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Wissen macht stark

Deutschland ist in der Diagnostik und Behandlung von Brustkrebs ein Entwicklungsland. Seit Ende der Neunzigerjahre vernetzen sich deshalb Brustkrebsaktivistinnen und fordern qualitätsgesicherte Untersuchungsmethoden und Therapien

von KATRIN JÄGER

Die US-amerikanische Brustkrebsaktivistin Pamela Ferguson zeichnet mit ihren Armen Kreise in die Luft. „Drawing Circles“ ist ein Set von Übungen, das Ferguson zur Erhaltung der Brustgesundheit entwickelt hat. Die Shiatsu-Therapeutin ist vor rund 15 Jahren an Brustkrebs erkrankt. Die Ärzte hatten ihr nur eine geringe Überlebenschance eingeräumt.

Ferguson ließ die betroffene Brust amputieren, und machte anschließend eine sanfte Chemotherapie in Verbindung mit einer Mistelbehandlung. Sie visualisierte die Krebszellen nicht als Feind, den es zu bekämpfen galt, sondern als verwirrte Zellen, die sie in ihrer Vorstellung mit Licht durchflutete, damit sie wieder zur Ruhe kämen. Ferguson konnte ihre persönliche Therapiekombination nur finden, weil sie die Möglichkeit hatte, sich über die unterschiedlichen Behandlungsmethoden zu informieren. Sie rät deshalb auch den Betroffenen, „nicht blindlings in irgendeine Behandlung zu schlittern, sondern sich zu vernetzen, sich schlau zu machen. Und von Brustkrebsüberlebenden etwas über die unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten zu erfahren.“

Mitspracherecht und den einkommensunabhängigen Zugang zu allen Behandlungsmethoden fordert die Brustkrebsbewegung in den USA schon seit rund zehn Jahren. Auf Initiative der engagierten Chirurgin Susan Love hin demonstrierten 1993 Tausende in Washington außerdem für bessere Behandlungsmethoden sowie höhere Budgets für die Brustkrebsforschung. Der damalige US-Präsident Bill Clinton bewilligte kurze Zeit später 400 Millionen Dollar für die Erforschung von Brustkrebs.

Heute nehmen die US-amerikanischen BrustkrebsaktivistInnen direkten Einfluss auf die Politik, nutzen die PolitikerInnensprechstunden, um sich sichtbar zu machen und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. „Wir arbeiten mit PolitikerInnen zusammen, die unsere Themen dann zu ihren Wahlkampfthemen machen, um so unsere Stimmen zu erhalten“, beschreibt Ferguson ihre Strategie.

Sie ist überzeugt, dass die Umwelteinflüsse bei der Entstehung von Brustkrebs eine große Rolle spielen, die PolitikerInnen sie jedoch oft herunterspielen. Die BrustkrebsaktivistInnen beobachten deshalb auch genau, ob sich beispielsweise ein Giftmülldepot in einer Region erhöhten Brustkrebsaufkommens befindet, ob Strahlungen eine Rolle spielen könnten oder Wasservorräte womöglich verseucht sind. „Die Leute müssen sich klar machen, dass solche Dinge wirklich passieren, und dass sie etwas dagegen tun können“, betont Pamela Ferguson.

Auch in Deutschland fordern immer mehr Brustkrebsbetroffene ihr Recht auf Aufklärung und Mitsprache. Ende der 1990er-Jahre bildeten sich bundesweit Brustkrebsinitiativen. „Seitdem die Debatte um die Qualität der Versorgung losging und bekannt wurde, dass vieles in der Bundesrepublik nicht stimmte, werden diese Gruppen öffentlicher und präsenter“, berichtet Monika Butterbrod, Vorstandsmitglied der Brustkrebsinitiative e. V. (bki) in Berlin. Die deutschen Gruppen fordern qualitätsgesicherte Standards in Bezug auf Diagnose und Behandlung sowie das PatientInnenrecht auf Informationen und Mitsprache.

Die meisten Gruppen haben mittlerweile ihre eigene Homepage, auf der sie ihre Aktionen und Beratungsangebote vorstellen. Links führen zu den Homepages der anderen Gruppen.

