Teure Philosophie

„Doktor unverschämt“: Der Arzt Tammo Bialas, der über 8000 Patienten betrogen haben soll, ist sich keiner Schuld bewusst. Gestern Prozessbeginn

von ELKE SPANNER

Tammo Biallas bedauert, dass es zum Prozess gekommen ist. Allerdings tun ihm nicht seine damaligen PatientInnen leid, sondern er sich selbst. Er habe allein deshalb auf der Anklagebank des Landgerichts Platz nehmen müssen, doziert der Arzt, weil die Staatsanwaltschaft „zu der bedauerlichen Auffassung“ gekommen sei, er habe in über 8000 Fällen Betrug begangen. „Ich“, sagt Bialas, langjähriger Geschäftsführer des „Arztnotruf 19242“, „teile diese Aufassung nicht.“

Über Stunden hat die Staatsanwaltschaft zuvor die Anklage verlesen gegen Tammo Bialas (42), Sohn des ehemaligen Bausenators und Ärztekammerpräsidenten Rolf Bialas. Über 8000 Betrugsfälle sind darin aufgeführt, zusätzlich 26 Körperverletzungen. Seit 1994 hat Bialas sich demnach an seinen PatientInnen bereichert: Er habe ihnen verschwiegen, dass er keine Kassenzulassung habe und die Rechnungen privat beglichen werden mussten. Er habe für Leistungen Geld kassiert, die er nie erbracht hatte, standardmäßig habe er beispielsweise bei jedem Notruf eine „psychiatrische Behandlung“ abgerechnet. Und in 26 Fällen habe er zusätzlich PatientInnen mit starken Medikamenten behandelt, obwohl das medizinisch nicht indiziert war, und sie so unnötig schweren Nebenwirkungen ausgesetzt. Mehrfach habe er ein Medikament, das zur Schmerzlinderung bei TumorpatientInnen eingesetzt wird, zur Fiebersenkung gespritzt.

Bialas räumt ein, womöglich Fehler begangen zu haben, „wenn man unternehmerisch tätig ist, gehört das zum Berufsrisiko“. Strafrechtlich relevant aber seien diese nicht, und im weiteren Verlauf des Prozesses vermag er dann auch nur noch Fehler bei anderen Beteiligten auszumachen. Bei der Hamburger Ärztekammer zum Beispiel. Die hatte den teuren Kollegen mehrfach brieflich abgemahnt: Eine psychiatrische Behandlung dürfe er ohne Zusatzausbildung nicht erbringen und berechnen. Doch dies, so der Angeklagte, „ist nur eine einzelne dezidierte Auffassung“, welche die Staatsanwaltschaft fälschlicherweise „zum Maßstab aller Dinge gemacht“ habe. Für ihn sei die Auffassung seines Berufsverbandes „nicht Recht und Gesetz“.

Offenbar schuf er stattdessen seine eigenen Regeln, parallel zu seiner „eigenen Arbeitsphilosophie“. Die habe vorgesehen, die PatientInnen nicht abzufertigen, sondern einen besseren Standard zu bieten. Und sah die „Gebührenordnung für Ärzte“ für die angebliche Mehrleistung keine Vergütung vor, habe er diese eben „analog“ angewandt.

„So wie ich das sehe“, resümiert der Vorsitzende Richter Wolfgang Göhlich den ersten Verhandlungstag, „wird nichts eingeräumt. Das scheint ein langes Verfahren zu werden.“