: Engel soll Erschießungsaktion überwacht haben
Ein Zeuge im Prozess gegen den SS-Offizier Engel bestätigt die Vorwürfe, dieser habe die Erschießung von italienischen Geiseln zu verantworten
HAMBURG taz ■ Im Mordprozess gegen den ehemaligen SS-Offizier und mutmaßlichen Kriegsverbrecher Friedrich Engel ist gestern vor dem Hamburger Landgericht ein bislang unbekannter Augenzeuge aufgetreten. Durch dessen Aussagen wurden erstmals die Vorwürfe der Anklage klar bestätigt. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hat der jetzt 93 Jahre alte Ex-SS-Mann, der als „Henker von Genua“ bekannt wurde, im Mai 1944 in Italien die Erschießung von 59 Gefangenen angeordnet. Engel hat dies bislang bestritten.
Der Zeuge Walter Emig, ein Arzt aus Darmstadt, musste sich erst dem Darmstädter Echo stellen, damit die Hamburger Justiz auf den Augenzeugen der Ermordung von 59 Partisanen durch SS- und Marine-Einheiten am Turchino-Pass bei Genua aufmerksam wurde. Gestern belastete der 79-jährige Ex-Oberbootsmaat der 22-U-Boot-Jagd-Flotille Genua den Ex-SS-Sturmbandführer und Chef des Sicherheitsdienstes (SD), Außenkommando Genua, Friedrich Engel, schwer. Emig: „Die Überwachungsfunktion für den Ablauf der Sühneaktion hatte eindeutig Engel.“
Seit Mai steht Engel wegen 59fachen Mordes vor dem Hamburger Landgericht. Ihm wird vorgeworfen, als Reaktion auf einen Partisanenanschlag auf das Soldatenkino „Odeon“ mit fünf toten Marinesoldaten die Exekution am 19. Mai 1944 angeordnet zu haben. Obwohl Emig auf der Liste der Überlebenden steht, wurde er erst am 8. Prozesstag geladen.
Emig erinnert sich gut an die Ereignisse: „Es war uns klar, dass es eine Vergeltungsaktion geben würde, durch Geiselerschießung. Es gab ja den Führerbefehl“, erklärte er gestern vor Gericht. Bei der Erschießung selbst habe Engel durch bestimmendes Auftreten Regie geführt. Als ein Partisan die Hinrichtung zunächst überlebte, habe er einen SS-Untersturmbandführer befohlen, „den Gnadenschuss zu setzen“. Da der zitternd in der Grube gestanden habe, sei Engel „erbost“ hinabgestiegen und habe gezeigt, „wie der Schuss gesetzt werden muss“. Emig: „Ob er selbst geschossen hat, kann ich nicht sagen.“ Damit widerspricht Emig Engels Version, der nur als stiller SD-Beobachter am Turchino-Pass gewesen sein will.
Engel, ein rüstiger Hanseat, der seine Verteidigung über weite Strecken selbst übernimmt, bestreitet seine Mitwirkung nicht – er habe aber keine Befehlsgewalt gehabt. „Ich habe anhand der Listen die Gefangenen im Marassi-Gefängnis ausgesucht“, gibt Engel zu. Er wollte sicher gehen, dass nicht „unschuldige Zivilisten“ hingerichtet werden, sondern „Terroristen“, Partisanen, die es verdienten. Die Order für Exekutionen bei Partisanenaktionen habe es aber auf einen Treffen der SD-Kommandeure kurz vor dem Anschlag auf das „Odeon“-Kino schon gegeben, so Engel. Für jeden von Partisanen getöteten Soldaten sollten zehn italienische Gefangene hingerichtet werden. Das sei ein Befehl Hitlers gewesen und völkerrechtlich abgesichert, habe der Kommandeur versichert. Die eigentliche Befehlsgewalt am Turchino-Pass habe bei der „undisziplinierten“ Marine gelegen. Die Marine habe Vergeltung gewollt.
Emig bestreitet die Version Engels. Die Verantwortung habe beim SD gelegen. „Die Truppenteile, die von Anschlägen betroffenen waren, mussten sich beteiligen“, entgegnet er. „Von meiner Flotille wollte keiner Rache.“
Die Frage der Befehlsgewalt ist der Dreh- und Angelpunkt in dem Prozess. Seit Beginn des Verfahrens lässt der Vorsitzende Richter Rolf Seedorf keine Möglichkeit aus, darauf hinzuweisen, dass die Verurteilung Engels vor dem Turiner Militärgericht 1999 wegen der Ermordung von insgesamt 246 Kriegsgefangenen in Genua keinerlei Präjudiz auf das Hamburger Verfahren habe. Denn das Militärgericht habe den SS-Mann Engel nur die politische und militärische Verantwortung zuordnen können.
Nach deutschem Recht muss Engel jedoch eine konkrete Tatbeteiligung nachgewiesen werden. Zudem klagt Seedorf über die italienische Justiz, die die Akten jahrzehnelang weggeschlossen habe, um eigene Kriegsverbrechen auf dem Balkan zu vertuschen. In Deutschland sind alte Ermittlungsakten zum Teil bis heute verschwunden, und erst 1998 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen Engel. So konnte dieser bis zum Frühjahr 2000 unbehelligt in Hamburg leben.
Das Verfahren wird am 19. Juni mit der Vernehmung von weiteren Zeugen fortgesetzt.
PETER MÜLLER/ANDREAS SPEIT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen