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„Zweifel gehören zum Kino“

Das News-TV, sagt Romuald Karmakar, bedient unseren verständlichen Wunsch nach schneller Welterklärung. Im Film findet Geschichte deshalb kaum noch statt

Interview NIKE BREYER

Der Regisseur Romuald Karmakar, geboren 1965, zählt seit seinem Spielfilmdebüt „Der Totmacher“ (1995) zu den Protagonisten eines repolitisierten Kinos. Hauptkennzeichen seiner Arbeiten auch als Dokumentarfilmer: der Verzicht auf Wertung. Das taz.mag-Gespräch mit Karmakar ist der Auftakt einer losen Reihe von Interviews zu deutschen Mythen und deutscher Wirklichkeit.

taz: Sie arbeiten gerade an einen Spielfilm über die NS-Zeit. Auch Filmproduzent Thomas Schühly möchte, wie man hört, einen Film über Leni Riefenstahl und die Hitlerzeit machen. Er hat mit Ihnen schon den „Totmacher“ produziert. Warum tun Sie sich nicht zusammen?

Romuald Karmakar (lacht auf): Tja, das hat damit zu tun, dass wir seit dem „Totmacher“ nicht mehr zusammen sind. Unsere Interessen haben uns damals ja zusammengebracht. Es gibt viele Dinge, die uns gemeinsam interessieren.

Und was wäre das?

Sagen wir mal … die Beschäftigung überhaupt mit politischen Themen. Nicht nur Nationalsozialismus.

Auch deutsche Themen?

Absolut. Das ist jetzt allerdings sehr lange her. Seit sechs Jahren haben wir nichts mehr miteinander zu tun.

Gab es ein Zerwürfnis?

Das kann ich so nicht sagen. Damals wollte Schühly mit Götz George einen Film über Heinrich George machen, mit Götz als Heinrich George. Da haben wir uns in verschiedene Richtungen entwickelt. Sagen wir mal so: Der Erfolg vom „Totmacher“ hat eigentlich alle Beteiligten auseinander gebracht.

Zwischen George und Ihnen hat es damals ziemlich geblitzt. Warum?

Ich weiß gar nicht, wo man da anfangen soll. Ich glaube, Götz George konnte nie verstehen, dass jemand, der noch nie einen Spielfilm gemacht hat, gleich so was Schwieriges dreht. Die Dokumentarfilme, die ich bis dahin gemacht habe, das waren für ihn keine Filme. Seiner Meinung nach ist Dokumentarfilm halt nur Kamera draufhalten. Da hat er halt gedacht, dass wir das nicht können.

Wer ist „wir“?

Ich meine die Leute, die ich mir dazugeholt habe. Beziehungsweise ging das natürlich nur gegen mich, ist ja klar. Denn gegen den Kameramann konnte er schwer was sagen und gegen die anderen eigentlich auch nicht. Schühly kannte George von „Abwärts“, dem Thriller, in dem George im Fahrstuhl spielt, von Carl Schenkel glaube ich. Der war auch sehr gut und ein ziemlicher Erfolg. Deswegen war George dabei.

George war nicht Ihre Wahl?

Wahl ist falsch. Idee. Das war Thomas Schühlys Idee. Ich fand die Idee dann aber gut. Ich glaube, dass George immer gedacht hat, dass er den Film quasi auch ohne mich machen kann.

Um Georges Frage an Sie zu stellen: Wie kamen Sie als jemand, der bis „Warheads“ dokumentarisch gearbeitet hatte, dazu, einen Spielfilm machen zu wollen? Zumal zwischen beiden große Ähnlichkeiten bestehen.

Die gehören ja auch zusammen. Aufgrund der positiven Resonanz auf „Warheads“ war es überhaupt möglich, eine Finanzierung für den „Totmacher“ zu finden. 1993 hab ich schon das Drehbuch geschrieben. Dabei entstand dieses Prinzip, dass man Bilder hinter den Worten benützt. Das habe ich von „Warheads“ gelernt. Ich hatte gesehen, dass mit einem fesselnden Gesprächspartner beim Betrachten dieser Person unglaubliche Bilder entstehen. Das wurde dann auch das Prinzip von „Totmacher“.

Das war die formale Ebene. Und inhaltlich?

Zwischen einem Massenmörder aus den Zwanzigerjahren und Soldaten und Söldnern sehe ich keinen Zusammenhang.

Was ist mit dem Thema Gewalt?

(lacht auf): Ja, Gewalt. Das ist sozusagen das Thema überhaupt in unserer Gesellschaft. Aber das hat jetzt mit den beiden Sachen eigentlich nichts zu tun.

Das sehe ich nicht so. Schaut man sich die aktuelle deutsche Filmproduktion an, findet sich das Thema Gewalt kaum so deutlich formuliert wie bei Ihnen. Tom Tykwers „Heaven“ ist vielleicht ein gutes Beispiel. Obwohl Kate Blanchett eine Mörderin spielt, geht es eigentlich überhaupt nicht um Gewalt, sondern um ganz andere Dinge. Bei „Warheads“ geht es, ohne dass Töten gezeigt wird, permanent um Gewalt.

Das ist ja ganz gut, wenn Sie das so sehen. Aber ich kann halt schwer meine eigenen Filme interpretieren. Für mich ist das nicht so klar. Aber ich hör’s immer wieder.

Wie kamen Sie auf die Haarmann-Protokolle?

Durch Michael Farin, der jahrelang ein Buch über die Rezeptionsgeschichte des Falls Haarmann herausbringen wollte. Das war ja ein ziemlich populärer Fall. Dabei ging es auch darum, welche Rolle die Polizei in den Zwanzigerjahren gespielt hat. Muss sie in der Demokratie autoritärer, strenger sein oder liberaler? Gab es ein Versäumnis der Polizei?

Im Vergleich zu den Verhältnissen im Kaiserreich.

Genau. Da spielte der Noske eine Rolle in Hannover, der Hindenburg und alle diese Leute. Die kommen ja alle aus dieser Gegend. Dann gab es einen Streit zwischen den Kommunisten, den SPDlern und den konservativen Kreisen, die natürlich gesagt haben, das habt ihr jetzt von der Demokratie.

Massenmörder.

Ja. 1924 war die Weimarer Republik ja grad mal fünf, sechs Jahre alt. Das gehörte alles zur spezifischen Auseinandersetzung dieser Zeit wie alle Themen, die Pluralismus, Liberalismus, Toleranz oder Nichttoleranz und so weiter betreffen. Das kann man alles in diesem Projekt spiegeln und reflektieren.

Musil hat im „Mann ohne Eigenschaften“ auch eine Figur nach Haarmann geformt.

Ja, und Fritz Lang seinen Film „M“. Das war der erste Film über einen Massenmörder, und der ist aus Deutschland gekommen. Ich würde fast sagen, dass Fritz Lang dieses Genre in Amerika eingeführt hat. Der Film „While The City Sleeps“ war dann der erste amerikanische Massenmörderfilm. Das alles wollte Michael Farin als Buch herausgeben. Deswegen kannte er die psychiatrischen Vernehmungsprotokolle und hat mir die gegeben. Dann hab ich das gelesen und gesagt: Das ist der Spielfilm!

Die Kammerspielsituation hat sich daraus ergeben.

Ja, wobei das ja mein Debütfilm war. Da wollte ich mich auch aus praktischen Erwägungen nicht wetterabhängig machen. Darum haben wir uns für das Studio entschieden. Der Begriff Kammerspiel kam erst in der Phase, als ich recherchiert habe. Nachdem es zuerst hieß, das sei überhaupt kein Kino, wie jetzt wieder bei dem Fosse-Projekt, haben wir gekontert: Wieso, das ist ein deutsches Filmgenre aus den Zwanzigerjahren und, bitte sehr, das nennt sich Kammerspiel.

Arnold Fanck hat damals über eine entgegengesetzte Strategie dem deutschen Kino internationale Aufmerksamkeit beschert, indem er in den Bergen gefilmt und eine Spielfilmhandlung darüber gelegt hat.

Ja. Aber deutscher Film von Weltgeltung der Zwanzigerjahre hat eher nicht mit Arnold Fanck zu tun, sondern mit den Arbeiten von Fritz Lang, Robert Wiene und so weiter.

