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Zwischen Moral und Zensur

Dürfen Deutsche Juden kritisieren? Wie darf die Mehrheit über Minderheiten sprechen? Anmerkungen zum Streit zwischen Michel Friedman und Jürgen W. Möllemann

Der Kampf gegen Antisemitismus ist Aufgabe der deutschen Mehrheit – nicht des Zentralrates der Juden

Zwischen Jürgen Möllemann und Michel Friedman tobt ein hitziger rhetorischer Kampf. Es ist ein Zwist zwischen zwei Männern, die sich in ihrer Egomanie ähnlicher sind, als ihnen lieb und bewusst sein dürfte. Aber das ist nebensächlich.

Wesentlich sind die Fragen, die in diesem Streit verhandelt werden: Darf die Mehrheit die Minderheit kritisieren? Wie dürfen Deutsche über deutsche Juden sprechen? Ist Deutschland aus historischer Verantwortung dazu verdammt, die Politik Israels kritiklos hinzunehmen? Das sind schwierige, unangenehme Fragen. Und notwendige. Sie stellen Bilder in Frage, die wir uns von uns selbst machen.

In einer Demokratie gibt es keinen sakralen, vor Kritik abgedichteten Raum. Denn das widerspricht nicht nur der Idee der offenen Gesellschaft – solche Gehege nützen auch den Privilegierten nicht, weil in ihrem Schatten Ressentiments wuchern. Schon deshalb muss man auch den Zentralrat der Juden kritisieren können, Michel Friedman sowieso. Denn wer spricht, wenn Friedman spricht? Der aggressive Talkmaster, der CDU-Politiker, der Vizepräsident des Zentralrates der Juden? Hinzu kommt, dass viele in Friedman den Inbegriff der öffentlichen Allgegenwart jüdischer Deutscher sehen. Das weckt Vorurteile. Übersehen wird dabei: Diese mediale Repräsentanz spiegelt keineswegs den durchaus geringen politischen Einfluss der Juden in Deutschland wider.

Der Streit zwischen Friedman und Möllemann zeigt, wie weit die Gefühls- und Wahrnehmungswelt von Deutschen und deutschen Juden derzeit auseinander klaffen. Seit dem 11. September, der Eskalation in Nahost, den Angriffen auf Synagogen in Frankreich haben viele Juden hierzulande Angst. Viele Deutsche haben umgekehrt das Gefühl, dass Kritik an Israel irgendwie – um es so präzise wie möglich zu sagen – unterdrückt wird.

Diese Differenz zwischen Mehrheit und jüdischer Minderheit überhaupt erst mal wahrzunehmen und zu ertragen, erweist sich als reichlich kompliziert. Für offenen, nicht ressentimentverhangenen, klärenden Streit zwischen Mehrheit und Minderheit existiert kein brauchbares Muster. Offenbar würde dieser Streit einen stillschweigenden, jahrzehntelang gültigen Deal zwischen Deutschen und deutschen Juden in Frage stellen. Die deutschen Juden waren der lebende (und für die Bonner Regierungen überaus wichtige) Beweis, dass in der nachfaschistischen Bundesrepublik alles im Lot war. Dieser Beweis wurde alljährlich auf rituellen Feierstunden zelebriert. Dafür delegierte die Mehrheitsgesellschaft – genauer: deren politische Repräsentanten – an die deutschen Juden die moralische Definitionsmacht, was als antisemitisch zu gelten hatte. Der Zentralrat spielte und spielt im deutschen Psychohaushalt die Rolle einer Kontrollinstanz. Vielen Deutschen ist dies lästig, deshalb ist Möllemann so populär.

Ist diese Arbeitsteilung, die Delegation des kollektiven Über-Ichs an den Zentralrat, 2002 wirklich noch nötig? Liegt in der Historisierung des Nationalsozialismus und der Erkenntnis, dass unsere stabile Demokratie auf „Wächter“ verzichten kann, nicht die Chance, sich weniger schablonenhaft wahrzunehmen?

Dazu müsste die deutsche Mehrheit Antisemitismus allerdings nicht mehr für etwas halten, für dessen Beurteilung vor allem Juden zuständig sind. Möllemanns Spiel mit Antisemitismus zu ächten, fällt in unseren Zuständigkeitsbereich. Das Gleiche gilt für den notorischen, von geheimen Entlastungswünschen angetriebenen Versuch mancher Deutscher, die brutale Politik Scharons mit NS-Methoden gleichzusetzen.

Von den hiesigen jüdischen Repräsentanten wünschen wir uns, wo es um die aktuelle Israel-Politik geht, den Verzicht auf moralisches Hyperventilieren. Die verständliche Angst bei manchen deutschen Juden, ihr Gefühl, allein gelassen zu werden, findet auch darin ein Ventil, deutsche Kritik an Israel pauschal unter Antisemitismusverdacht zu stellen. Dieses Urteil ist tendenziös und falsch. Es erinnert, spiegelverkehrt, an Möllemanns Selbstinszenierungen als einsamer Kämpfer gegen eine philosemitische, mediale Übermacht. Jüdische Repräsentanten müssen darauf achten, Scharon nicht mit dem moralischen Bonus, über den sie hierzulande verfügen, vor Kritik zu immunisieren. Solche Versuche sind nicht nur ethisch fragwürdig – sie rüsten unfreiwillig antijüdische Ressentiments mit dem Anschein des Rationalen auf.

Doch Möllemanns Erfolg fußt nicht nur auf den Blockaden im deutsch-jüdischen Verhältnis. Er kann mit seiner Rüpelei gegen Friedman auch deshalb auf Zustimmung hoffen, weil viele Bürger das Gefühl haben, ihr Unbehagen an der Politik von Vertretern religiöser und ethnischer Minderheiten nie wirklich offen formulieren zu können. Deshalb wird Möllemanns Kritik vielerorts als Befreiung empfunden.

Ganz ähnliche Reaktionen waren zu beobachten, als der Spiegel vor einigen Jahren mit seiner Titelgeschichte „Gefährlich fremd“ die liberale Erzählung über die multikulturelle Gesellschaft konterkarierte. Multikulti, so lautete die Botschaft, ist nicht per se gut, Kritik an Türken, Rumänen oder Kosovo-Albanern nicht per se rechts. Nicht die Deutschen, vor allem die Eingewanderten sind Täter, die unser Zusammenleben in Frage stellen, so der Subtext.

In einer Demokratie gibt es keinensakralen, vor KritikabgedichtetenRaum

Einmal auf diese Weise vom Zentralorgan der bundesdeutschen Info-Elite ermutigt, schlug das Pendel um. Die jahrelange Zurückhaltung verschwand, die Anklage wurde salonfähig: Das antimoderne, kriminelle, abgeschottete Verhalten von Ausländern erzeuge erst die Intoleranz und Abwehr vieler Deutscher, war nun zu hören.

Die Mehrheit pendelt offenbar unschlüssig zwischen Beschweigen sichtbarer Differenzen, das den Bürgern vermeintlich von den politisch Korrekten abgepresst wird, und aufgeregten Anklage gegen Minderheiten. Dieses Schwanken ist Ausdruck eines unsicheren Selbstbildes der Mehrheit. Rationale Kritik am Zentralrat der Muslime, der Türkischen Gemeinde oder dem Zentralrat der Juden scheint damit unmöglich.

Verwunderlich ist dies umso mehr, weil es offenkundig gar niemand gibt, der diese Kritik untersagen kann. Es geht nicht, wie Möllemann und Karsli suggerieren, um Zensur. In der Bundesrepublik fehlt vielmehr eine Diskussionskultur, in der die differenten Sichtweisen von Minderheit und Mehrheit zum Ausdruck kommen können – ohne sofort in die Sackgasse gegenseitiger moralischer Erpressung zu führen. STEFAN REINECKE/EBERHARD SEIDEL

Fotohinweise: Stefan Reinecke ist politischer Korrespondent der taz. Eberhard Seidel leitet das Inlandsressort der taz.

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