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„Wie eine Gehirnwäsche“

Die junge Schriftstellerin Juli Zeh ist durch Bosnien gereist. Ihre literarische Reportage „Die Stille ist ein Geräusch“ verrät mehr über die Autorin als über das Land, in dem sie sich schnell heimisch fühlte

Interview ULRICH NOLLER

taz: Mal eben nach Bosnien fahren, und dann auch noch mit Hund – eine ziemlich ungewöhnliche Schnapsidee.

Juli Zeh: Den Hund nehme ich immer mit, weil ich gerne mit ihm reise und weil ich so eine Art Affenmutter für ihn bin. Aber die Idee, ausgerechnet nach Bosnien zu fahren, kam natürlich nicht völlig aus dem Blauen; ich hatte mich ja schon im Studium und für „Adler und Engel“ mit dem Land beschäftigt.

Wie darf man sich das vorstellen? Man setzt sich ins Auto und fährt nach Sarajevo?

Es gibt keine Informationen zu Reisen nach Bosnien. Zuerst fuhr ich also mit dem Zug nach Wien, dann weiter nach Zagreb. In Zagreb stellte ich fest, dass man in Bosnien nicht wirklich mit dem Zug reisen kann, und fuhr dann Autobus. Aber das war wegen des Hundes problematisch. Teilweise musste ich die Fahrer bestechen, um ihn mitnehmen zu können.

Das beschreiben Sie am Anfang Ihres Buches. Später folgen Spaziergänge auf Minenfeldern und Verfolgungsjagden mit Polizisten. Ihr Reisebericht liest sich wie eine Abenteuergeschichte.

Aber nur stellenweise. Wenn man das Buch mit hässlichen und verbrauchten Begriffen belegen will, dann ist es eher ein Selbsterfahrungsbericht. Es geht darum, wie ich mich mit den Erfahrungen auseinander setze, die ich dort gemacht habe.

Was genau haben Sie denn gesucht in Bosnien?

Am Anfang so etwas wie die Wirklichkeit zu all den schrägen und unzutreffenden Vorstellungen, die ich über die Region hatte. Das hat sich bald erledigt – und der größte Schock, den ich erlitten habe, war der, dass ich mich schnell zu Hause gefühlt habe.

Warum war das ein Schock?

Man verbindet mit dem Balkan meist eine unglaubliche Distanz. Da war nun mal Krieg; und man hat die Vorstellung, das sei eine ganz zerrissene Region, ein Riesenchaos. Aber so war es überhaupt nicht. Ich fühlte mich wie in meiner eigenen Westentasche. Dadurch drängte sich mir die Frage, warum dort Krieg war, auf eine völlig neue Art und Weise auf.

Der Krieg ist näher an Sie herangerückt?

Er hat mich auf einmal persönlich betroffen. Ich gehöre nicht zu der Generation, die Krieg oder auch nur Nachkriegsgeschichte hautnah miterlebt hat. Mit Leuten zu reden, die noch vor wenigen Jahren Menschen umgebracht haben, wenn auch zur Verteidigung, das war etwas völlig Neues für mich. Am meisten beeindruckt hat mich dabei, dass es überhaupt keinen Unterschied macht; dass man es weder merkt noch sieht; dass es überhaupt keine Rolle spielt. Und damit gehört der Krieg umso mehr zu dem ganz normalen Menschsein. Er kann nicht mehr so leicht als Ausnahmezustand begriffen werden, der sich woanders ereignet.

Sie schreiben aber auch, Sie hätten nach McDonald’s und Melonen gesucht. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

McDonald’s und Melonen sind einerseits eine Art Running-Gag, andererseits aber auch Metaphern. Ich habe nach Ursachen gesucht im Detail und im Großen, und bei McDonald’s und Melonen handelt es sich eben um Details. Ich habe nach Gründen gesucht für das Vorhandensein oder das Fehlen von Dingen. Diese Art von Fragen habe ich mir ständig gestellt. Und das immer wieder auftauchende Motiv mit den Melonen ist eine Art Aushängeschild für diese Entwicklung.

Aber auch ein Zeichen für Ihre Art des Umgangs mit dem Thema, für eine gewisse Ironisierung.

Ich wollte auf keinen Fall die Tränendrüse in Gang setzen, denn dafür gibt es keinen Grund. Die Menschen, die dort leben, sind im Schnitt erheblich besser gelaunt als alle Menschen, die ich in Deutschland kenne. Und es gibt in Bosnien sehr viel, über das man lachen kann. Ich habe versucht, dem Bericht die Leichtigkeit zu geben, die meine Reise zum Teil auch hatte.

Eine Spaßtour durchs Kriegsgebiet?

Das hat mit Spaß nichts zu tun. Man kann Respekt vor tragischen Ereignissen haben – und trotzdem lachen und einen Blick behalten für die Dinge, die schön oder fröhlich sind. Das habe ich versucht. Manchmal hat mich der Humor verlassen, aber oft eben auch nicht.

Wann hat Sie Ihr Humor verlassen?

Zwischendurch, in stillen Momenten. Wenn ich an einer Straßenecke stehen blieb, und dann befiel mich mit aller Macht die Frage: Was machst du hier eigentlich? Dabei ging es nicht nur um meine Reise durch Bosnien, sondern es war eine viel weiter gehende Frage, eine Sinnfrage. Das hat mir manchmal die Füße weggetreten.

Man fragt sich bei der Lektüre an solchen Stellen: Geht es eigentlich um Bosnien oder um Juli Zeh? Anders gesagt: Wo haben Sie Gründe und Ursachen, nach denen Sie suchten, gefunden? In Bosnien oder in sich selbst?