Was hat Sie an der Figurenkonstellation, dem Mann, der diese Jungen ermordet und zerstückelt hat, dem Gerichtspsychiater und dem Schreiber interessiert?

Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Das ist rein instinktiv. Ich lese die Protokolle und sage, das interessiert mich. Ich muss nicht wissen, warum mich das interessiert. Ich weiß nur, dass ich die Dialoge toll fand, dieses Gespräch, die Sprache. Mir reicht das auch. Ich muss nicht sagen, ja, aber hier ist es wichtig, dass wir auch erklären können, welche Ansätze die Rassenhygiene direkt nach dem Ersten Weltkrieg hatte.

Rassenhygiene?

Ja. Weil das auch ein entscheidender Punkt ist. Anders als zu Fritz Haarmann gibt es zu dem Professor, der ihn befragt, ja keine Informationen, wer das ist. Eine Aufgabe war daher, die zweite Hauptfigur, eben den Professor, aufzufüllen mit Stoff, mit Inhalt. Sonst hast du ein völlig einseitiges Spiel. Was ja auch in der Rezeption völlig albern dargestellt wurde. Götz George kann nur so gut sein, wenn ein toller Schauspieler wie der Jürgen Hentsch dabei ist. Nur hatte der im Protokoll höchstens Einzeiler, und zwar richtig dämliche – so im Stil von „Darf man das?“ und „Warum machen Sie das?“ und „Ist das gesund?“ und so weiter. Deswegen mussten wir den aufbauen. Wir haben also recherchiert und herausgefunden, dass dieser Professor ein Rassenhygieniker gewesen ist, der es begrüßt hat, dass viele seiner Gedanken in den Dreißigerjahren, als die NSDAP an die Regierung kam, im Nationalsozialismus Wirklichkeit wurden. Die Rassenhygiene war eine avantgardistische Wissenschaft, die nach dem Ersten Weltkrieg in allen industrialisierten Ländern einen Aufschwung erlebt hat. In diesem Kontext muss man die Figur Haarmann sehen. Sie ist sozusagen das ideale Beispiel, um zu zeigen, woran die Gesellschaft krankt. Da gibt es zwei Möglichkeiten. Einmal das kommunistische Modell, dass man die Gesellschaft verändert. Dann ändert man auch die Menschen. Das konservative Gegenmodell besteht darin, dass man die Menschen verändern muss, genetisch und rassenhygienisch. Dann hat man auch eine bessere Gesellschaft. Das sind keine Ideen der Nazis. Das ist rassenhygienisches Gedankengut, das es schon am Ende des vorletzten Jahrhunderts gab. Nach dem ersten Weltkrieg mit den vielen Kriegsversehrten und der Wirtschaftskrise kamen diese Fragen dann verstärkt auf den Tisch. So beschäftige ich mich mit diesem Film. Ich kann Ihnen nur sagen, dass mich das Thema Massenmord – es gibt ja richtige Massenmordfans – nicht interessiert.

Massenmordfans?

Ja. Die alles sammeln und sich gut auskennen. Es gibt immerhin erwachsene Leute, die interessieren sich für Massenmord wie andere für die Werke von Johann Sebastian Bach.

Abstrus. Kennen Sie welche?

Ja, natürlich kenne ich die. Die haben dann zum Beispiel alle Bücher über Jeffrey Dahmer gelesen oder über Charles Manson. Anfang der Neunziger gab es mit dem „Schweigen der Lämmer“ und dem Film von John McNaughton, „Henry. The Portrait of a Serial Killer“, ja eine Art Boom des Genres.

Wie kam es zur dritten Figur des Schreibers?

Durch die Protokolle war schon mal klar, dass es da einen dritten Menschen geben muss. Ich fand das auch sehr wichtig, dass man solch ein klassisches Dreieck baut. Was auch visuell ganz andere Möglichkeiten ergibt, weil man immer, wenn etwa der Professor und Haarmann sich duellieren, die Reaktion des Dritten zeigen kann. Das multipliziert die Inszenierungsmöglichkeiten. Zudem hatte es noch einen weiteren Aspekt, weil sich ein Professor ja nicht mit einem Stenografen einlässt.

