: Westerwelle gibt dem Druck nach
Vor dem Ultimatum des FDP-Chefs an seinen Stellvertreter hatte es noch einmal Kritik von allen Seiten gehagelt: Der Kanzler sah das Ansehen Deutschlands in Gefahr. Die Kirchen protestierten – und auch die Wirtschaft distanzierte sich von den Liberalen
von LUKAS WALLRAFF
Gestern Nachmittag teilte FDP-Chef Guido Westerwelle überraschend mit, dass er seinem Stellvertreter Jürgen Möllemann ein Ultimatum bis zum kommenden Montag gestellt habe, den umstrittenen Abgeordneten Jamal Karsli aus der nordrhein-westfälischen FDP-Landtagsfraktion auszuschließen. Ansonsten könne er nicht mehr mit Möllemann zusammenarbeiten.
Von Kirchen, Gewerkschaften, politischen Gegnern, aber auch von der Wirtschaft war zuvor noch einmal Druck auf die FDP ausgeübt worden, klar gegen Antisemitismus Stellung zu beziehen. Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte, die Debatte um Möllemann schade dem Ansehen Deutschlands im Ausland.
Für gestern Nachmittag rief die Jüdische Gemeinde Berlin zu einer Demonstration vor der FDP-Zentrale auf. Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats, hatte schon Dienstag einen „Aufstand der Demokraten“ gefordert.
Die Auseinandersetzung sei absolut kontraproduktiv für Deutschland und die FDP müsse sie sofort beenden, sagte der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands, Manfred Börner. Der Antisemitismusstreit birgt nach seiner Einschätzung „beträchtliche Risiken für die Wirtschaft, insbesondere für den Außenhandel“. Die FDP sei bisher eine Partei, der die Wirtschaft besonders verbunden sei, im aktuellen Streit aber sitze sie nicht in einem Boot mit der Wirtschaft, sagte Verbandspräsident Börner der Berliner Zeitung.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) übte Kritik: „Was Herr Möllemann sich leistet und Guido Westerwelle ihm durchgehen lässt, ist für einen Demokraten unerträglich“, sagte DGB-Chef Michael Sommer. Teile der FDP spielten mit antisemitischen Ressentiments.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock, verlangte im Deutschlandfunk eine Entschuldigung Möllemanns. Antisemitismus sei eine Bedrohung für die Demokratie. Man könne Israel auch ohne antisemitischen Unterton kritisieren. Der Chemnitzer Freien Presse sagte Kock, die FDP wolle Stimmen um jeden Preis gewinnen.
Vor seinem Ultimatum hatte Westerwelle in einem gestern vorab veröffentlichten Stern-Interview noch das Werben um Wähler am rechten Rand gutgeheißen. „Uns ist jeder willkommen, der seinen Frust in konstruktives politisches Verhalten umsetzen will“, sagte Westerwelle dem Stern. „Der Protest gegen das etablierte Parteiensystem kommt nicht von rechts außen, sondern ist der Protest aus der breiten Mitte. Ihm bieten wir eine neue demokratische Heimat“, fügte er hinzu. „Wenn wir verhindern wollen, dass Figuren wie Le Pen oder Haider bei uns Erfolg haben, dann müssen sich die demokratischen Parteien erneuern. Wir tun es jedenfalls.“
FDP-Fraktionschef Gerhardt bestritt, dass Westerwelle mit seinen Äußerungen einen Rechtsschwenk der Partei betreibe. Die FDP wolle aus der Mitte heraus Protestwähler gewinnen. Am Kurs der Liberalen ändere das nichts, auch wenn Möllemann „andere Strategievorstellungen“ habe. „Eine abgesprochene Strategie (zwischen Möllemann und Westerwelle) gibt es nicht“, fügte Gerhardt hinzu. Rücktrittsforderungen an Möllemann seien die völlig falsche Diskussion. Der FDP-Politiker Gerhart Baum hatte zuvor gefordert, die FDP müsse sich von Möllemann distanzieren „und zur Not auf ihn im Wahlkampf verzichten“.
Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber sagte in Berlin, die Koalitionsfähigkeit der FDP werde durch den Streit nicht in Frage gestellt. Mit ihrer Zerstrittenheit senke die FDP aber ihre Akzeptanz beim Wähler. „Deswegen wird sie aus Selbsterhaltungstrieb diese Diskussion aus der Welt schaffen.“ (MIT REUTERS)
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