: Land unter am anderen Ufer
Schulsenator Böger nimmt Schwul-Lesbisches in die Sexualerziehung auf und schließt gleichzeitig die einzige Einrichtung, die Lehrer entsprechend fortbildet. Das gefällt der GEW und auch Wowereit nicht. Fehlende Sensibilität wirft er der Verwaltung vor
von SABINE AM ORDE
Die Schulverwaltung hat gerade neue Richtlinien zur Sexualerziehung beschlossen. Erstmals werden darin auch schwul-lesbische Lebensweisen und Transsexualität als Themen der Sexualerziehung genannt. Das entspricht dem heutigen Stand der Sexualpädagogik. Doch noch bevor sich diese Neuerung in den Schulen niederschlägt, will die Verwaltung die einzige Einrichtung schließen, die LehrerInnen auf diesem Feld fortbildet: den Verein „Kommunikation und Bildung vom anderen Ufer“ (Kombi), ein bundesweit einmaliges Projekt.
Die Umsetzung des neuen Rahmenplans aber sei in der Praxis nur durch professionelle Fortbildung möglich, kritisierte gestern Detlef Mücke von der GEW. „Schließlich handelt es sich bei der Sexualerziehung um einen sehr schwierigen Bereich.“ Die Schulverwaltung selbst empfehle in einem Rundschreiben die Zusammenarbeit mit Kombi.
Auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der sich vor einem Jahr als homosexuell outete, hält nichts von den Kürzungen im schwul-lesbischen Bereich. „Ich hoffe sehr, dass der Hauptausschuss die geplanten Kürzungen korrigiert“, sagte Wowereit im Interview mit der Siegessäule, das in der Juni-Ausgabe des Magazins am 30. Mai erscheint. Er sei nach wie vor der Auffassung, dass dieser Bereich nicht überfinanziert sei. „Es ärgert mich tatsächlich“, so Wowereit weiter, „dass die Fachverwaltung keine entsprechende Sensibilität aufbringt.“
Chef der entsprechenden Fachverwaltung ist Wowereits Parteifreund, der Schul- und Jugendsenator Klaus Böger. 74.600 Euro will Böger insgesamt bei seinem Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen einsparen, dessen Etat bislang 330.000 Euro umfasst. 60.000 Euro soll die Schließung von Kombi, kleinere Summen sollen Kürzungen beim Schwulen Überfalltelefon und dem Schwulen Museum bringen. Ein Problem für die Sexualerziehung in den Schulen sieht Böger nicht. „Die Arbeit soll der Verein Lambda übernehmen, dessen Mittel aufgestockt werden“, so Bögers Sprecher Thomas John.
Der Verein Lambda, der Aufklärungsprojekte an Schulen durchführt, hält davon nichts. „Zum einen sollen wir gerade mal eine halbe Stelle bekommen, das reicht bei weitem nicht“, sagte Mitarbeiter Heiko Kleyböcker. „Und zum Zweiten arbeiten wir mit Ehrenamtlichen und haben eine andere Zielgruppe: Jugendliche und Schüler.“ Bei Kombi bildet seit 21 Jahren ein Team aus einem Mann und einer Frau LehrerInnen, ErzieherInnen und SozialpädagogInnen fort. Im letzten Jahr waren es rund 560 PädagogInnen, die wiederum 30.000 Jugendliche erreichten. Kombi will die LehrerInnen für die Vielfalt und Gleichwertigkeit unterschiedlicher Lebensformen und sexueller Orientierungen sensibilisieren. Das sei Gewaltprävention und ein Schritt zur Demokratisierung.
Auch an anderer Stelle wird die Sexualberatung von Jugendlichen gekürzt. Bei Pro Familia werden 50.000 Euro für die Beratung von Jungen und jungen Männern im Bereich Sexualität und Partnerschaft gestrichen. „Dieses Angebot, das wir auch Schulen und der Jugendhilfe gemacht haben und das berlinweit einzigartig ist, fällt weg“, klagte gestern Pro-Fa-Jugendberater Joachim Braun. Der Hauptausschuss wird morgen endgültig über die Kürzungen entscheiden.
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