Wie meinen Sie das?

Die gehören anderen sozialen Klassen an. Das war dann lustig, weil Pierre Franckh, der den Schreiber gespielt hat, von Anfang an ein bisschen unglücklich darüber war, dass Jürgen Hentsch nicht mit ihm spielt. Was ja sozusagen rollenimmanent war. Natürlich musste sich Jürgen Hentsch auch konzentrieren, dass er nicht weggefegt wird von Götz George. Im Laufe des Drehs, der chronologisch war, entwickelte sich dann aber ein Verhältnis zwischen Haarmann und dem Stenografen. Was für Haarmann, der homosexuelle Vorlieben hatte (lacht), eine andere Aufladung hatte als für den Stenografen. Das ist dann natürlich wunderbar.

Einmal klagt Haarmann über Kopfschmerzen und wünscht, dass man ihm einen Knaben zuführt. In dieser Szene zeigt die Kamera den Stenografen.

Ja, ja (lacht), das ist für den natürlich unangenehm.

Es gibt Momente des Zweifels, wo man nicht mehr sicher ist, ob der Schreiber wirklich ein solches Unschuldslamm ist.

Zweifel gehören zum Kino. Keine Zweifel ist die Domäne des Fernsehens.

Wo Sie es gerade sagen: Zweifel als die Möglichkeit, verschiedene Blicke zu haben?

Ganz genau. Das ist auch eine Gemeinsamkeit zwischen „Warheads“ und dem „Totmacher“. Schon bei „Warheads“ wollten die Leute nicht akzeptieren, dass man selber entscheiden muss, ob das jetzt ein Arsch ist oder nicht.

Die Figur des Aschenbrenner?

Irgend einer der Porträtierten. Weil man vom Fernsehen gewohnt ist, dass da immer ein Kommentator ist. Das Fehlen der klassischen Distanzmittel wird umgedeutet, so als würde ich das Gezeigte …

affirmieren?

Und auch noch gutheißen, im Grunde genommen selber so sein. Beim „Totmacher“ war’s ein bisschen komplizierter. Aber das Prinzip ist dasselbe.

Das wirklich Schockierende war in meinen Augen, dass der Professor und Haarmann als zwei geschlossene Systeme auftreten, die zwar die gleichen Worte benutzen, aber völlig aneinander vorbeireden. Im Weltbild des Professors fehlt der Begriff dafür, dass bei Haarmann ein Leiden an den Morden durchaus sichtbar ist, aber kein Gefühl von Schuld. Während der Professor immer nach diesem Schuldgefühl sucht. Bei „Warheads“ lief die Geschichte noch stärker über Bilder. Etwa wenn Aschenbrenner diesem rumänischen Söldner begegnet.

Tolle Sache.

Das hat was von archaischem Ritual. Zwei Männer messen ihre Kräfte.

Stimmt. Ich habe „Warheads“ erst letztes Jahr in Italien auf einer Werkschau auf dem Filmfestival in Pesaro gesehen und mich gewundert, warum die Leute damals eigentlich so auf den Film eingedroschen haben. Dabei ist mir Folgendes aufgefallen: Obwohl wir von 1991 bis 1998, also fast zehn Jahre, Krieg auf dem Balkan hatten, einen fürchterlichen Bürgerkrieg mit Ausmaßen, wo hunderttausende erschossen und ermordet wurden – wie viele Spiel- und Dokumentarfilme aus Deutschland beschäftigen sich eigentlich mit diesem Thema? Erstens. Zweitens: Seit über zehn Jahren sind deutsche Soldaten im Ausland, seit Somalia. Das war, glaube ich, der erste Auslandseinsatz, 1991. Wie viele Spielfilme thematisieren den Beruf des Soldaten und seine Abweichungen? Was ist hier eigentlich los? Warum hatten die Leute dann eine solche Aversion gegen „Warheads“?

Sie haben die Antwort schon gegeben: Weil er nicht urteilt.