Eine Dachorganisation aller deutschen Brustkrebsinitiativen gibt es noch nicht. Die Aktionen beschränken sich bisher auf Kongresse, Seminare oder Symposien in der jeweiligen Region.

Eine Vorbildfunktion hat die Brustkrebsbewegung in den USA insofern, dass es sie überhaupt gibt und die deutschen Frauen gesehen haben, dass die Aktivitäten etwas bringen. „Vor allem aber, dass man Betroffene mit so einer schweren Erkrankung mobilisieren kann. Und dass die Betroffenen selbst so viel erreichen können“, so Butterbrod.

Die meisten Mitarbeiterinnen der bki haben selbst den physisch wie psychisch anstrengenden Hürdenlauf von der Diagnosestellung, über die Behandlung, Aufklärung, Nachsorge und die psychosoziale Betreuung hinter sich. Sie geben in ihren Beratungsgesprächen denjenigen Hilfestellungen, die gerade auf ihrem Weg durch den Therapiedschungel sind. „Viele unserer Anruferinnen haben erlebt, dass man nicht sensibel im Gespräch mit ihnen umgegangen ist, dass man sie über die Befunde nicht adäquat aufgeklärt hat.

„Der Frust ist sehr groß“, erklärt Butterbrod. Deshalb steht bei der Beratung nicht nur die nackte Information im Vordergrund, sondern auch das persönliche Gespräch. Es geht um Ängste, um Verzweiflung. Denn viele Frauen sind erst mal vor den Kopf geschlagen mit der Diagnose, „trauen sich vielleicht nicht, bei ihrem Arzt nachzuhaken, haben Angst, ihn um die Röntgenbilder für einen Zweitbefund zu bitten. Viele wissen nicht, dass sie das Recht auf eine zweite Meinung haben. Oder man sagt ihnen nicht, wo sie die Zweitmeinung einholen können“, so Butterbrod. Auch Angehörige finden bei der bki ein offenes Ohr. Sie quälen Verlustängste und die Unsicherheit im Umgang mit der Partnerin, Mutter, Tochter oder Schwester.

Seit der Einrichtung des Beratungstelefons vor vier Jahren haben die Mitarbeiterinnen der bki rund 900 Gespräche geführt. Im „Forum“, der virtuellen Pinnwand auf der Homepage der bki, können Betroffene und Angehörige ihre Erfahrungen austauschen. Die BesucherIn trifft dort auf einen großen Wissenspool, der neue Wege im Umgang mit der Erkrankung aufzeigen kann. Die ChatterInnen diskutieren nicht nur über die qualitätsgesicherte Mammografie, die derzeit die mediale Brustkrebsdebatte bestimmt. Sie geben praktische Tipps, beispielsweise über gute Erfahrungen in bestimmten Reha-Kliniken, über den Einsatz der Kernspintomografie, Diagnose durch Ultraschall oder die Vakuumstanzbiopsie.

Da es in Deutschland immer noch keine einheitlichen qualitativen Kriterien in der Brustdiagnostik und -behandlung gibt, empfehlen die Brustkrebsaktivistinnen nur diejenigen Einrichtungen weiter, von denen sie sich vor Ort ein Bild gemacht haben. „Aufgrund unserer Netzwerkarbeit versuchen wir herauszufinden, nach welchen Qualitätstandards die Kliniken arbeiten“, erläutert Butterbrod.

Eine Klinik sollte zum Beispiel mindestens 150 Brust-OPs pro Jahr durchführen. „Aber häufig fehlt seitens der Klinik die Transparenz“, bedauert Butterbrod. Zwar gibt es in der Bundesrepublik inzwischen Brustzentren, also Einrichtungen, die sich auf die Diagnostik und Behandlung von Brustkrebs spezialisiert haben, aber auch die sind gesetzlich nicht verpflichtet, sich an die europäischen Qualitätsstandards zu halten. Auf Krebskonferenzen in Deutschland und im umliegenden Ausland fragen die BrustkrebsaktivistInnen deshalb gezielt nach den Arbeitsweisen der jeweiligen Einrichtungen, um sich so ihr eigenes Urteil bilden zu können.

