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Der Grenzgänger

Der Fernsehmacher Rainer Fromm beschäftigt sich seit zehn Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus. Ein Porträt

von GITTA DÜPPERTHAL

Keine Minibar, kein Telefon, in der Kantine Käsebrötchen mit einem Gurkenfitzel drauf, und im Zimmer hängen jene männlich-jugendlichen Wunschträume an der Wand, wie sie typischer nicht sein könnten. Leicht bekleidete Mädchen aus Zeitungen ausgeschnitten, daneben ein Poster mit „Matrix“, dem Filmhelden, der mit zwei Pistolen aus der Hüfte heraus ballert, und ein Bild von zwei Jungs in Grün bei einer Schießübung. Der freie Fernsehjournalist Rainer Fromm findet es gut, dass er hier, in der Polizeikaserne in Rudolstadt, nächtigt und nicht im besten Hotel am Platz. Weil er sich „nicht abheben möchte von den Realitäten, die junge Auszubildende bei der Polizei haben“.

Und außerdem, sagt Fromm, treffe er hier auf „nette junge Leute“. Solche, die sich für seine Vorträge interessieren und in der Kantine freundlich grinsend grüßen. Sicherlich gibt es auch einige, die demonstrativ und trotzig wegschauen – vor allem wenn Fromm „aufklärerische Filme über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in unserer Republik“ zeigt. Das sind dann, meint er, die „schwarze Schafe“, wie es sie wohl überall gibt.

Bei der Polizei aber, die das staatliche Gewaltmonopol vertritt, sollte es diese schwarzen Schafe gar nicht geben, wie einer der polizeilichen Ausbilder anmerkt. Ebendeshalb beauftragt Helmut Schuchardt von der Landeszentrale für politische Bildung in Thüringen Journalisten wie Rainer Fromm, die Auszubildenden der Polizei auf ihren Berufsalltag vorzubereiten – sie für den Umgang mit Neonazis zu schulen und Polizeianwärter, die selbst für rechte Ideologien anfällig sind, für das Thema zu sensibilisieren.

Dass dies immer gelingt, bezweifeln einige der Auszubildenden. „Sicher, das ist immer Big Show, wenn Herr Fromm hier hin und her spaziert und doziert, und er ist einfach auch sehr sympathisch. Eben eine andere Art Referent, als wir es hier gewohnt sind, nicht so autoritär und sehr locker“, meint einer. Ein anderer fügt hinzu: „Aber wer bei uns auf die Rechten steht, der sagt das doch nicht offiziell im Unterricht, sondern erst hinterher, wenn keiner da ist, der Kontra bieten könnte. Deshalb gibt es auch keine wirklichen Diskussionen.“ Namentlich wollen sie nicht genannt werden. Wer zur Polizei will, weiß: „Alles, was du sagst, kann einmal gegen dich verwandt werden.“

All dies ist nicht überraschend für Rainer Fromm. Der 36-jährige Fernsehmacher, der für die Öffentlich-Rechtlichen und für private Sender arbeitet, sieht seinen Auftrag mit der Fertigstellung seiner Filme nicht beendet. Ihn interessiert, was sein Publikum – aber auch seine Informanten – tatsächlich denken. Das ist keine einfache Aufgabe, denn Fromm beschäftigt sich nahezu ausschließlich mit dem Thema Rechtsextremismus, seit zehn Jahren schon.

Rainer Fromm ist Experte, Sachverständiger. In der Polizeiausbildung ist kein Oberflächenwissen gefragt, hier geht es zur Sache. Die werdenden Polizisten äußern mitunter Vorurteile, die präzise wiederlegt sein wollen: „Man muss sich ja nicht gleich eine Glatze schneiden lassen, wenn man über Skinheads spricht“, so Fromms Devise, „aber wer über die Subkultur berichtet, sollte sich doch die Mühe machen, ein wenig einzutauchen, um zu wissen, worüber er redet.“ Viele Journalisten, kritisiert Fromm, schrieben nur von den Nachrichtenagenturen ab, statt sich der Mühe einer ordentlichen Recherche zu unterziehen. Sich selbst empfindet er in dieser Hinsicht manchmal als „skurriles Auslaufmodell“.

Wegen seiner Kontakte zur rechten Szene muss sich Fromm andererseits von einigen Kollegen den Vorwurf mangelnder Distanz gefallen lassen. Aussteiger aus der Naziszene, wie Jörg Fischer, sehen das anders. „Wenn du ein Interview von jemandem willst, kannst du ihn eben nicht als Nazischwein beschimpfen. Außerdem läuft der typische Rechtsradikale nicht ständig mit Schaum vor dem Mund herum.“ Genau darin, meint Fischer, liege allerdings auch die Gefahr: „Wenn ein Journalist sich spezialisiert, und – wie Rainer Fromm – ein ganzes Jahrzehnt lang immer dieselben Leute zu Interviews trifft, entwickelt man auch Sympathien. Man sieht: Das ist ein Mensch, der mal einen Witz reißt.“

Der Umgang zwischen Journalisten und Rechtsradikalen, so Fischer, sei immer ein gegenseitiges Instrumentalisieren. Und selbst in einer Berichterstattung, die wie Fromms Fernsehreportagen „kritisch geprägt“ ist, sähen Rechtsextreme eine Plattform. Zudem spielten persönliche Eitelkeiten keine geringe Rolle: „Wenn es sein muss, kaufen sich Rechtsradikale auch Antifabücher, nur um zu schauen, ob sie darin erwähnt sind. Sind sie dort als Angst einflößende Persönlichkeiten geschildert, schmeichelt das dem Ego.“

Deshalb, so Jörg Fischer, seien Fromms Berichte eine Gratwanderung. Bilder von Naziaufmärschen zu zeigen sei immer mit Aufwertung verbunden. Denn Nazis wollten ja keineswegs die aufrechten Demokraten ansprechen – deren Empörung nehmen sie in Kauf. Stattdessen geht es ihnen um ein Zielpublikum, „das durch Werte wie Disziplin, Gemeinschaftsgefühl und vermeintliche Stärke, durch jene Aufmärsche symbolisiert, zu faszinieren ist“.

Fromm, der promovierte Politikwissenschaftler, hat noch ein weiteres Spezialgebiet: „Egoshooter“ im Internet. Auch das bringt ihm bei den Jugendlichen in Uniform in der Polizeikaserne in Rudolstadt Anerkennung ein. Und damit die Möglichkeit, Spiele wie „Soldiers of Fortune“ kritisieren zu können, ohne sofort auf Ablehnung zu stoßen. Fromm warnt vor Spielen, bei denen auch Verwundete und Menschen, die bereits aufgegeben haben, erbarmungslos niedergeschossen werden. Oder vor „Nazi-Doom“, wo der Mord an Juden und Schwarzen simuliert wird. Im Unterbewusstsein entstehe bei labilen Menschen das Gefühl: „Ich kann auf Menschen schießen und muss keine Reue empfinden.“ Und Fromm gibt auch zu, selbst gern zu „fraggen“ und verstehen zu können, dass „schnelles Treffen und Zielen aus der Pistolenperspektive zur Sucht werden kann“. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er die Verblüffung seines jungen Publikums genießt.

Die „Fromm-Show“, so drückt es Fromms Kollege Klaus Farin – der ebenfalls die neue Bürgernähe der Thüringer Polizei durch seine Referententätigkeit bereichert – nicht unfreundlich aus, sei immer ein wenig Starkult. Halb Gottschalk, halb Aufklärer, tigert der Fernsehmacher durch einen „Polizei-Zug“, wie die Ausbildungsklassen hier genannt werden. Quer durch den Raum eilt er an staunenden Schülern vorbei. Hin und her. Her und hin. Die jungen Polizistinnen und Polizisten verfolgen seine Bewegungen fasziniert, eifrig die Köpfe wendend.

Richtig Stimmung kommt auf, wenn Fromm seine genialischen Kritzeleien an der Tafel fabriziert. „Picasso was here“, wird hinterher der Kollege witzeln. Da mutiert die DVU der frühen Siebzigerjahre unversehens zum ulkig gemalten Staubsauger, der NPD-Anhänger absaugt. Wenn er auf Jugendkulturen zu sprechen kommt, vier Sorten Skins aufzählt, die keineswegs alle Faschos seien, ist Fromm ganz in seinem Element. Oi-Skins ständen für „Koma-Saufen“, „Pogo“ und „working class“, verkündet er, vielleicht eine Spur zu laut, wohl um sicherzugehen, zukünftigen Fehleinschätzungen junger, übereifriger Polizeibeamter vorzubeugen. Und schließlich, die eigene Begeisterung nur mühsam unterdrückend, malt Fromm ein „Renee“ an die Tafel. Was in der Szene gleichbedeutend mit „kleine Schlampe“ sei, wie er zum Besten gibt. Im Anschluss erläutert er mit zutiefst befriedigtem Unterton, dass sich die Mädchen dies jedoch energisch verbeten hätten. Renee – „vorne Haare, in der Mitte nichts, hinten Haare“, wie Fromm seine Skizze während des Zeichnens rhythmisch kommentiert – verfehlt ihre Wirkung fast nie, bringt immer Lacher. Das weiß Fromm.

