufzuhören. Ein halbes Jahr später, im Februar 1962, kommen 299 seiner Kumpels bei einer Schlagwetterexplosion ums Leben. Warum er keiner von ihnen ist, versteht er bis heute nicht.

Dass ihn das Leben oft aus der Bahn wirft, kann er da noch nicht wissen. Polizist, so glaubt er, sei eine Alternative, die etwas mit Leuten zu tun hat. Ein sozialer Beruf. Die menschliche Variante des Gesetzes. In Köln fängt er an. Zusammen mit einem Kollegen, der später als RAF-Sympathisant verurteilt werden wird, fährt er Streife. Er nennt ihn seinen „damaligen Freund“. Dessen gesellschaftspolitische Ideen leuchten ihm ein, aber nicht die Art, wie seine Leute sie durchsetzen wollen. „Die Gewalt hat mir nicht gefallen“, sagt Göttert. Darauf besteht er. Dass er beim Aufbau des SEK (Spezialeinsatzkommando der Polizei) in Köln mit dabei ist, steht für ihn nicht im Widerspruch dazu. Er ist einer von denen, die sich von Hochhäusern abseilen, um von außen in Wohnungen zu gelangen und dort Leute zu verhaften. Angst kennt er keine. Im Nachhinein ist er froh, dass er als Polizist nie auf jemanden schießen musste.

Die Liebe verschlägt ihn 1976 nach Berlin. Drei Jahre später passiert es: Der Moment in seinem Leben, an dem alles kippt. Es ist an einem Wochenende. Mit der ihm unterstellten Einsatzbereitschaft soll er ein Asylbewerberheim in der Schöneberger Feurigstraße räumen. Er bläst den Einsatz ab, da er bei der Räumungsverfügung Verfahrensfehler entdeckt. „Man darf die Demokratie nicht aus der Polizei raus lassen“, sagt er. Danach fangen die Schwierigkeiten an. „Mobbing nennt man das heute“, obwohl er sich mit dem englischen Wort noch anfreunden muss. „Ich hätte mich entscheiden können, wie ich gewollt hätte. Es hätte immer zu meiner Entlassung geführt“, sagt er. Dass man kleine Beamte verheizt, um den Rechtsstaat auszuhebeln – Mit einem unvollendeten Satz probt er Entrüstung.

Berufliche Schwierigkeiten sind nicht das Einzige, was ihn plötzlich anficht. Dazu kommt, dass Göttert für seine Frau 150.000 Mark aufnimmt, um sie beim Ausbau eines Seniorenheims in Charlottenburg zu unterstützen. Bau- und Verwaltungsauflagen verzögern die Fertigstellung und verschärfen die finanzielle Situation. Seine Frau wird krank, kann nicht mehr arbeiten und muss das Heim unter Wert verkaufen.

Plötzlich sind Verbindlichkeiten da, die nicht durch Einnahmen gedeckt sind. Wegen der Zahlungsschwierigkeiten kann das Ehepaar auch das Haus am Stadtrand, das es sich auf Kredit erworben hat, nicht mehr halten. Mit Verlust wird es versteigert. Die Schulden laufen auf Götterts Namen. 30 Jahre lang soll er dafür haften. Ein Dienstunfall kommt dazu. 1983 wird er frühpensioniert. Seine Frau sieht in ihm den Versager und zieht aus. Mit nichts steht er da.

Aufgrund der Schulden werden Götterts Pensionsansprüche an das Landesversorgungsamt gepfändet. Dabei hält sich das Amt wegen der speziellen Vorschriften, die für verbeamtete Schuldner gelten, nicht an die Pfändungsfreigrenzen und zahlt ihm jahrelang nur noch zwischen 760 und 1.400 Mark aus. Davon soll er leben, Miete bezahlen, Krankenkasse. Göttert kann nicht. Neue Schulden häufen sich an. Er verliert seine Wohnung, sein Bankkonto, seine Lebensmaximen. Rechnungen wandern ungelesen in den Papierkorb. Die Schuldenspirale beginnt, sich immer schneller zu drehen. Er versucht trotzdem, für etwas gerade zu stehen, was durch Zins, Zinseszins und die Kosten für die Beitreibung der Schulden, die er ebenfalls bezahlen muss, in nicht mehr nachvollziebare Höhen getrieben wird.

Ende der 80er-Jahre zieht Göttert in die Türkei, nach Griechenland, nach Portugal, weil es dort billiger ist. Er lebt in Hütten auf dem Land. Irgendwann wird in seiner Abwesenheit sein ganzes Geld gesperrt. Mit Konsularhilfe geht er zurück und zum ersten Mal wehrt er sich gegen die zu niedrigen Überweisungen.

„Weil ich mir keine Schuld gegeben habe, habe ich mich auch nicht geschämt“, sagt er und wünscht sich doch nichts sehnlicher, als endlich kein Gepfändeter mehr zu sein. Eine neue Frau hat er nicht mehr gesucht. „Mit dem wenigen Geld“, sagt der 62-Jährige schulterzuckend. Dass er Rohköstler geworden ist, entschädige ihn ein bisschen, sagt er. Vor allem Obst liebe er. „Früchte sind sinnlich und süß“. Seine Würde, seinen Glauben an die Menschlichkeit, die holt er sich aus den Büchern. Denn um nicht zu zerbrechen, beginnt er philosophische Texte zu studieren. Die Frühschriften von Marx zum Beispiel. „Da ist viel hängen geblieben.“ Von ihm kommt er zum „Prinzip Hoffnung“ von Bloch. Heinrich Mann hat es ihm ebenso angetan. „Da merkt man, dass es drin arbeitet.“ Sein Studium führt ihn letztlich aber zur Theologie. Das christliche Ideal wird sein Rückrat. Allerdings möchte er Glaube ohne Kirche. „Kirche will Macht“, sagt er, „Glaube aber hat nichts mit Macht zu tun.

„Schuld kann vergeben werden, Schulden scheinbar nicht“, sagt Göttert. „Ich habe bezahlt, bezahlt, bezahlt und es ist immer mehr geworden.“ 250.000 Mark etwa. Die Hälfte davon sind Zinsen. Richtig schockiert sei er aber erst gewesen, als er das mit der Landesbank und Landowsky hörte. „Mir wird gesagt‚ ‚das sind doch Ihre Schulden‘, während Landowsky das Land in den Ruin treibt und dafür noch honoriert wird.“ Da habe er sich wirklich wie Dreck gefühlt.

Erst seit 1999 ist es Privatpersonen möglich, Konkurs anzumelden. Auch Göttert möchte einen Termin bei einer Insolvenzberatungsstelle. „Zwei Jahre Wartezeit“ wird ihm zuerst mitgeteilt. Später gelingt es ihm doch, bei der Beratungsstelle Amos in der Hardenbergstraße als Altfall angenommenen zu werden. Die schafft es in kürzester Zeit, dass sechs der verbliebenen zwölf Gläubiger auf ihre Forderungen verzichten, weil sie sie gar nicht mehr nachweisen können. Zwei Banken erlassen zudem zwei Drittel der Schulden, da die überzogenen Zinsen plötzlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Seit Göttert mit der Schuldnerberatung zusammen arbeitet, hat sich seine Restschuld von 110.000 Euro faktisch auf etwa ein Fünftel verringert. Derzeit wird ein Schuldenbereinigungsplan erarbeitet. Zum ersten Mal seit langem sieht der Gepfändete für sich „eine Chance, Mensch zu sein“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen