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Weit weg von Jürgen W.

Auf der Erfolgswelle des Projekts 18 sind die Berliner Liberalen ins Parlament gesurft. Jetzt wollen sie nichs mehr wissen von Jürgen W. Möllemann. Ihre eigenen Rechtsauslegern seien keine Antisemiten

von ROBIN ALEXANDER

Zwischen Düsseldorf und Berlin liegen gut 600 Kilometer. Eine lange Strecke. Doch nicht lang genug, um nicht noch ein Stück wegzurücken von Jürgen W. Möllemann, der in der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen ein Spiel treibt, das seine Parteifreunde in Berlin immer nervöser macht. „Ich war einer der ersten, der sich öffentlich gegen die Aufnahme von Karsli gewandt hat“, sagt Martin Lindner, Fraktionschef der FDP im Abgeordnetenhaus. Nicht nur Lindner, die gesamte Fraktion hat sich schon vor einer Woche einvernehmlich verständigt: „Wir würden einen Karsli nicht aufnehmen.“ Jamal Karsli ist der langjährige Grünenpolitiker und Flüchtlingsaktivist, der öffentlich als Antisemit gescholten wird, seit er antijüdische Stereotype in einem Interview und in einer verunglückten Presseerklärung benutzte. Diesen Karsli wollte Möllemann in die FDP holen und mit ihm Stimmen vom rechten Rand, fürchten Beobachter. Deshalb habe Möllemann auch Michel Friedmann beschimpft, seine aggressive Art leiste Antisemitismus in Deutschland Vorschub.

Stimmen vom rechten Rand? Latente Antisemiten als Anhänger? Damit wollen sie hier in Berlin nichts zu tun haben, versichert Lindner wieder und wieder. Dabei sind gerade die hiesigen Mitglieder Möllemann zu Dank verpflichtet: Das von ihm konzipierte Projekt 18 zog die Berliner FDP aus dem Tal der Tränen auf stolze 9,9 Prozent und ins Parlament. „Aber das Projekt 18 sollte nichts damit zu tun haben, an Ressentiments zu appellieren“, bittet der stellvertretende Landesvorsitzende Markus Löning fast flehentlich (siehe Interview). Noch im April habe die Fraktion in einer Erklärung festgehalten: „Die FDP-Fraktion verurteilt jede Spielart von Antisemitismus auf das schärfste.“ Der Landesvorstand hat es darüber hinaus für nötig gehalten, am 23. Mai an alle Mitglieder einen Brief zu verschicken, indem er auf den Israel-freundlichen Nahostbeschluss des Mannheimer Bundesparteitags verweist.

Günter Rexrodt, schon ewig dabei und Landesvorsitzender, wundert sich über die Nervosität der Berliner FDP nicht: „Unser Landesverband wurde immer – und manchmal nicht ganz zu Unrecht – mit Strömungen des Rechtspopulismus in Verbindung gebracht.“ Tatsächlich versuchte in den Neunzigerjahren eine Gruppe von so genannten „Nationalliberalen“ vergeblich die Berliner FDP rechts von der Union zu positionieren. Die Rechtsausleger wurden marginalisiert oder in den Mainstream eingebunden, betont Rexrodt. Und selbst die schlimmsten Euro-Gegner und Nationalen im Chaosbezirk Tempelhof-Schöneberg seien „bestimmt keine Antisemiten gewesen“.

Wolfgang Mleczkowski, 58-jähriger Abgeordneter aus Spandau, ist einer von drei Fraktionsmitgliedern, von denen selbst ihr Chef Lindner sagt, „sie haben in der Vergangenheit nationalbetonte Positionen vertreten“. Noch in diesem Januar hat Mleczkowski den rot-roten Senat in einem Antrag aufgefordert, nicht Rosa Luxemburg ein Denkmal zu errichten, sondern dem historisch umstrittenen Gustav Noske. Mleczkowski, der sich als „ausgesprochen pro Israel“ versteht, sieht keine antisemitische Tradition in Berlin. Er glaubt „in Preußen – und gerade in Berlin – sei der Antisemitismus vergleichsweise gering gewesen.“ Goebbels habe „nicht wenig Mühe gehabt, den Ku’damm judenfrei zu machen. Das Wort Pogrom stammt aus dem Osten“. Der „aktive Vernichtungsapparat“, so Mleczkowski „war zu achtzig Prozent von Österreichern besetzt“. Der Abgeordnete Mleczkowski ist gelernter Historiker – einer mit seltsamen Ansichten. Aber ein Antisemit? Geradezu stolz berichtet er, seine BVV habe mit FDP-Stimmen die Rückbenennung der Spandauer Kinkelstraße in „Jüdenstraße“ beschlossen.

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