: Wir bekommen ein Kind
Ein lesbisches Paar entschließt sich, eine Familie zu gründen: Zwei Frauen als Eltern, der Samenspender und – Pünktchen. Ein Bericht
von CHARLOTTE WAGNER
Plopp. Plong. Da ist es wieder. Pünktchen turnt.
Pünktchen? Das erste Ultraschallbild zeigte einen kleinen Punkt – vor ungefähr einer Ewigkeit von Monaten. Pünktchen ist inzwischen dreißig Zentimeter groß. Das neue Familienmitglied ist schon jetzt auf allen Ebenen präsent. Und erobert immer wieder aufs Neue unsere Herzen. Wir – meine Freundin, Geliebte, Gefährtin, Lebenspartnerin Katharina und ich – freuen uns riesig, sorgen uns regelmäßig, verfallen manchmal in Panik und fragen uns ab und zu, ob wir eigentlich wahnsinnig geworden sind.
Ein Kind. Wir bekommen ein Kind.
Wie kommen wir dazu, nach elf Jahren trauter Zweisamkeit plötzlich Nachwuchs zu kriegen? Na ja, „plötzlich“ ist der falsche Ausdruck. Schließlich haben wir beide dieses Thema schon in unsere Beziehung mit eingebracht, mal war die eine näher dran, dann die andere. Ob Kinder oder keine, war für uns nie eine Frage der Lebensform. Auch über das Wie hatten wir ähnliche Vorstellungen: Wir wollten unseren Kinderwunsch am liebsten privat mit einem uns bekannten Spender erfüllen. Das Konzept war klar, die Umsetzung weniger. Nach etlichen Suchbewegungen war der ideale Spender für Katharina gefunden – der dann doch nicht wollte. Bis wir diese Tatsache realisierten, war es für Katharina eigentlich vorbei. Sie fühlte sich zu alt für eine Schwangerschaft. Wieder vergingen ein paar Jahre, angefüllt mit Leben, Arbeit, Politik, Glück. Ich hatte ja noch Zeit.
Gibt es den idealen Zeitpunkt für ein Kind? Nein. Gibt es vernünftige Gründe für ein Kind? Jein. Unvernünftige Gründe? Ja! Passen lesbischer Lebensentwurf und Kinder zusammen? Klar! Ist unsere Beziehung wirklich tragfähig? Wie lange sollen wir uns denn noch prüfen – Garantien gibt es sowieso keine. Warum überhaupt ein Kind? Es wäre schön, wenn etwas weitergeht. Warum ein eigenes Kind? Das Wunder Schwangerschaft erleben. Ein Kind als Produkt unserer Liebe? Warum nicht? Haben wir Platz für ein drittes Wesen, innen und außen? Ja, wenn wir ihn schaffen.
Und unsere Zweierbeziehung, was wird aus der? Tja, kommt darauf an, wie wir den neuen Alltag organisieren und was an Zeit und Kraft für uns zwei noch übrig bleibt. Als Freiberuflerinnen sind wir zwar flexibler als viele andere, aber zu Hause arbeiten mit Kind? Oje. Irgendwann war dennoch die Entscheidung gefallen: Jetzt wollten wir einem Seelchen die Möglichkeit geben, zu uns zu kommen. Hallo, Universum, unsere Herzen sind geöffnet!
An diesem Punkt ging das Abenteuer erst richtig los. Wie kommen wir an den netten und klugen Herrn, der uns behilflich ist? Wir zwei als Eltern, der Spender ein freundschaftlicher Außensatellit, ohne finanzielle Verpflichtungen, aber auch ohne Vaterrolle. Nun fanden unzählige Treffen und lange Gespräche statt – schließlich sind wir im Erfolgsfall auf immer und ewig miteinander verbunden –, bis wir einen Freund gefunden hatten, der aus einer Mischung aus Lebensbejahung, Mut und Vertrauen in uns unser Babyprojekt unterstützen wollte.
Es folgten viele Monate voll Ungeduld, Vorfreude und Enttäuschung. Was für eine Gefühlsachterbahn: Jeden Monat die Frage, ob sich unser Leben komplett verändert oder doch bleibt, wie es ist. Der Alltag ist in Vierzehntageabschnitte eingeteilt: Im ersten Abschnitt Temperatur messen, den Eisprung abwarten und inseminieren, im zweiten Abschnitt warten, spüren, hoffen. Diesmal vielleicht? Nein, doch nicht. Also weiterprobieren.
Was ist, wenn es überhaupt nicht klappt? Na ja, vielleicht ist es ja besser so, ich meine, es gibt doch sowieso schon so viele Kinder auf der Welt … Irgendwann dachte ich: Gut, es soll einfach nicht sein, mein Leben ist auch ohne eigenes Kind reich und angefüllt. Wir hören auf. Dies ist der definitiv letzte Versuch. Und dann kam Pünktchen.
Beide Linien auf dem Test sind dunkelrot. Das Abenteuer hat die nächste Dimension erreicht. Schock. Dass wir das hingekriegt haben! Hilfe! Bisher waren unsere Doktorspiele doch auch folgenlos geblieben. Und plötzlich steht das ganze Leben auf dem Kopf. Die Hormone brausen nur so durch Körper und Seele, Angst und Freude wechseln sich in Besorgnis erregender Geschwindigkeit ab, und dann tritt tatsächlich ein kurzer Moment der Ruhe ein. Ein sehr kurzer. Denn schon dreht sich das Karussell wieder, und eine laute Stimme ruft: „Kommt, steigt ein und erlebt eine rauschende Fahrt der Emotionen!“
So geht das die ersten dreizehn Wochen. Bis wir irgendwann begreifen: Wir haben die erste große Hürde überwunden. Pünktchen richtet sich in meinem Bauch ein. Das flaue Gefühl am Nachmittag verschwindet. Die Hosen gehen nicht mehr zu. Das Ultraschallbild ist beeindruckend – von wegen Pünktchen! –, ein richtiges kleines Menschlein ist da zu sehen.
