: Dem Osten was Neues
ABM und Autobahnen kurbeln die Wirtschaft der neuen Länder nicht an. Das könnennur die Ossis selber – es wird Zeit, dass die Wahlkämpfer das offen sagen
Unter allen Parteien hat es sich herumgesprochen: Die Bundestagswahlen werden in Magdeburg, Schwerin und Dresden entschieden. Kein Wunder also, dass der Kanzler und der Kandidat sich im Wahlkampf über den Osten hermachen. Die Stimmung dort ist schlecht, die Erwartungen sind hoch. Der Aufbau Ost ist quasi zum Erliegen gekommen, das Wirtschaftswachstum stagniert. Erst kürzlich mussten prestigeträchtige Ostunternehmen wie der Autozulieferer Sachsenring, das Bauunternehmen Mühl oder der Luftschiffbauer Cargolifter Insolvenz anmelden.
Der Baubranche steht ein weiterer massiver Arbeitsplatzabbau bevor. Die jüngsten Arbeitslosenzahlen in Ostdeutschland sind verheerend. Seit der Wende waren noch nie so viele Menschen ohne Arbeit wie jetzt. Keine guten Aussichten für Gerhard Schröder. Dennoch sieht er die Weichen richtig gestellt und lobt sich für den Solidarpakt II, der dem Osten bis zum Jahr 2015 über 150 Milliarden Euro Transferleistungen des Bundes und der Westländer sichert. Herausforderer Edmund Stoiber will die neuen Länder zum Sonderwirtschaftsgebiet erklären und die Ost-West-Spaltung zwölf Jahre nach der deutschen Einheit noch vertiefen. Er fordert beispielsweise Experimentierklauseln, mit denen die ostdeutschen Länder zur Wirtschaftsförderung bürokratische Regeln umgehen könnten. Die PDS ist die dritte Kraft im Spiel. Sie propagiert den allmächtigen Staat, er soll Vollbeschäftigung garantieren und Westlöhne finanzieren.
Statt den Osten als Sonderfördergebiet endlich abzuschaffen, erfindet die Politik ihn im Wahlkampf wieder neu. Einmal mehr versprechen alle Parteien Anerkennung, Arbeitsplätze, Autobahnen und wecken so, wie in jedem Wahlkampf seit 1990, unerfüllbare Hoffnungen bei den Ostdeutschen. Einmal mehr schaden sie dem Ziel, das sie zu erreichen versprechen: dem Aufbau Ost. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen etwa gehören noch immer zum Standardrepertoire der Parteien. Dabei hat sich gezeigt, dass ABM-Karrieren die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern. Die Milliardensummen wären etwa in der Forschung und der Qualifizierung von Arbeitslosen wesentlich besser aufgehoben. Schon jetzt fehlen in ostdeutschen Unternehmen gut ausgebildete Facharbeiter. Ab 2008 wird der Nach-Wende-Geburtenknick auf den Arbeitsmarkt durchschlagen, der Mangel an gut ausgebildeten, jungen Arbeitskräften wird dramatisch werden. Bis 2007 etwa sollen die Löhne im öffentlichen Dienst auf Westniveau gebracht werden. Doch wie die ostdeutschen Länder und Gemeinden das bezahlen sollen, weiß niemand. Auch die Sorge über die massive Abwanderung ist ein großes Thema im Wahlkampf. Eine Million Ostdeutsche sind in den letzten zwölf Jahren auf der Suche nach Arbeit und besseren Verdienstmöglichkeiten in den Westen abgewandert. Die CDU will deshalb die Umzugsbeihilfen und Mobilitätsprämien abschaffen und durch Ausbildungsbeihilfen ersetzen. Welch eine Idiotie. Statt die Mobilität der ostdeutschen Jugend zu honorieren, soll ihre Immobilität gefördert werden.
