: Berlin-Hilfe zwischen gestern und morgen
Im Förderungsboom
Obwohl die Definition der Berliner Ökonomie nicht als gewinnorientiert, sondern als kalkulierter Verlust hingenommen wird, beklagt man neuerdings ihr „Fading Away“ – durch Abbau von Kulturförderung und die Privatisierung sozialer Einrichtungen. So als ob nun deren Umwandlung in „Profit-Center“ erfolge. Dabei setzt sich die Berliner Ökonomie hier bloß aufs Neue durch.
Erinnern wir uns: Mit dem Bau der Mauer und der dadurch einsetzenden Flucht der Betriebe nach Westdeutschland wandte sich die Frontstadt mit „Jetzt erst recht“-Parolen an „die Bonner“ und forderte Kompensation. Diese erfolgte in Form von kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen, Ämtern, Behörden, Versorgungseinrichtungen etc. Man gehe nur morgens einmal zum Fehrbelliner Platz, wenn 10.000 Sekretärinnen aus der U-Bahn an ihre Arbeitsplätze in die dorthin platzierte Bundesversicherungsanstalt eilen. Ein Anblick, der das Herz jedes ÖTV-Funktionärs höher schlagen lässt. Auch die Gewerkschaften aber subventionierten Westberlin wie verrückt, indem sie erstens den Bildungsurlaub für alle durchsetzten und zweitens ihre Bildungszentren an Berliner Seen errichteten.
Drüben tat die SED Ähnliches, indem sie Ostberlin in jeder Versorgungshinsicht privilegierte. Nach dem Mauerfall wurden diese ganzen Einrichtungen mit ihrem in die hunderttausende gehenden Personal zusammengelegt – von der BVG über die Zoos bis zur Akademie der Künste und den Fachhochschulen. Wobei überhängige Abteilungen – sofern sie aus dem Osten waren – weggegauckt wurden. Dann ging es an die „Verschlankung“, parallel dazu wurden neue Einrichtungen nach Berlin verlagert: Ministerien, Lobby- und Industrieverbände, Gewerkschaftsverwaltungen, Greenpeace, Botschaften, Banken und Medien.
Wenn vor ein paar Jahren noch hunderte von jungen Akademikerinnen die Woche über als Medienfitti mit dem ICE zur Arbeit nach Hamburg fuhren, dann ist es heute genau umgekehrt: Immer mehr Mitarbeiter aus Hamburger Medien werden in die Hauptstadt verdonnert, um die neue „Berliner Republik“ mit heißer Luft zu füllen. „Die Schlange in die Reichstagskuppel darf niemals abreißen!“ lautet die Anweisung. Dafür sorgen allein schon die ganzen Abgeordneten, die busweise Interessierte aus ihrem Wahlkreis nach Berlin karren, viermal pro Legislaturperiode.
Auch die Ministerien selbst laden sich Besucher zuhauf aus dem In- und Ausland ein. Wie mir ein Sachbearbeiter aus dem „noch relativ kleinen“ Auswärtigen Amt erzählte, gibt man dort allein für Blumenschmuck jährlich über 100.000 Euro aus. Noch mehr fallen diese Haushaltsposten bei den nur mit Repräsentativaufgaben befassten Botschaften ins Gewicht. All dies bringt den Berliner Blumenhandel in Schwung, daneben auch das Gaststätten-, Hotel und Kulturgewerbe.
Die gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen haben das erkannt: Erst setzten sie das Wort „Kultur“ im genehmigungspflichtigen Fortbildungskanon für Arbeitnehmer durch, nun bieten sie dazu Berlin-Kultur an, wobei Ver.di seinen Bildungsurlaubsreigen mit dem Karneval der Kulturen beginnen lässt, während Gewerkschaften mit starker Ruhrgebietsbindung mit dem Endspiel um den DFB-Pokal im Olympiastadion anfangen. Dagegen verknüpft die Unternehmerseite ihre Berlin-Workshops gerne mit Wannseeregatten, Tennis-, Golf- und Hohenzollernevents. Zur Grünen Woche haben die Berliner Bordelle Hochkonjunktur, während bei der Love Parade die meisten Mädchen frei haben.
Die Subventionierung Berlins hat jedenfalls eher zu- als abgenommen seit der Wende. Man kann sogar die Wiedervereinigungsidee „Sonder-Afa“ dazuzählen, denn im Endeffekt hat die durch solche Abschreibungen ausgelöste Bau- und Renovierwut nicht nur Ateliers und Kunstgalerien vermehrt, sondern die Mieten sogar runtersubventioniert. Kultur in jedem Neubau. Inzwischen preist schon die Polizei ihre verzigfachten Überwachungsaufgaben als Schauplätze an – und macht sie für den Metropolentourismus fit.
Die Berliner Wissenschaftler haben es ihnen nachgetan und sorgen mit einem „Metropolendiskurs“ für Furore. Der Hamburger Merve-Philosoph Heinz Bude kreierte gar eine ganze „Generation Berlin“, woraufhin ein Heiner-Müller-Schüler alle Berliner zu „Partisanen“ erklärte. Auch dies war eine vertrauensbildende Subventionierungsaufforderung, denn längst gibt es einen eigenen 1.-Mai-Tourismus nach Kreuzberg und einen „Karl und Rosa“-Tourismus nach Lichtenberg sowie einen 8.-Mai-Parcours von einem der sowjetischen Ehrenmale zum anderen. Längst haben sich die City-Guides diversifiziert und auf jüdische, lesbische, ökologische, ornithologische, religiöse und sexuelle Stadtführungen spezialisiert. Auch hierbei handelt es sich oft um subventionierte „Errungenschaften“ – bis dahin, dass ihre Betreibung auf ABM-, IDA- und/oder LKZ-Basis erfolgt. Allein die Gartenbauämter konnten ihre Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen seit der Wende von 40 auf 6.000 steigern unter dem Motto: „Unsere Hauptstadt soll schöner werden!“ HELMUT HÖGE
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