Aber man könnte doch sagen, dass es toll ist, wenn überhaupt jemand das mal macht. Wir überlassen das komplett irgendwelchen Fernsehmoderatoren oder Fernsehjournalisten, die für die ARD so ein Special machen. Aber die filmische Auseinandersetzung, die eine völlig andere Arbeit ist, die ist komplett ausgeblieben.

Sie zeigen die Bilder weitgehend jenseits einer konkreten Erzählung und enthalten sich eines Kommentars.

Das ist die Aufgabe von Film. Und von solchen Filmen gibt es, wie ich meine, viel zu wenig.

Man könnte die These aufstellen, dass das nicht geschieht, weil wir als Deutsche traumatisiert sind durch unsere Vergangenheit. Wir haben eine Scheu davor, Deutsche – auch im Film – als aktive Kriegshandwerker zu präsentieren.

Das mag sein. Aber es wird doch kein Regisseur in diesem Land gehindert, das zu tun. Ich glaube, es geht hier auch nicht um ein Trauma, sondern um ein Verständnis davon, was Kino ist. Wir haben seit zwanzig Jahren im Kinoverständnis eine absolute Dominanz des Fernsehens. Themen, die das Fernsehen belegt, sind Themen, die angeblich fürs Kino nicht mehr brauchbar sind.

Wir können eine Wette abschließen, dass die Themen, von denen wir reden, in zehn Jahren im Kino behandelt sein werden.

(lacht)

Man kann es doch auch so sehen: Wir erleben zurzeit einen Entwicklungsschub. Denken Sie an den neuen Roman von Günter Grass über den versenkten Flüchtlingsdampfer und an die Spiegel -Serie „Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten“. Zum ersten Mal können sich die Deutschen, von der Weltöffentlichkeit gebilligt, ihrer Rolle als Opfer der Geschichte zuwenden. Damit kommt einiges in Bewegung. Wenn man nun annimmt, dass für eine Gemeinschaft Ähnliches gilt wie in der Individualpsychologie: Schuld wird erst angenommen, wenn der Täter in einem anderen Kontext auch in seiner Rolle als Opfer aufscheint …

Ich muss Ihnen da massiv widersprechen, weil Sie einen Punkt außer Acht lassen. Es geht doch darum, dass die Deutschen sich wieder als Opfer fühlen können. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie sich doch nicht als Täter von Millionen von Opfern gesehen, sondern als Opfer.

Sie haben sich als Spielball der Verhältnisse und Ereignisse erlebt. Das ist etwas anderes.

Bis in Deutschand eine breite Öffentlichkeit akzeptiert hat, dass das zentrale Verbrechen der Nationalsozialisten der Holocaust war, wissen Sie, wann das war? Das war Mitte der Achtzigerjahre, ausgelöst unter anderem durch die „Holocaust“-Serie, die Ende 1979 im deutschen Fernsehen lief. Bewiesen war es schon 1946 in Nürnberg. Nur, die Deutschen wollten das nicht akzeptieren, weil sie zu sehr mit sich als Opfer beschäftigt waren.

Der Krieg, die Kapitulation, das war ein Schock!

Die Rezeptionsgeschichte des Nürnberger Prozesses hat deutlich macht, dass die Deutschen das nicht als Möglichkeit angesehen haben, sich mit den Verbrechen, die sie begangen hatten, auseinander zu setzen. Es war für sie eine Implementierung der Siegerjustiz von außen in ihre eigene Gesellschaft. Die Leute hat immer der Bombenhagel von Hamburg und Dresden mehr interessiert, bei dem sie ihr Haus und ihre Familie verloren haben sind, als die Verbrechen irgendwo in Polen.

Sie sagen, es liegt am Fernsehen, dass Themen wie Krieg und Militär in Deutschland nicht behandelt werden.

Nein, das habe ich nicht gesagt. Sondern das liegt am Regisseur selbst. Warum gibt es noch keinen deutschen Film, der erzählt, wie die Wehrmacht Verbrechen begangen hat?

Traumatisierung?

