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Die Rhetorik des Verdachts

Unterschwelliger Antisemitismus speist die Darstellung des Nahostkonflikts in der deutschen Presse, behauptet eine Studie

aus Berlin STEFAN REINECKE und CHRISTIAN SEMLER

Die deutsche Berichterstattung über den Nahen Osten ist in den letzten Monaten selbst zum umstrittenen Terrain geworden. Jürgen W. Möllemann erweckt seit Wochen notorisch den falschen Eindruck, in Deutschland sei Kritik an Scharons Politik tabuisiert. Umgekehrt warfen Teile der Berliner Jüdischen Gemeinde der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und der taz unlängst antisemitische Tendenzen in der Berichterstattung über Israel vor.

Der Verdacht, den nicht nur Mitglieder der Jüdischen Gemeinde hegen, lautet: Hinter der Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung gegen die „zweite Intifada“ stecken – mehr oder weniger geschickt verborgen – antisemitische Stereotype. Und Bilder und Andeutungen in den Medien transportieren und verstärken diese Neigung.

Stimmt das? Diese Frage ist nahe liegend. Untersuchungen zeigen seit Jahren, dass etwa 15 Prozent der Deutschen antijüdische bzw. antisemitische Klischees im Kopf haben.

Deshalb war es verdienstvoll, dass das DISS, das „Duisburger Institut für Sprach- und Diskursanalyse“, den Versuch unternahm, die verbissene, von Verdachtsrhetorik geprägte Debatte um die mediale Widerspiegelung des Nahostkonflikts auf empirisch solide Füße zu stellen. Das DISS hat, im Auftrag des American Jewish Committee, 427 Texte aus der Frankfurter Allgemeinen, aus Frankfurter Rundschau, Süddeutscher Zeitung, aus der taz, dem Spiegel und dem Tagesspiegel vom September 2000 bis zum August 2001 ausgewertet. Dabei konzentriert sich der Blick auf vier Ereignisse: Scharons Tempelberg-Besuch, die Lynchmorde an israelischen Soldaten in Ramallah, den Tod des palästinensischen Kindes Mohammed al-Dura und den Terroranschlag auf eine Disko in Tel Aviv.

Doch nicht exakte Empirie bestimmt den Ton dieser Studie, sondern eine Meinungsfreude, die von Vorurteilen kaum zu unterscheiden ist.

Ein Beispiel: Am 2. Oktober 2000 erschien in der taz ein Bericht von Susanne Knaul, Korrespondentin dieser Zeitung, über die Unruhen nach Scharons Besuch auf dem Tempelberg. Sie beschrieb wütende Demonstrationen in Palästina, in denen „einige Demonstranten Scharon mit Hitler verglichen“.

Dieses Zitat, so die Studie, sei ein typischer Versuch, das, was Deutsche nicht selbst auszusprechen wagen, durch andere sagen zu lassen. Der Beweis dafür: „Die Demonstranten, die Scharon mit Hitler verglichen, werden in der taz nicht kritisiert.“

Doch dieses Zitat ist kein plausibles Beispiel für die Neigung, den Nahen Osten zur Projektionsfläche deutscher Entlastungswünsche zu machen. Die taz-Korrespondentin hat geschrieben, was geschah – nicht mehr, nicht weniger. Fragt sich: Was wäre denn der korrekte Bericht gewesen? Die Fakten verschweigen? Oder muss die Autorin hinzufügen, dass sie diesen Vergleich für falsch hält? Doch dass Journalisten alles, was ihnen missfällt, mit Distanzierungsfloskeln zu versehen haben, würde geradewegs zu übelstem Gesinnungsjournalismus führen. Abgesehen davon, dass Nazi-Analogien im Nahen Osten, seit Begin 1982 Arafat mit Hitler verglich, seit rechtsextremistische israelische Demonstranten Rabin 1995 als Nazi darstellten, eine leider gängige Analogie und keine deutsche Erfindung sind.

Die Diskursanalyse, die die DISS-Studie anwendet, kann, richtig gehandhabt, nützlich sein, auch und vor allem hinsichtlich journalistischer Arbeit. Dieser Theorie zufolge bewegen sich Medienleute in einem ihnen oft unbewussten Bedeutungsfeld. Ihr Wahrheitsanspruch unterliegt dem herrschenden Interpretationsrahmen, der festlegt, was diese Wahrheit ist bzw. was gesagt werden kann und was nicht. Und durch ihre Arbeit produzieren sie selbst einen Teil der Wirklichkeit, die sie nur zu schildern vorgeben. Doch sollen solche Analysen gelingen, bedarf es vor allem genauer Lektüre und Einordnung.

Doch gerade daran mangelt es hier. Statt sich mit Texten zu beschäftigen, häufen die Autoren Beispiel auf Beispiel, wobei sie souverän außer Acht lassen, ob es sich um Tatsachenbehauptungen, deren metaphorische Verkleidung oder um Wertungen handelt. Wer diese Studie liest, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, der Nahostkonflikt spiele sich eigentlich im Kopf der Journalisten ab.

Daher verfehlt die Studie ihr wichtigstes Ziel – die Aufdeckung von antisemitischen respektive antiislamischen Diskurselementen und den Anschluss der Nahostberichterstattung an antisemitisch und rassistisch aufgeladene deutsche Diskurse.

So unternimmt sie den Versuch, die negative Charakterisierung Scharons als „Bulldozer“ (FR) und schmerbäuchiger alter Kriegsverbrecher“ (FAZ) zu einer Charakterisierung des Israeli und damit des Juden umzudeuten, ohne diese Verallgemeinerung in den Textbespielen nachzuweisen. Unterstellt wird, dass das Beschriebene vor allem einen geheimen Wunsch der Autoren offenbart. So kann man fast alles unter Verdacht stellen.

Ein anderes Beispiel: Ein Bericht in der Welt verweist, um israelische Aktionen zu beschreiben, auf Henryk M. Broders Buchtitel „Die Irren von Zion“. Die Studie kritisiert: Dies kann „auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ und damit auf die Konstruktion einer jüdischen Weltverschwörung anspielen“. Ein instruktives Beispiel für die Entlarvung einer Verschwörungstheorie unter Zuhilfenahme ebendieser Theorie.

Einen absurden Höhepunkt erreicht die Art von Beweisführung in dem Kapitel „Christlich inspirierter Antijudaismus“. Hier hätte sich ein besonders wichtiges Analysefeld eröffnet, denn antijüdische Stereotype christlichen Ursprungs sind oft in der Alltagssprache verwurzelt und denen, die von ihnen Gebrauch machen, oft nicht bewusst und damit – als Ausdruck latenten Judenhasses – besonders gefährlich. Die Studie zitiert in diesem Kapitel einen Satz aus der FAZ: „Wer mit scharfer Munition auf Kinder schießt, riskiert, jeden Anspruch auf den Begriff „Sicherheitskraft“ zu verwirken.“ Schlussfolgerung der Autoren: Hier kann das historische Wahnbild von jüdischen Ritualmorden an Christenkindern nahe gelegt werden. Mit Beweisführung hat das nichts, mit freie Assoziation viel zu tun.

Es geht hier nicht nur um eine misslungene Studie. Möllemanns verlogene Klage über angebliche Denk- und Sprachverbote in Bezug auf Israel und der Generalverdacht, den die DISS-Studie ausspricht – sie sind ein Tandem, sie passen gut zusammen.

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