Ein absolutes Muss ist in ihren Augen die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Pathologie, Gynäkologie, Onkologie und OperateurIn, sowie regelmäßige Tumorkonferenzen vor und nach der Operation. Butterbrod und ihre Kolleginnen geben diese Information weiter, „weil die Betroffenen ein Recht darauf haben, das zu wissen.“

Die deutschen BrustkrebsaktivistInnen haben sich mit der europäischen Koalition gegen Brustkrebs, „Europa Donna“, vernetzt. Europa Donna setzt sich dafür ein, dass die europäischen Qualitätsrichtlinien bezüglich der interdisziplinären Diagnose und Behandlung von Brustkrebs auch in Deutschland Anwendung finden. Die Präsidentin von Europa Donna Deutschland, Karin Jöns, ist auch gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im europäischen Parlament. Sie drängt die Bundesregierung, die deutschen Qualitätsstandards in der Mammografie endlich per Gesetz den europäischen Standards anzupassen.

Jöns beklagt, dass trotz der seit 1992 vorliegenden EU-Leitlinien zum Mammografie-Screening im teuersten Gesundheitssystem der EU, in Deutschland, jährlich bis zu 6 Millionen Mammografien zweifelhafter Qualität gemacht werden. „Deshalb wird der Brustkrebs oft viel zu spät entdeckt. Die Sterblichkeitsrate geht bei uns anders als in anderen EU-Staaten nicht zurück.“

Die BrustkrebsaktivistInnen sind bemüht, das Thema auch jenseits abgehobener Diskussionen um Diagnose- und Behandlungsdebatten in die Öffentlichkeit zu tragen. Besonders die Position von betroffenen Frauen, die wegen ihrer Erkrankung unter sozialer Isolation leiden oder es schwer haben, einen Arbeitsplatz zu finden. „Wir wollen zeigen, dass die Brust zwar das erkrankte Organ ist, aber dass hinter jeder Erkrankung eine Persönlichkeit steckt“, erklärt Butterbrod.

Im Brustkrebsmonat Oktober demonstrieren seit zwei Jahren BrustkrebsaktivistInnen aus der ganzen Bundesrepublik in Berlin am Brandenburger Tor. Im Rathaus Schöneberg finden in unregelmäßigen Abständen Podiumsveranstaltungen mit VertreterInnen verschiedener Organisationen statt. Die inzwischen verstorbene brandenburgische Sozialpolitikerin Regine Hildebrandt (SPD) war eine der wenigen Prominenten, die sich auf diesen Veranstaltungen für die Ziele der bki eingesetzt hat und öffentlich über ihre eigene Erkrankung sprach.

Nach Ansicht Butterbrods outen sich immer noch viel zu wenige prominente Brustkrebsbetroffene. Dabei ist Butterbrod überzeugt, dass „Prominente uns unterstützen können, das Tabu Brustkrebs zu brechen“.

Ästhetisch gehen die Initiativen gegen die gemeinhin übliche Darstellung der Betroffenen als Opfer an. Die Infobroschüre der bki zeigt den Halbakt einer lebensbejahenden Frau in Jeans, die den Arm wie eine Schärpe quer über den nackten Oberkörper legt, so dass die amputierte Brust zu erahnen ist. Die Reaktionen darauf reichen laut Butterbrod von absolutem Zuspruch, „endlich mal eine Frau mit Kopf“ bis hin zum Schock.

Eine Krankenschwester, die selbst schon lange mit BrustkrebspatientInnen arbeitet, konnte sich nur abgrenzen, indem sie ein stigmatisierendes Klischee aus einem anderen Sozialkontext bemühte: „Die sieht ja aus wie eine feministische Kampflesbe.“ Trotz solcher Widerstände verzeichnet die Brustkrebsbewegung Erfolge. Vor allem, was das Recht auf eine zweite oder dritte ärztliche Meinung angeht. Noch 1995 musste sich eine Patientin dieses Recht erkämpfen, heute ist es fast überall selbstverständlich geworden.

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