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Die süße Pflicht

Die Community tut sich immer noch schwer mit schwuler oder lesbischer Elternschaft. Zu sehr gerät damit ihr gewohnter hedonistischer Lebensstil auf den Prüfstand. Eine Kritik

von AXEL KRÄMER

Eigentlich wollte der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) mit seiner Aktion „Wer ist Familie?“ nur zum Nachdenken anregen. Zum Beispiel über die Behauptung der CDU-Chefin Angela Merkel, die „Eingetragene Partnerschaft“ für Schwule und Lesben trübe „das Bewusstsein dafür, dass die Familien die tragenden Säulen in unserer Gesellschaft sind“. Um solche konservativen Klischees zu konterkarieren, zeigt das Aktionsplakat des LSVD auf der linken Seite das kinderlose Ehepaar Merkel, auf der rechten zwei Lesben mit ihren vier Kindern: Wer ist denn nun Familie?

Auf alle möglichen Reaktionen war der LSVD gefasst. Nur nicht darauf, dass er ausgerechnet bei der eigenen Klientel auf vehemente Kritik stoßen würde. Befremden löste der Anblick des homosexuellen Familienidylls bei vielen Schwulen und Lesben aus, die sich mit einem solchen Bild einfach nicht identifizieren wollten. Manuela Kay, Chefredakteurin des Berliner schwul-lesbischen Szenemagazins Siegessäule, brachte die Aktion gar zur Weißglut. Der Verband, so der Tenor ihres Kommentars, verunglimpfe mit diesem Plakat kinderlose Beziehungen als minderwertig. Dies komme einer moralinsauren Propaganda gleich, „über die die katholische Kirche sicher jubeln würde“.

Schwule und lesbische Eltern dürften sich hingegen über die LSVD-Aktion gefreut haben. Ihre Zahl wird vom Niedersächsischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales auf immerhin eine Million geschätzt. Wer sich als schwuler Vater oder als lesbische Mutter outet, muss auch heute noch mit sozialer Ächtung rechnen, im schlimmsten Fall sogar mit dem Entzug des Sorgerechts. So fühlen sich die meisten von ihnen nach wie vor genötigt, ihr Schwul- oder Lesbischsein vor der Öffentlichkeit zu verbergen – nicht zuletzt, um ihre Kinder vor Diskriminierungserfahrungen zu schützen.

„Es gibt in den Medien zu wenig Aufklärung“, klagt Ingo Wolf, der sich in einer Berliner Gruppe schwuler Väter engagiert. Wolf, 34, ist Vater von elfjährigen Zwillingen, die aus einem kurzen Verhältnis mit einer Frau stammen. Von Beruf ist er Familienpfleger – und ganz nebenbei leistet er Pionierarbeit. Seit Jahren bemüht er sich, ein Netzwerk homosexueller Eltern aufzubauen. Es ist Sisyphusarbeit, häufig stößt Wolf auf taube Ohren. Wie zum Beispiel bei der Redaktion der Zeitschrift Eltern, die sich bislang weigert, von schwulen Vätern oder lesbischen Müttern Kenntnis zu nehmen: „Die blocken einfach ab“, sagt Wolf, der sich die Aufklärung über das Thema zur Lebensaufgabe gemacht hat.

Auch die Medien der schwul-lesbischen Community halten zu Schwulen und Lesben mit Kindern lieber einen Sicherheitsabstand. Kinder passen nicht in das Bild, das Szenemagazine wie die Siegessäule vom homosexuellen Lebensstil zeichnen. Themen und Nutzwert dieser Blätter sind auf einen bestimmten Kanon ausgerichtet, der in erster Linie von dem Bedürfnis nach Partys, Selbstdarstellung, Konsum und Sex diktiert wird: Lustprinzipien also, die grundsätzlich auch dem heterosexuellen Singeledasein zugeschrieben werden, in dem Kinder genauso als Klotz am Bein gelten.

Tatsächlich nimmt Sexualität bei vielen Schwulen und Lesben einen besonderen Raum ein. Jahrzehntelang mussten sie für ihre Lust und gegen Vorurteile kämpfen. Und natürlich ist Sex zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Selbstverständnisses geworden. Kinder allerdings würden den extravaganten Lebensstil, an den sich viele Homosexuelle gewöhnt haben, zumindest stark einschränken: zum Beispiel das Leben als Single oder als Partner einer Beziehung, in dem man auch weiterhin für die sexuelle Selbstverwirklichung keine Kompromisse einzugehen bereit ist; ein Leben, in dem Kultur und Sport eine Schlüsselfunktion für die Teilhabe an der schwul-lesbischen Gemeinschaft zukommt.

Darum scheinen Kinder manchen Schwulen und Lesben ihre hart erkämpften ideellen Freiheiten, in unterschwelliger Weise vielleicht sogar ihre Identität zu bedrohen. Und so ist ihnen nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihnen nach den emanzipatorischen Fortschritten der vergangenen Jahre nun zum ersten Mal die Tür für einen Weg offen steht, der sie in letzter Konsequenz in die Pflicht nehmen könnte: die Pflicht, sich an der Erziehung kommender Generationen zu beteiligen.

Nur so lässt sich das Paradox erklären, dass Manuela Kay dem LSVD ihre eigenen Empfindungen zum Vorwurf macht, deren sie beim Anblick des Familienplakats gewahr wurde: Nie werde sie dem Verband verzeihen, dass sie die kinderlose Angelika Merkel mit ihrem Mann „ungleich sympathischer“ finde als das Lesbenpaar mit den Kindern – so die Chefredakteurin der Siegessäule in ihrem Leitartikel. Damit brachte Kay auf den Punkt, was viele nur hinter vorgehaltener Hand zu sagen wagen. Angesichts solcher Befindlichkeiten verwundert es kaum, dass in der Community nur schwer eine Diskussion darüber in Gang kommt, wie man mit Kinderwünschen von Schwulen und Lesben angemessen umgeht. Und vor allem: wie man Kinder in das schwul-lesbische Leben integrieren könnte.

Immerhin scheint die Zahl der Schwulen und Lesben, die eigene oder adoptierte Kinder aufziehen möchten, langsam, aber stetig zuzunehmen. Diesen Eindruck hat jedenfalls Ingo Wolf: „Mittlerweile werde ich auch nicht mehr gleich komisch angeschaut, wenn ich von meinen Kindern Maik und Julia erzähle.“ Vereinzelte schiefe Blicke, wenn er mit ihnen mal im Schwulenlokal Prinzknecht auftaucht, um Freunde zu treffen, lassen ihn kalt. Gleichwohl stört ihn „die Engstirnigkeit mancher Schwulen“ und „dass die Sexualität so sehr im Vordergrund steht“ – wie beispielsweise beim Christopher Street Day, an dem er regelmäßig mit seinen Kindern teilnimmt: „Eigentlich sollte das doch eine politische Veranstaltung sein“, sagt Wolf, „doch davon ist manchmal nichts zu spüren.“

Das Leben mit Kindern scheint auf den ersten Blick nicht besonders kompatibel mit schwulem oder lesbischem Selbstverständnis zu sein. Kinder brauchen bedingungslose Zuneigung, und das erfordert viel Verantwortung, Zeit, Aufmerksamkeit, Hingabe. Umgekehrt kann man aber auch von ihnen lernen: Geduld, Flexibilität, soziale Intelligenz. Im Umgang mit Kindern kann man erfahren, wie man mit Macht gewissenhaft umgeht, Kompromisse findet und Außenseiter integriert – emotionale Fähigkeiten, die viele Schwule und Lesben in ihrer Kinder- und Jugendzeit oft vermisst haben, spätestens mit Beginn ihres Coming-outs.

Für Wolf war es immer ein Herzenswunsch, Kinder zu haben. Sein Coming-out hat er über mehrere Jahre und in mehreren Stufen bewältigt. Die kurze Romanze mit einer Frau erscheint dabei wie eine Etappe zwischendurch. Die Mutter seiner Kinder lebt heute in einer lesbischen Beziehung, und er lebt mit seinem Freund zusammen, der für Maik und Julia „im Prinzip genauso Papa ist“, sagt er. Es waren seine Kinder, die Wolf in der letzten Phase seines Coming-outs unterstützt haben: „Erst als ich gesehen habe, dass sie mit meinem Schwulsein ganz unbefangen zurechtkommen, konnte ich mich auch selbst als Schwuler akzeptieren.“

Auch für den freischaffenden Künstler Alexander von Agoston, 39, sind Kinder eine Bereicherung. „Ich habe das als so großes Geschenk empfunden, zwei Kinder zu haben“, sagt er, „dass ich jede Stunde mit ihnen ausgekostet habe.“ Seine Söhne, der vierzehnjährige Robert und der zwölfjährige Franz, sind vor über einem Jahr mit der Mutter ins Ruhrgebiet gezogen; seither sieht er sie nicht mehr so häufig wie früher. Vor Jahren, nachdem die Trennungsphase mit seiner Frau begonnen und Agoston daraufhin seine schwule Seite entdeckt hatte, kam es häufig vor, dass er die Kinder zu Bett brachte und anschließend zum „Gay Tea Dance“ loszog. Wie der „Übergang in eine andere Welt“ sei ihm das damals vorgekommen.

Wenn seine Söhne ihn heute in Berlin besuchen, nimmt Agoston sie auch in schwule Lokale oder auf das schwul-lesbische Stadtfest mit, um ihnen die andere Seite seines Lebens zu zeigen. Doch die Szene ist ihm „manchmal zu egozentrisch und egoistisch“, der ganze „Lifestyle und der Körperkult“ sind ihm zu wenig, um allein darin Erfüllung zu finden. Kinder stellen solche Werte in Frage: „Wenn man sich mit ihnen beschäftigt, stößt man auf etwas Archaisches, sie bringen einen zu den Wurzeln des menschlichen Daseins zurück.“ Und die sind vom spezialisierten Konsum- und Fetischkult – dem Drang zur Selbstdarstellung, der die Szene oft beherrscht – meist weit entfernt.

Gelernt hat Agoston von seinen beiden Söhnen, dass man am Ball bleiben muss, wenn man etwas erreichen will: „Meine Kinder sind auf eine liebenswürdige Art und Weise penetrant“, sagt er, „das habe ich mir von ihnen abgeschaut, auch für meine künstlerische Arbeit.“ Und für seine Identität als Schwuler: „Meine Kinder nehmen sich das, was sie haben wollen, und sind so, wie sie sein wollen. Da dachte ich irgendwann mal: Wenn die das so für sich in Anspruch nehmen, kann ich das auch.“

AXEL KRÄMER, 35, lebt als freier Journalist in Berlin.

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