Neben ABM gilt der Ausbau der Infrastruktur, sprich: der Autobahnbau, als Allheilmittel zum Aufbau Ost. So hat der Kanzler eine neue Schnellstraße durch die Altmark, den ländlichen Norden Sachsen-Anhalts, versprochen. Doch selbst die breiteste Betonpiste wird keine Unternehmen dorthin locken. Längst gibt es gut erschlossene Gewerbegebiete in attraktiverer Lage. Die Altmark wird so schnell kein Jobwunder erleben, genauso wenig wie Vorpommern oder das Erzgebirge in Sachsen. Natürlich klafft im Osten eine gewaltige Infrastrukturlücke. Doch das größte Problem dort sind nicht fehlende Autobahnen, sondern der Bau und die Sanierung kommunaler Straßen. Noch dramatischer ist der Sanierungsbedarf der ostdeutschen Kanalisation. Aber welcher Politiker verbuddelt schon gerne seine Milliarden? Das macht sich im Wahlkampf extrem schlecht.
Das grundlegende Problem ist, dass in Ostdeutschland noch immer flächendeckend Subventionen vergeben werden. Wer im Osten investiert, erhält Investitionszulagen, egal ob er innovative Arbeitsplätze schafft oder unrentable Werkbänke aufstellt. Noch immer verteilen die Länder großzügig Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (so genannte GA-Mittel) für unsinnige Prestigeprojekte wie Spaßbäder oder Stadthallen. Kein Zweifel, der Osten braucht weiterhin die Hilfe des Westens. Doch weder neue Förderprogramme noch eine Sonderwirtschaftszone werden seine Probleme lösen. Vielmehr wäre es an der Zeit, den Osten bei der Wirtschafts-, Regional- und Arbeitsmarktförderung abzuschaffen. Die neuen Länder haben sich regional ganz unterschiedlich entwickelt und somit auch unterschiedliche Entwicklungsperspektiven. In Thüringen entlang der Autobahn A 4, zwischen Eisenach, Erfurt und Jena, in den Großräumen Halle-Leipzig und Dresden sowie im Berliner Umland kündigen sich mittelfristig positive Entwicklungen an. Dort ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich eine selbsttragende Wirtschaftsstruktur herausbildet. Anders sieht es etwa im Erzgebirge oder in der brandenburgischen Lausitz aus. Weder hohe Subventionen noch teure Strukturanpassungsmaßnahmen werden Unternehmen anlocken. Die Menschen dort werden sich zunächst damit abfinden müssen, in einer strukturschwachen Region mit wenigen Arbeitsplätzen zu leben. Nur langfristig können innovative Ideen, die aus der Region erwachsen, dort eine Perspektive sein. Damit liegt es auf der Hand: Leipzig braucht eine andere Wirtschaftsförderung als Zittau, Anklam in Mecklenburg-Vorpommern andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen als die Opel-Stadt Eisenach. Die einheitliche Förderung und Subventionierung des Ostens hat sich überholt, ihre Erfolge sind unter den Erwartungen geblieben. Zukunft bietet nur eine gesamtdeutsche Perspektive. Regionen in Ost und West könnten dezentral nach einheitlichen und nachvollziehbaren Kriterien gefördert werden. Dies würde die Hilfen transparenter machen und auch westdeutsche Problemregionen in den Blick nehmen. Als willkommener Nebeneffekt würde es auch den westdeutschen Neid angesichts der Milliardentransfers gen Osten eindämmen. Die deutsche Einheit käme ein Stück näher. Regionaler Eigeninitiative und kommunaler Flexibilität gehören die Zukunft des Aufbaus Ost.
Anstatt das zu betonen, bieten SPD und Union dieselbe Botschaft wie in allen Wahlkämpfen seit 1990. Stoiber geriert sich als allmächtiger Macher und bedient die aus SED-Tagen übrig gebliebene ostdeutsche Staatsfixiertheit. Nach dem Einheitskanzler Kohl und dem Chefsachenkanzler Schröder präsentiert Stoiber nun den ostdeutschen Superminister Lothar Späth. Keine guten Voraussetzungen, um bei den ostdeutschen Selbstbewusstsein, Kreativität und Unternehmergeist zu wecken. Und die werden in den neuen Ländern am dringendsten gebraucht. CHRISTOPH SEILS
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