Und dann beginnt das Schwangeren-Coming-out – ein sehr aufregender, schöner, unberechenbarer und schwieriger Prozess. Wer soll es wann erfahren? Wie sagen wir’s? Wir haben rührende Anteilnahme erfahren, viel Unterstützung bekommen, aber natürlich sind uns auch Zweifel begegnet. Die Fragen waren immer dieselben: Wie habt ihr’s denn gemacht? Wisst ihr schon, was es wird? Und der Vater? Wie verletzlich sind wir in dieser Zeit – zwei werdende Löwenmütter! Auch Katharina fühlt und verhält sich hormongeschüttelt.
Und dann die Herkunftsfamilien: Meine Mutter konnte ihr Glück kaum fassen, noch mal ein Enkelkind zu bekommen. Unsere Familienform – das Kind hat zwei Mütter (und einen Spender) – ist ihr fremd, aber für ein Enkelkind nimmt sie einiges in Kauf.
Katharinas Mutter ist vorsichtig. Wie sie sich zu Pünktchen in Beziehung setzt, wird sich erst zeigen, wenn das kleine Wesen auf der Welt ist. Im Vorfeld schon Oma sein ohne biologische Verbindung – das ist bei weitem nicht nur für achtzigjährige Mütter gewöhnungsbedürftig. Doch wir hoffen auf die Kraft der sozialen Großelternschaft.
Oft geht mir einer der Sätze durch den Kopf, mittels deren meine politisch-feministische Sozialisation vonstatten ging: „Mutterschaft ist die größte Falle im Patriarchat.“ Gilt wahrscheinlich auch für uns. Sicher ist: Das Leben wird sich radikal verändern. Wir werden unsere Energien anders verteilen müssen. Manches Engagement wird nicht mehr möglich sein, neues wird hinzukommen. Ein Kind bedeutet Bereicherung und Verzicht, beides in Dimensionen, die uns bisher unbekannt waren. Ohne die Hoffnung, dass es zwischen den Klischees „Berufsmutter“ und „Rabenmutter“ noch andere Räume gibt, in denen sich Mutterschaft gestalten lässt, kann eine Feministin doch gar kein Kind wollen, oder?
Ich hoffe darauf, dass Katharina und ich immer wieder neu aushandeln werden, wie wir Broterwerb, Familienzeit, Kinderbetreuungsorganisation und Beziehungspflege unter einen Hut kriegen. Ohne uns „den Verhältnissen“ zu beugen. Ich weiß, dass die Kraft dazu im Alltag oft knapp werden wird.
Mittlerweile ist mein Bauch schon ganz schön dick geworden. Wir werden routinierter im Umgang mit unserer Umwelt. Kein heterosexuelles Paar muss während seiner Schwangerschaft so viel erklären wie wir – lesbische Schwangerschaft als hochpolitischer Akt! Nie ist Katharina automatisch als zweite werdende Mutter sichtbar, alles hängt davon ab, wie wir auftreten. Die meisten Termine nehmen wir zu zweit wahr. Einige Hebammen, die von uns auf Lesbenfreundlichkeit durchgecheckt werden, finden es sehr schön, mit uns als zwei Frauen in der Geburtsvorbereitung umzugehen, weil „Geburt eigentlich Frauensache ist“. Wir jubeln geradezu, wenn uns auf Nachfrage erzählt wird, dass „neulich schon mal ein lesbisches Paar zur Entbindung da war“.
Dennoch: Lesben und Kinder – weiterhin ein heikles Thema. Lieblingsargument der Gegenseite: Ein Kind braucht doch eine Mutter und einen Vater. Da nützt es wenig, sämtliche Studien zu zitieren, die zum Ergebnis kommen, dass Kinder in Harmonie und, wenn in Beziehungen, dann in so genannten intakten Beziehungen (homo- oder heterosexuell) am besten gedeihen. Das Geschlecht der Erziehungspersonen stellte sich jeweils als sekundär heraus, denn die Kinder lesbischer Paare unterschieden sich nicht signifikant von Kindern heterosexueller Partner – bis auf einen Punkt: Sie sprachen offener und häufiger über ihre Gefühle.
Wenn Pünktchen erst mal auf der Welt ist, geht unsere „Aufklärungsarbeit“ in die nächste Runde. Manchmal graut mir davor. Der Alltag mit Baby beziehungsweise Kind ist doch schon anstrengend genug. Dann kommen Tagesbetreuung, Kindergarten, Schule und alle Institutionen unter die Lupe und müssen darauf geprüft werden, ob sie in ihren Konzepten auch die Vielfalt der Lebensformen berücksichtigen und im pädagogischen Alltag umsetzen. Gleichzeitig müssen wir natürlich ein Dauer-Coming-out veranstalten, um nicht ständig für heterosexuell gehalten zu werden!
Ach, da macht der Nestbau doch viel mehr Spaß! Bald werden Katharina und ich zu unserer ersten Informationstour bezüglich Kinderwagen aufbrechen. Eine Freundin kommentierte unsere Familienvergrößerung unlängst mit den Worten: „Ihr wollt ja nur deshalb ein Kind, damit ihr einen guten Grund habt, euch endlich ein neues Auto zu kaufen.“
Plopp. Plong. Pünktchen turnt.
CHARLOTTE WAGNER, 41, ist Schmuckdesignerin und lebt mit ihrer Frau, 49, Elektroingenieurin, in Frankfurt am Main
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen