: Ohne Land kein Frieden
Das israelisch-palästinensische Abkommen von Oslo ist gescheitert. Das war unvermeidlich, meint der Literaturwissenschaftler Edward Said
Am 13. Oktober 2003 wird es zehn Jahre her sein, seit in Washington das Osloer Abkommen zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsfront PLO unterzeichnet wurde. Doch es ist nicht nötig, mit einer Bilanz bis dahin zu warten: Der Osloer Friedensprozess ist gescheitert. Das ist die Grundthese des neuen Buches von Edward Said, eines amerikanischen Literaturwissenschaftlers palästinensischer Abstammung, das den programmatischen Titel „Das Ende des Friedensprozesses“ trägt.
Der Band enthält Essays, die zwischen 1995 und 2001 in arabischen und englischsprachigen Zeitungen erschienen sind. Obwohl man zahlreiche Wiederholungen in Kauf nehmen muss, wird einem die aus der Sichts Saids zwangsläufige Entwicklung der letzten Jahre vor Augen geführt: Die jüngsten Ereignisse sind so gesehen nicht mehr als eine konsequente Fortschreibung auf dem Weg ins Desaster. Einige der Aufsätze wirken fast wie Kommentare zur aktuellen Tagespolitik.
In seinem gut lesbaren Buch analysiert Said schonungslos: Die PLO hat einen schweren Fehler begangenen, als sie sich auf das Osloer Abkommen einließ, das alle zentralen Fragen auf den Nimmerleinstag verschob: die staatliche Souveränität für die Palästinenser, den Status von Jerusalem, Siedlungen und Grenzen, die Flüchtlingsfrage, aber auch die Anerkennung israelischer Schuld bei der Vertreibung sowie das Problem der Entschädigung. Der Autor wird nicht müde zu betonen, dass es den Palästinensern heute wirtschaftlich schlechter geht als vor Oslo. Er verweist darauf, dass sich die eingeschränkte palästinensische Souveränität nur auf ein Bruchteil des Landes bezieht und die palästinensischen Gebiete aus einem Flickentepich von 63 unzusammenhängenden Kantonen bestehen, umzingelt und belagert von israelischen Truppen sowie den Siedlungen, die ständig weiter ausgebaut werden.
So kommt er zu dem radikalen Schluss: „Es hat gar keinen wirklichen Friedensprozess gegeben, lediglich eine Übereinkunft, die israelische Hegemonie über die palästinensischen Gebiete mittels heuchlerischer Rhetorik und militärischer Macht zu sichern.“ Und an anderer Stelle: „So haben wir dank palästinensischem Verhandlungsgeschick ironischerweise den zionistischen Traum erfüllt, den Palästinensern die Herrschaft und die lokale Verwaltung über ihr eigenes Volk zu überlassen, ohne ihnen dafür Land zu geben.“
Somit nimmt Said auch Palästinenserchef Jassir Arafat und dessen Autonomiebehörde nicht von der Kritik aus. Immer wieder moniert er deren Inkompetenz, die Korruption, die Unsummen, die für die verschiedenen Sicherheitsdienste ausgegeben werden, mangelne Demokratie und Menschenrechtsverletztungen. Er wettert dagegen, dass Arafat es vorgezogen hat, durch die Welt zu jetten, anstatt der Bevölkerung zur Seite zu stehen und den zivilen Widerstand gegen die Besatzung anzuführen.
Für Said ist Arafat erledigt: „Oslo lässt sich nicht wiederherstellen oder neu verpacken, wie sich Arafat und Konsorten das vielleicht wünschen. Es ist aus mit ihnen, und je eher sie ihre Sachen packen und gehen, desto besser für alle.“
Angesichts einer derart vernichtenden Bilanz wundert es nicht, wenn er die Frage aufwirft, ob es ohne Oslo-Vereinbarung nicht besser stünde. In der Konsequenz betont er das palästinensische Recht auf Widerstand. Selbstmordanschläge lehnt er jedoch scharf ab und kritisiert als Befürworter eines säkularen, demokratischen Staates die fanatisch-religiösen Tendenzen auf beiden Seiten.
Bei aller Kritik ist Said kein Gegner einer israelisch-palästinensischen Aussöhnung. Seit 1969 hat er an zahlreichen arabisch-israelischen Gesprächsrunden teilgenommen. Auch als Mitglied des Exilparlaments der PLO setzte er sich für eine Zweistaatenlösung ein, bis er 1991 zurücktrat. In seinem Buch wehrt er sich dagegen, wegen seiner Kritik an Oslo als „Friedensfeind“ abgestempelt zu werden.
Ist es also richtig, Oslo derartig scharf abzulehnen? Das Abkommen von 1993 war sicherlich in dem Sinne historisch, als sich beide Seiten nach Jahrzehnten des Konflikts und der Negierung der Existenz des jeweils anderen erstmals die Notwendigkeit eingestanden, miteinander zu reden und eine Lösung auf dem Verhandlungswege zu suchen. Was die Fakten anbelangt, die Said aus palästinensischer Sicht darlegt, wobei er auch auf amerikanische und israelische Quellen zurückgreift, kann man dem Autor in vielen Punkten folgen.
Allerdings streift er nur am Rande die Auswirkungen, die das Desaster von Oslo auf Israel hatte. Aus israelischer Sicht findet der Konflikt heute angesichts der Anschläge auch inmitten der eigenen Gesellschaft statt, mit allen Konseqeunzen für den Alltag. Wenn man Saids Ansatz um diesen Aspekt erweitert, könnte man sagen, dass beide Seiten subjektiv hohe Erwartungen an Oslo hatten. Nun aber haben beide das Gefühl, dass sie viel gegeben, aber wenig bekommen haben – eine Sicht, der Said vermutlich widersprechen würde.
Diese weit verbreitete Frustration ist jedoch Ergebnis des Weges, der mit Oslo beschritten wurde. Es waren die immer neuen Zwischenabkommen, Verzögerungen und wechselseitigen Vorbedingungen, die zur jetzigen Blockade und damit zum Scheitern von Oslo wesentlich beigetragen haben. Gleichzeitig ist damit eine positive Perspektive für beide Völker in immer weitere Ferne gerückt. So geht es heute letztlich darum, den Prozess vom Kopf auf die Füße zu stellen: die politische Lösung muss am Anfang, nicht am Ende stehen. Dem verschließt sich auch Said nicht: „Im Augenblick befinden wir uns jedoch in einer unerträglichen Sackgasse, was mehr denn je eine echte Rückkehr zu den fast schon aufgegebenen Grundlagen des Friedens erforderlich macht, die 1991 in Madrid proklamiert wurden: den UN-Resolutionen 242 und 332 – Land für Frieden.“ BEATE SEEL
Edward Said: „Das Ende des Friedensprozesses. Oslo und danach“, 304 Seiten, Berlin Verlag, Berlin 2002, 22 €
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