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Gerechtigkeit ist nicht erwünscht

Das indonesische Osttimor-Tribunal ist ein Schauprozess, um die internationale Gemeinschaft ruhig zu stellen und so ein UN-Tribunal zu verhindern. Die wirklich Verantwortlichen für die Massaker in Osttimor werden erst gar nicht angeklagt

Bislang waren nur drei Zeugen der Anklage bereit, vor Gericht auszusagen.

von ANETT KELLER

Die kleine Frau im Gerichtssaal in Indonesiens Hauptstadt Jakarta zittert. Fünfmal muss der Richter sie fragen, ehe sie mit leiser Stimme antwortet. Trotz schwerer Bewachung hat Dominggos dos Santos Mouzinho Angst, dem Ad-hoc-Tribunal zu bezeugen, was im September 1999 im osttimoresischen Suai geschah. Nach dem deutlichen Votum für Osttimors Unabhängigkeit am 30. August 1999 rächten sich proindonesische Milizen mit Hilfe des indonesischen Militärs. Sie töteten in wenigen Tagen über tausend Menschen und vertrieben hunderttausende. Die 44-jährige Mouzinho flüchtete am 6. September 1999 mit ihren fünf Kindern in die Ave-Maria-Kirche von Suai nahe der Grenze zu Westtimor. Als die Milizen vor dem Gotteshaus nicht Halt machten und eine der Töchter anschossen, suchte die Familie Schutz in Militärbaracken. Dort musste Mouzinho zusehen, wie ihre verletzte Tochter von Milizionären vergewaltigt wurde. Das Militär schaute zu.

Bisher waren nur drei Zeugen der Anklage bereit, vor Gericht auszusagen. Trotz eines eigens verabschiedeten Zeugenschutzgesetzes ist die Angst riesig. Denn im Gerichtssaal wimmelt es von Militärs – moralische Unterstützung für die Angeklagten und Mahnung an die Richter, ja nicht „falsch“ zu entscheiden.

Nicht nur der Mangel an Zeugen macht das Tribunal zur Farce. Indonesiens Regierung hatte es im März einberufen, um einen internationalen Strafprozess zu verhindern. Eine Kommission nannte 33 Verantwortliche, doch dann wurden nicht einmal die Hälfte angeklagt. Vor Gericht stehen jetzt „kleine Fische“ wie Osttimors Exgouverneur und der frühere Polizeichef. Sie hatten nicht viel zu sagen, da Osttimor nach der indonesischen Invasion 1975 von Jakarta aus zentral regiert wurde. Vor Ort herrschten Jakartas Truppen mit Hilfe eigens aufgebauter Milizen. Menschenrechtler vermissen auf der Anklagebank Exgeneral Wiranto und Exgeheimdienstchef Zacky Anwar Makarim. Beide genießen die Freiheit in luxuriösen Verhältnissen. Wiranto liebäugelt gar mit einer Präsidentschaftskandidatur. Er findet die Prozesse ohnehin „unfair“, weil es nur Kämpfe zwischen Osttimoresen gegeben habe. Als Armeechef ist er „stolz auf meine Soldaten“, die dort in einer „Mission Impossible“ Schlimmeres verhindert hätten.

Kürzlich wurde doch noch Eurico Guterres angeklagt. Der berüchtigte Milizführer soll seinen Truppen die Ermordung von Unabhängigkeitsbefürwortern befohlen haben. Doch er sitzt nicht einmal in Untersuchungshaft, dabei droht ihm wie den anderen Angeklagten eine Strafe zwischen zehn Jahre Gefängnis und der Todesstrafe. Nach Verlesung der Anklage, die ihm Folter und Mord vorwirft, sagte er lächelnd: „Das muss erst mal bewiesen werden.“

Beobachter sprechen von Schauprozessen, die Osttimoresen und internationale Kritiker ruhig stellen sollen. Das scheint zu funktionieren. Drängten sich zur Prozesseröffnung noch Journalisten aus aller Welt im Gerichtssaal, so ist es nun ruhig geworden. Nur wenige verfolgen noch die endlosen, immer wieder verschobenen Sitzungen. Die indonesische Menschenrechtsorganisation Elsam kritisiert, dass unerfahrene Richter berufen wurden, die Zeit zur Beweisaufnahme zu kurz sei und 90 Prozent der Zeugen Militärs sind.

Alex Flor von der Berliner Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia, der den Prozess beobachtet hat, klingt resigniert: „Die internationale Gemeinschaft wird diesen Prozess anerkennen, egal wie er ausgeht.“ Jakarta spricht vom schwierigen Anfang der Geschichtsaufarbeitung und von mangelnder Erfahrung. Doch Präsidentin Megawati Sukarnoputri ist für ihren engen Draht zum Militär bekannt. Kürzlich legte sie in Jakarta den Grundstein eines Denkmals für die in Osttimor gefallenen 3.000 indonesischen Soldaten. In Osttimor forderte der Unabhängigkeitskampf in 25 Jahren 200.000 Tote, ein Drittel der früheren Bevölkerung.

Doch auch in der seit dem 20. Mai unabhängigen Inselhälfte wird der Ruf nach Gerechtigkeit leiser. Eine Opferentschädigung schade nur, sagte kürzlich Osttimors Präsident und früherer Unabhängigkeitskämpfer Xanana Gusmão. Man wolle endlich Frieden und Versöhnung. „Ich sehe derzeit keinen Staat, der ein UN-Tribunal unterstützen würde“, sagt Flor. Dann nämlich müsste zum Beispiel Australien Beweise herausgeben, die es dem Gericht vorenthält. Aufzeichnungen von Funksprüchen, die belegen, wo und wann die Massaker stattfanden. Beweise, die einer zitternden Zeugin Recht geben würden.

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