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Engel bei Hinrichtung

NS-Kriegsverbrecher-Prozess gegen Friedrich Engel hat begonnen. Der Angeklagte gibt sich unschuldig und verteidigt sich selbstbewusst

von PETER MÜLLER / ANDREAS SPEIT

Er wirkt nicht müde, er ist geistig rüstig und wehrt sich kräftig – er steht zu dem, „was er tun musste“. Für jede seiner Handlungen hat der 93-Jährige scheinbar eine gerechte Erklärung, nur ab und zu nutzt er seine Schwerhörigkeit, um seine Gedanken bei Nachfragen zu ordnen, damit die Antwort in sein Verteidigungsschema passt. Dann kommt ein klarer Satz: „Ich widerspreche der Anklage.“ Unter starken Sicherheitsvorkehrungen und großem internationalem Medieninteresse begann gestern der NS-Prozess gegen den Kriegsverbrecher „Fritz“ Friedrich Siegfried Engel vor dem Hamburger Landgericht. Der 1999 in Abwesenheit vom Turiner Militärgericht wegen 246fachen Mordes verurteilte „Schlächter von Genua“ muss sich wegen 59fachen Mordes nun auch vor der deutschen Justiz verantworten.

„Die Verantwortung für die Durchführung der Exekution lag bei der Kriegsmarine!“ Engel lehnt ernergisch jegliche Schuld für die Erschießung von 59 Partisanen am 19. Mai 1944 am Turchino-Pass ab. „Ich habe die Erschießung nicht angeordnet.“ Sie war aus Vergeltung für einen Bombenanschlag auf ein Wehrmachtskino in Genua vorgenommen wurden, bei dem am 15. Mai fünf Marinesoldaten getötet wurden. Der Befehl für die „Sühneaktion“ ist laut Engel von seinem direkten Vorgesetzten aus Mailand auf Weisung des Führers gekommen, die Ausführung habe dann die Marine an sich gerissen. Für einen deutschen Soldaten zehn Italiener.

Obwohl Engel noch viele Details im Gedächtnis hat, kann er sich an den Verlauf der Erschießung im Morgengrauen nicht mehr erinnern. „Ich habe sie nicht beobachtet, um ein Schauspiel zu sehen, ich habe mich eher zu verstecken versucht“, wehrt Engel ab. Denn ihm sei bewusst gewesen, dass eigentlich etwas „Unrechtmäßiges“ geschieht. Schließlich hätten sie nicht die Täter des Anschlages fassen können. Er trage daher auch eine gewisse „Mitschuld“, da er als Leiter des Sicherheitsdienstes des Sonderkommados Genua die Auswahl der Gefangenen aus dem Genuaer Knast Marassi vornehmen musste.

Dennoch glaubt er nichts Ungerechtes getan zu haben, weil durch seine Auswahl keine Zivilisten erschossen wurden, sondern „Terroristen“, die es verdient hätten. „Ich habe nur solche Gefangenen ausgesucht, die sich als Partisanen mit Waffen gegen unsere Wehrmacht betätigt haben.“ Erinnern kann sich Engel daran, dass er über seinen Stellvertreter dafür sorgte, dass die Geiseln auf „anständige militärische Weise“ hingerichtet wurden – und nicht per Genickschuss mit Pistole. „Ein Mann stehend in Augenrichtung zu den Gewehren und für das eingestehend, was er getan hat.“

Der Prozess wird fortgesetzt.

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