Nein, Ihre These ist, erst wenn die Deutschen sich als Opfer sehen können, dann kommen sie irgendwann an den Punkt, dass sie irgendwann auch die Verbrechen, die in ihrem Namen begangen wurden, thematisieren können. Das ist ja absurd. Ich denke, dass man hierzulande das Gefühl hat, wenn „Spiegel TV“ oder ein ARD-Korrespondent in Sarajevo so etwas macht, dann ist das Thema behandelt. Die Auseinandersetzung, die durch Filmregisseure stattfinden könnte, bleibt aus: Weil die Leute das nicht wollen und auch gar nicht einsehen.

Und Sie machen es, weil Sie kein Deutscher sind ?

Mich interessieren diese Themen. Aber in welchem Kontext das steht, das weiß ich doch nicht. Aber wenn fünfhundert Kilometer von München entfernt in Zagreb Krieg ist, ist es doch ganz normal, dass man sich dafür interessiert.

Ihr Interesse formuliert sich aber in sehr spezieller Perspektive. Sie haben in „Warheads“ nicht über eine konkrete Kriegshandlung berichtet, sondern über das Handwerk des Söldners.

Aber so einfach ist das nicht. Ein Legionär wird zwar immer als Söldner bezeichnet, dabei ist er ein ganz regulärer französischer Soldat. Die Legion ist ein Eliteverband, der in die französische Armee integriert ist und auch nur von den Franzosen eingesetzt werden kann. Niemand kann die sozusagen anmieten und dann nach Südafrika oder wohin auch immer schicken. Das kann nur der Verteidigungsminister oder der französische Ministerpräsident. Ein Söldner ist etwas anderes. Das ist zum Beispiel dieser Brite, der als Individualperson über München mit dem Zug nach Zagreb fährt und sich dann dort anwerben lässt und in der Nähe von Gospic bei den Milizen mithilft, gegen die serbischen Tschetniks zu kämpfen. Das Prinzip, nach dem die Legion funktioniert, hat ja viel mit der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Denn überall, wo Entkolonialisierungen stattgefunden haben, waren Söldner im Einsatz, die die Interessen derjenigen, die jetzt hier ihre Macht schwinden sehen, vertreten. Wenn also jemand wie Aschenbrenner im Algerienkrieg eingesetzt wurde und bei dem Putsch in Algier dabei war, dann ist das mehr als nur das archaische Prinzip von Armee, finde ich. Das ist auch eine zeitpolitische historische Angelegenheit.

Die über Bilder verhandelt wird.

Richtig.

Und das haben Sie weitgehend in zeit- und ortsindifferenten Situationen gezeigt, etwa wie die Leute da durch den Dschungel oder was das ist, stapfen. Ein Gegenbeispiel wäre „Black Hawk Down“, wo es um einen konkreten bewaffneten Einsatz der Amerikaner geht. Die Lokation ist wiedererkennbar. Die Zeit ist wiedererkennbar. Ihre Darstellung entrückt das Dargestellte zumindest optisch in einen quasi mythischen Raum.

Jaaa. Aber wenn ich mir zum Beispiel „Deer Hunter“ von Michael Cimino anschaue, diesen Vietnamfilm. Der erzählt mir noch über ganz andere Dinge. Das kann bestenfalls jedes Kunstwerk schaffen.

Ich gebe Ihnen Recht, dass jedes Kunstwerk auch diese mythisch-zeitentrückte Ebene hat, die …

Nicht immer! Es gibt Filme, die das nicht haben.

Dann ist das vielleicht auch kein Kunstwerk. Anyway …

Yes?

Es fällt doch auf, dass Sie sich immer wieder an deutschen Themen abarbeiten.

Es ist schon ein bisschen merkwürdig, wenn man als Regisseur, der in Deutschland lebt und aufgewachsen ist, erklären muss, warum man sich mit Themen aus Deutschland beschäftigt.

Weil die Traumatisierten es nicht tun. Das war doch meine Sprachregelung.

Ach so, ach so. Haben die andern jetzt Glück? (lacht auf) Aber ich hab ja erst zwei Filme über den Nationalsozialismus gemacht, 1985 und 1999, innerhalb von vierzehn Jahren.

Ich spreche von deutschen, nicht von NS-Themen, Ihrem Film über Nietzsche etwa: Worum ging es da?

