Hochgekochter Jugendschutz

Vor kurzem wollte der Kanzler das Jugendschutzgedöns in die nächste Wahlperiode verschieben. „Nach Erfurt“ kann er einen fertigen Entwurf aus der Tasche ziehen. Alle Gewaltmedien sollen kontrolliert werden – auch wenn es technisch nicht möglich ist

von CHRISTIAN FÜLLER

Mancher Teenie wird sich die Augen reiben. Noch vor wenigen Wochen kündigte Ministerin Christine Bergmann (SPD) an, sie wolle den Jugendschutz ihrer „Lebensrealität“ anpassen. Das bedeutete: Liberalisieren – etwa indem sie Discos auch für 14-Jährige öffnete. Irgendwie verschwand die Novelle in den Tiefen ihres Ministeriums. Nun taucht der Jugendschutz wieder auf – schneller und in einer härteren Fassung, als es sich irgendjemand vorgestellt hätte.

Der Bundestag soll den Gesetzentwurf, den das Kabinett am Mittwoch beschloss, noch kommende Woche beraten. Zentrale Themen darin sind ein besserer „Schutz“ Jugendlicher vor Gewaltvideos und brutalen Computerspielen sowie verschärfte Zigaretten- und Alkoholregelungen. Die umstrittene Liberalisierung von Diskothekenbesuchen dagegen wurde kurzerhand gestrichen.

In Bergmanns Ministerium macht man keinen Hehl daraus, dass es eilt. Das Gesetz soll noch vor der Wahl in Kraft treten – daher müsse auch der Bundesrat noch im Juli zustimmen. Die Ministerpräsidenten haben im Kanzlergespräch Anfang der Woche ihr Placet signalisiert. Die Länderchefs waren mit Gerhard Schröder wegen des Erfurter Amoklaufs zusammengekommen, dem vor zwei Wochen 16 Menschen zum Opfer gefallen waren. Der Schütze, ein gescheiterter Schüler und intensiver Nutzer von Gewaltmedien, hatte sich danach umgebracht.

Die Geschwindigkeit, mit der das Thema nun durchs Parlament soll, kann nicht über die Komplexität der Materie hinwegtäuschen. Zwar will Bergmann rein äußerlich ein übersichtlicheres Jugendschutzgesetz durchbringen, indem sie die alten Gesetze zum Jugendschutz in der Öffentlichkeit und zur Verbreitung jugendgefährdender Schriften zusammenfasst. In der Sache aber bleibt es schwierig, jugendgefährdende Medien zu kontrollieren. Im Grundsatz bestand schon vor Erfurt Einigkeit, neue Kontrollgremien einzurichten bzw. die Kompetenzen bereits bestehender zu erweitern.

So soll die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften künftig auch auf neue Medien wie das Internet Zugriff haben. Die Prüfstelle setzt bislang kritikwürdige Texte und Filme nur auf Antrag auf den Index. Nun soll die Prüfstelle auch von sich aus tätig werden.

Die Arbeit der Prüfstelle sollen neue „Kommissionen für Jugendmedienschutz“ auf Länderebene unterstützen. Sie beurteilen, ob ein Film, eine Publikation oder ein Computerspiel Jugendliche beeinträchtigt – und verbieten sie notfalls auch dann, wenn sie noch gar nicht indiziert sind.

Gegen die einfach klingende neue Verbotspraxis spricht zweierlei – die technische Machbarkeit und der Föderalismus. Gewalt im Internet zu verbieten ist nämlich kaum möglich. Und wie viel von den neuen Medienschutzkommissionen übrig bleibt, kann erst gesagt werden, wenn die Länder den entsprechenden Staatsvertrag geschlossen haben.

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