Beim Bier am Abend zeigt er Melancholie: „Die wirklich guten Themen kommen erst auf, wenn man den Raum verlässt.“ Das Lob des Ausbildungsleiters Jürgen Loyen nimmt er ebenso gelassen entgegen wie die ganz private Schelte seines Sohnes, mit dem er abends per Handy stets die wichtigsten Ereignisse des Tages erörtert. „Du lässt uns stehen wie einen Sack fauler Walnüsse“, hat der Sohn die ständige Abwesenheit des Vaters kommentiert. Und der gelobt Besserung, nimmt sich vor, die Kinder mal wieder mit ins Studio zum Schnitt zu nehmen oder zu Dreharbeiten, wenn es ungefährlich ist.

Staatliche Behörden, unter anderem ein Landesinnenministerium, gehören zu den Abnehmern seines neuen, gemeinsam mit Barbara Kernbach verfassten Buchs, „Rechtsextremismus im Internet. Die neue Gefahr“ (Olzog Verlag, München 2001, 288 Seiten, 14,90 Euro). Nicht immer ist sein Verhältnis zu staatlichen Behörden so konstruktiv: Letztens habe er eine Kinderpornoseite an die Polizei gemailt, denn diese habe ihn „sehr entsetzt“. Bedankt habe man sich allerdings nicht, murrt Fromm.

Fromms journalistische Arbeit ist stets ambivalent: Unabhängigkeit beim Recherchieren in der rechten Szene, doch bei Polizeiseminaren und Vorträgen bei Innenbehörden vermittelt er sein Know-how – „das Rüstzeug für die Polizei zum Argumentieren mit der rechten Szene, um dort überhaupt ernst genommen zu werden“. Die Antwort auf Anfragen zu aktuellen Demonstrationsterminen und zu Hintermännern bleibe er jedoch stets schuldig. Als „Selbstbedienungsladen für die Staatsanwaltschaft“ wolle er nicht fungieren, betont Fromm. Die Strukturen bei der Polizei selbst sind für ihn beim Seminar in Rudolstadt kein Thema. Obgleich doch bekannt ist, dass gerade die Polizeiausbildung auf rechte Jugendliche besondere Anziehungskraft ausübt. Neonazistische Organisationen, wie zum Beispiel die schon seit Jahren verbotene FAP, empfahlen ihren Mitgliedern etwa, die staatliche Ausbildung an der Waffe wahrzunehmen. Die direkte Konfrontation sucht Fromm nicht mit den jungen Polizisten, sondern mit Führungskräften: „Schon wegen der Zeitökonomie, schließlich toure ich im Eiltempo durch die Polizeizüge.“

Staatstragender Journalismus, könnte man sagen, gäbe es da eben nicht diese andere Seite. Fromm ist Pädagoge. Er liebt es, mit seiner Klientel näher in Berührung zu kommen. Wie etwa jenen Jugendlichen, die bei so genannten Lan-Partys Wettbewerbe im Gewalt-Computerspiel veranstalten. Ob das wohl „der echte Dr. Fromm“ sei, der sich da im Chat meldete, fragten sich die Kids überrascht. „Klar, sitzt doch leibhaftig neben mir“, meldete einer der Teilnehmer. In einschlägigen Internetforen verzichteten Spielefans kurzzeitig auf ihr „Fun-Geschwätz“ und diskutierten Fromms Film „Von der Bilderwelt zum Waffenheld“. Ein simples „Spiele sind böööse“ bringe nicht weiter, findet Fromm. Die „Egoshooter“, jene virtuellen Figuren, die sich in Computerspielen den Weg frei schießen, sollten endlich auch Einzug in den Unterricht halten, so der Fernsehmacher. Solche Äußerungen kommen bei den Kids gut an: „Nicht zu fassen, dass ein Wissenschaftler so gute Ideen hat.“

Fromm, Sohn eines Verkäufers und einer Sekretärin, hat eine liberale Erziehung genossen. Weder Antisemitismus noch Fremdenfeindlichkeit oder Vorurteile gegen alternative Lebensentwürfe hätten in seiner Familientradition je eine Rolle gespielt. „Dass man allen Leuten ihr Leben lässt, wie sie es leben wollen, ist in meiner Familie stets die Grundmaxime gewesen.“ Aus dieser Erfahrung heraus ist der Experte für Rechtsextremismus auch gegen ein NPD-Verbot. Denn Verbieten, sagt Fromm, hilft nicht gegen ein geschlossenes rechtes Weltbild.

GITTA DÜPPERTHAL, Jahrgang 1956, lebt als freie Journalistin in Frankfurt am Main.

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