„Der Tyrann von Turin“ erzählte über die glücklichsten Tage Friedrich Nietzsches. So schildert er das in den Briefen an seine Mutter. Das war die Zeit, in die seine geistige Umnachtung, wie man das so nennt, fällt, mit der berühmten Szene, wo er ein Pferd …

umarmt.

Genau, das war in Turin. Darüber habe ich einen Kurzfilm gemacht und dafür hundert Jahre nach Nietzsche die Orte in Turin aufgesucht, an denen er gelebt und sich aufgehalten hat.

Wie sind Sie darauf gekommen?

Ah, das weiß ich jetzt auch nicht mehr. Ich glaube, das kam aus der Zeit, als ich mich 1984/85 mit Adolf Hitler in München, also den Orten, wo er gelebt hat, beschäftigt habe. In dieser Zeit habe ich mich auch mit Nietzsche beschäftigt.

Klingt logisch. Hat aber auch was Obsessives.

(lacht auf): Keine Ahnung. Ich bin gern bereit, der Zeitung zuliebe …

Oh, danke!

… mich hier analysieren zu lassen, vom besten Psychiater oder Psychologen. Wenn’s sein muss. Aber ich glaube, wir kommen auch ohne zurecht. Es gibt da aber noch eine Verbindung. Als ich meinen ersten Film gemacht habe, „Eine Freundschaft in Deutschland“…

über Hitler.

Ja. Der lief im März 1985 im Werkstatt-Kino München. Angefangen haben wir den 1984, als ich in München Abitur gemacht habe. Das weiß ich noch genau, weil mich das ein bisschen gestört hat bei der Abiarbeit. Daraufhin habe ich das weggelegt auf die Zeit nach dem Abitur. Und 1986 habe ich dann Bodo Kirchhoff kennen gelernt. Ich wollte ja schon damals einen Spielfilm drehen und habe zwei Drehbücher geschrieben. Eins davon basierte auf einer Geschichte von Bodo Kirchhoff: Eine Episode, die sich um die deutsche Kolonie in Paraguay in Assuncion dreht, die sich dort um den steuerflüchtigen Konsul Weyer gefunden hatte (lacht auf). Der Hintergrund war, dass Nietzsches Schwester Elisabeth mit ihrem Mann Bernhard Förster – einem Antisemiten, der hier aus dem Berliner Schuldienst entlassen worden war – Ende des 19. Jahrhunderts nach Paraguay ausgewandert war. Dabei hat sich die Förster-Nietzsche damals gezielt als Schwester des berühmten Philosophen in Szene gesetzt, um Sponsoren zu finden. „Nueva Germania“ alias Neudeutschland, diese Kolonie um Förster-Nietzsche und ihren Mann, sollte dann für einen Journalisten der Anlass sein, dorthin zu fahren. Worauf er sich in diese deutsche Clique um Konsul Weyer verstrickt. Das war der Aufhänger 1986. Die historische Kolonie ist damals übrigens kläglich gescheitert, woraufhin sich Bernhard Förster angeblich umgebracht hat. Eilsabeth ist nach Deutschland zurückgekehrt und hat sich um ihren Sohn, nein, ihren Bruder gekümmert. So wurde sie dann diese berühmte grauslige, also dieses furchtbare Monster.

Spannende Themen. Aber immer sind Sie sind dabei auf der sicheren Seite.

Bin ich nicht, weil ich ziemlich viel Prügel kriege. Schauen Sie, wenn ich mich mit Söldnern beschäftige, dann hat das auch nichts mit NS zu tun. Ich interessiere mich dafür, weil ich selber in der Armee war, in der französischen.

Wie lange?

Ein Jahr, normaler Wehrdienst. Da liest man dann halt Ernst Jünger und erfährt, dass der auch in der Legion war. Dann erfährt man, dass gerade nach dem Zweiten Weltkrieg ganz viele Deutsche in der Legion waren, die im ersten Indochinakrieg gekämpft haben, dass fast siebzig Prozent der Unteroffiziere Deutsche waren. Was sich bis in den Algerienkrieg fortgesetzt hat. Dann stellt man weiter fest, dass sie auch deutsch singen: „Marianne“ und „O du schöner Westerwald“ sind Songs, die jeder in der Legion auf Deutsch singen muss.

