: bernhard pötter über kinder Kinder haben keinen Zweck
Rentenzahler zeugen ist die erste Bürgerpflicht. Das ist Quatsch. Kinder sind teures Privatvergnügen
Wenn so das Paradies klingt, sehnt man sich nach dem Fegefeuer: „Machen Sie mit“, säuselt die Stimme aus dem Radio, „werden wir gemeinsam schwanger.“
„Wie bitte?“, sagt Anna.
„Hör dir erst mal den Rest noch an“, sage ich.
„Eine Aktion von Radio Paradiso und der B.Z.“, quillt es aus dem Lautsprecher. „Wir schenken der Hauptstadt das Wichtigste: süße kleine Babys in Hülle und Fülle.“ Der ölige Privatfunk der evangelischen Kirchen ruft zusammen mit Springers Boulevardblatt zur Produktion von 2.000 „knuddeligen Babys für Berlin“. Und so geht der Deal: „Sie schenken der Hauptstadt jede Menge Kinderlachen, und wir kümmern uns um den Kitaplatz.“
Von Kinderlachen ist in unserer Küche gerade nicht die Rede. Tochter Tina wehrt sich mit Händen und Füßen gegen den Möhren-Kartoffel-Brei. Sie ist eines dieser Kinder, die ohne publizistische Fertilisationshilfe auf die Welt gebracht wurden. „Das Angebot zieht nur bei Leuten, die ihr erstes Kind erwarten“, meint meine praxisgestählte Frau. „Die anderen wissen, dass man sich die Kita lieber selbst aussucht.“
„Babys für Berlin“ klingt nach „Waffen für El Salvador“. Oder nach „Musik für Millionen“. Oder nach „Einer für alle“. Das trifft die Nachwuchssituation hierzulande ja auch am besten. Die Deutschen werden weniger, die Geburtenrate sinkt. Um eine Bevölkerung stabil zu halten, braucht es 2,1 Kinder pro Frau. In Europa sind es nur 1,4 Kinder. Und dabei haben wir noch Länder wie Irland: Da werden pro tausend Menschen sechs neue geboren. Bei uns stirbt einer. Aber dafür regnet es hier auch nicht dauernd.
Aber ist das so schlimm, wenn es keine Babys hagelt? Weniger Menschen wären gar nicht so verkehrt: keine Schlangen an der Kasse im Supermarkt, Platz im Schwimmbad, leere Sprechzimmer beim Arzt und größere Chancen auf den Lottogewinn. Ach ja, die Rente: „Wir brauchen Kinder, damit später mal jemand unsere Rente bezahlt.“ Sagte mein Vater, und er hatte Recht. Ich zahle brav sein Rente und erwarte, dass er sie schön spart und an mich vererbt. Bei meinen Kindern wird das anders. Die werden so viele Alte zu versorgen haben, dass sie besser gar nicht erst arbeiten.
Die offizielle Doktrin lautet: Nachwuchs züchten, um das Gemeinwesen zu retten. Das ist die Einstellung, wenn man Kinder als Nutzvieh hält. Früher brauchte man möglichst viele Kinder, die auf dem Hof helfen konnten und für die Alterssicherung sorgten. Heute sind die Bedingungen in der Massenhaltung zu Recht umstritten, und auf dem Hof arbeiten vor allem die Maschinen. Für das Alter sorgt man am besten, wenn man die 250.000 Euro pro Kind spart und sie als Rente verjuxt und dazu noch die Rente kassiert, die die Kinder von anderen Menschen bezahlen. Söhne und Töchter sind das klassische Verlustgeschäft: niedrige Anschaffungskosten, explodierende Kosten in späteren Jahren, kaum Einnahmen. Eigentlich haben nur Leute Kinder, die nicht rechnen können. Und die behaupten, der Staat müsse einspringen, denn schließlich seien Kinder kein Privatvergnügen.Sie irren sich. Kinder sind Privatvergnügen, wenn auch ein teures. Früher schenkten die Eltern ihrer Sippe kleine Jäger, Sammlerinnen, Arbeiter, Bauern oder Soldaten. Heute werden Kinder nicht mehr für Berlin, den Fortschritt oder den Führer gezeugt, nicht mal als Konsumenten oder Rentenzahler. Sondern völlig egoistisch. Der einzige Grund fürs Kinderkriegen ist das Kinderwollen. Wer nicht will, der kriegt nichts. „Aber warum gibt es dann Kindergeld, Steuerhilfen und subventionierte Kitas?“, fragt Anna und legt damit die Axt an die finanziellen Fundamente unserer Familie. Nicht aus moralischen oder bevölkerungspolitischen Gründen. Sondern weil Eltern eine starke Lobbygruppe sind und ihre Vertreter offen oder verdeckt in allen Parlamenten, Regierungen, Gerichten, Redaktionen und Konzernen sitzen haben. Sie haben ein Auge darauf, dass genug Geld für ihre Spezialinteressen abgezweigt wird: der Staat im Würgegriff der Eltern. „So stark kann der Würgegriff ja nicht sein“, lacht Anna. „Zuerst wird immer bei den Kitas gespart.“ In der Tat: Die Elternmafia muss wesentlich effektiver arbeiten.
Vor allem am Image: Denn Nachwuchs aufziehen ist zweckfrei. Oder doch sinnlos? So sehen das zumindest achtzig Prozent der Haushalte in Berlin. Das Resultat: Sie haben keine Kinder. Aber auch sie irren sich. Natürlich macht es Sinn, Kinder zu haben. Man kann ihnen beim Schlafen zusehen. So wie bei Tina, die sich inzwischen ihren Brei erfolgreich in die Haare geschmiert hat und friedlich am Tisch schlummert. Sie lässt sich nicht stören. Nicht einmal von Radio Paradiso.
Fragen zu Kindern?kolumne@taz.de
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