Mit „sicherer Seite“ meine ich eine gewisse Unbeteiligtheit. Ich höre diese Lieder und finde sie schön. Und dann ist das für mich als Deutsche ein Problem.

Hm.

Waren Sie mal in diesem neuen Dokuzentrum in Nürnberg?

Nicht in dem neuen, aber auf dem Gelände. Das ist schlimm genug.

Sehen Sie. Ich war im Frühjahr da. Und erlebte eine Gefühlsmelange. Ich war erschrocken und fasziniert zugleich. Von der Formensprache der Zeitdokumte, von der Architektur. Dabei weiß ich, dass das eine Täter-Ästhetik ist.

Aber das ist doch nicht schlimm. Das ist doch ganz gut zu wissen.

Nein, das ist nicht gut zu wissen. Denn die Frage ist doch: Wie gehe ich mit dieser Faszination um? Gibt es eine gute Form im falschen Leben?

Wir reden hier von Verbrechen. Das ist doch offensichtlich, dass die meisten, die für diese Geschichte verantwortlich sind, nicht zur Verantwortung gezogen wurden. Sondern dass sie es geschafft haben, diese Verantwortung der nächsten Generation zu übertragen. Was für mich, wenn Sie so wollen, ein zweites Verbrechen ist. Man kann doch nicht Teile der eigenen Geschichte leugnen.

Alexander Kluge hat in dem Porträt, das Angelika Wittlich über ihn gedreht hat, von dem Kindheitserlebnis gesprochen, wie eine Splitterbombe zwanzig Meter vor ihm eingeschlagen ist und in einer Nacht Haus und Hof zerschmettert wurden. Er konstatiert, dass elementare Katastrophen wie die Zerstörung des Lebensumfelds erst mit vierzigjähriger Verspätung fassbar werden. Das hat mir unmittelbar eingeleuchtet. Aber noch eine letzte Frage: Alexander Kluge sagte auch, dass er gerne wieder im Kollektiv arbeiten würde wie bei seinem Film „Deutschland im Herbst“.

Kann sein.

Wie finden Sie die Idee?

Super.

Wenn es gut läuft, sagt er, wird jeder der Beteiligten von diesem Egowahn entlastet.

Ja, aber schauen Sie, es gibt ja auch bildende Künstler, die allein Bilder malen. (lacht auf) Und die Opern werden auch nicht zu fünft geschrieben. Stellen Sie sich vor, Gerhard Richter würde mit vier anderen seine Bilder malen. Warum denn? Warum sollen jetzt die Filmemacher menschlicher werden? Das ist Quatsch. Das widerspricht auch dem Prozess des Filmemachens.

Es sind aber verschiedene Autoren daran beteiligt.

Ein Cutter kann nur das schneiden, was auf dem Tisch ist. Sie können nicht als Regisseur sagen: Wissen Sie, ich habe einen tollen Film gemacht, aber der Cutter hat den leider so verschnitten. Haben Sie so was schon mal gehört? Es gibt immer nur einen, der die Verantwortung trägt, vor allem dann, wenn’s schief läuft. Deshalb darf derjenige im Erfolgsfall auch die Verantwortung gern an sich nehmen.

Der Setdesigner Ken Adam nannte den Film das neue Kunstwerk des 20. Jahrhunderts, an dem in besonderer Weise verschiedene Autorentätigkeiten zusammenkommen.

Klar. Aber wir reden von fünf Regisseuren. Wenn ich dem Ken Adam vier andere Ken Adams danebensetze, dann will ich mal sehen, wie glücklich er ist. Das kann man mal machen, solche Omnibusfilme. Aber man darf sich davon nicht zu viel erwarten, keinen Film, der dann alles rausreißt.

Danke für das Gespräch. Ich hoffe, es war nicht zu anstrengend.

Nö. Es ist doch immer alles anstrengend, oder?

NIKE BREYER lebt als freie Autorin in München. Zurzeit recherchiert sie zum Einfluss des kollektiven Unbewussten auf unseren Umgang mit Kleidung als symbolischer Kommunikation

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