Klar, das Buch ist ein sehr subjektiver und auf gewisse Weise auch sehr egozentrischer Bericht. Es ist ganz bewusst weit weg von einer Haltung, die versucht, objektiv zu sein oder eine Wahrheit herauszufinden. Es geht nur darum, wie es mir ergangen ist.

Genau das könnte Ihnen jemand, der in Bosnien geboren ist, vorwerfen.

Und genau deshalb fühle ich mich mit dem Buch ganz ausgezeichnet. Weil ich gerade von Bosniern solche überwältigenden Reaktionen bekommen habe. Das ist mit nichts zu vergleichen, was ich sonst an Resonanz erhalte. Die Leute bedanken sich für das Buch, und das zeigt mir, dass ein großes Bedürfnis besteht, auf eine subjektive Art und Weise wahrgenommen zu werden.

Sie suchen durch den subjektiven Blick nach allgemein gültiger Wahrheit?

Ich habe den Bericht auch deshalb so radikal auf mich selbst bezogen, damit auf keinen Fall der Verdacht besteht, ich wollte jemanden belehren. Im Gegenteil: Ich hatte immer das Gefühl, keine Ahnung zu haben, die ganze Zeit. Ich habe mich nicht kompetent gefühlt, sondern sehr inspiriert, sehr bewegt und sehr angestoßen. Ich wollte, auch wenn es manchmal peinlich für mich selbst war, möglichst schonungslos offen sein. Das ermöglicht den Lesern besser, eine eigene Perspektive und eine eigene Wahrheit zu finden, als wenn man auf einem Silbertablett Fakten präsentiert. Und gerade das haben wir ja auch gehabt, über Bosnien ist wirklich ausführlich Bericht erstattet worden. Aber wenn man jemanden fragt, was er eigentlich weiß, wird er sagen: Nein, keine Ahnung, nichts!

Sie schreiben also selbstbezogen, um authentischer sein zu können?

Nein, weil ich nicht anders gekonnt habe. Alles, was ich dort erlebt, gesehen, gerochen und gefühlt habe, hat mich sehr an der Wurzel gepackt. Schon während der Fahrt habe ich deshalb ganz unmittelbar aufgeschrieben, was mir durch den Sinn schoss. Mein Verfahren war, aus diesen Notizen mit so kleinem Abstand, mit so wenig Verfremdung wie möglich dieses Buch zu entwickeln. Es hätte mich nicht gereizt, abstrakt zu recherchieren und ein Sachbuch über das Land zu schreiben.

Solchen Werken gegenüber grenzen Sie sich im Buch auch sehr radikal ab.

Die Journalisten, die von dort kriegsberichterstatten, machten mich manchmal regelrecht aggressiv. Ich hatte schon vorher geahnt, dass diese Berichte an der Wirklichkeit meilenweit vorbeigehen. Aber nachdem ich die so genannten Balkan-Helden und ihre haarsträubenden Ansichten tatsächlich kennen gelernt hatte, hätte ich regelrecht Lust gehabt, im Peter-Handke- Stil und megamäßig polemisch über die Medienwelt an sich abzulästern. Das habe ich mir dann verkniffen. Aber Reste der Wut, die ich damals empfand, stecken im Bericht noch mit drin.

Stichwort Handke. Sehen Sie Parallelen zwischen Ihrem Bosnien-Engagement und dem seinen?

Nur zum Teil. Seine Intention war unter anderem, der objektiven oder pseudoobjektiven journalistischen Berichterstattung eine literarisch-subjektive Sichtweise zur Seite zu stellen. Insofern gibt es eine Parallele. Aber wo es Handke darum ging, mit aller Macht gegen den Strom zu schwimmen und einen Skandal zu verursachen, sehe ich keine Gemeinsamkeiten. An allen Stellen, wo es hätte brenzlig werden können, habe ich den leiseren Ton gewählt statt den lauteren. Ich wollte keine politische Meinung abgeben, weil ich eine solche Meinung nicht habe.

In verschiedenen Medien wurde über Ihre Reise berichtet. Sie wurden als „Panzer-Juli“ bekannt.

Das ist eine furchtbar peinliche Geschichte. Das Ganze beruht auf dem Bericht eines Fernsehsenders, der mich gefilmt hat, als ich die deutschen SFOR-Truppen besuchte. Ich habe sehr viel darüber gelernt, wie diese Soldaten arbeiten. Aber wie die Geschichte verkauft wurde – nach dem Muster: Kleines Mädchen macht sich bei den Truppen wichtig –, das war wirklich peinlich.

Inwiefern war bei Ihrer Reise das Grauen des Krieges noch präsent?

Das ist ein diffuses und hintergründiges Gefühl, das immer da ist. Manchmal hat man fast den Eindruck einer Verschwörung im Hintergrund. Nach dem Krieg ist ein Land voller Zeichen, die immer wieder darauf verweisen. Diese Zeichen sorgen für eine diffuse Bedrückung oder Bedrängung, obwohl jedes für sich nichts Schlimmes bedeutet. Das ist wie eine Gehirnwäsche. Und man kann es literarisch besonders gut wiedergeben, weil das Ausstreuen dieser Motive schon fast ein literarisches Verfahren ist. Das Land selber enthält diese Zeichen, man muss sie nur aufsammeln und aufschreiben.

Wie schon bei „Adler und Engel“ personalisieren Sie auch sehr stark; sprechen Dingen und Landschaften Eigenschaften zu. Warum?

Das entspricht sehr meiner Art, die Welt zu sehen. Das geht auf etwas ganz Kindliches zurück. Ich neigte schon immer dazu, Mitleid mit Dingen zu haben. Ich sehe viele Dinge belebt, obwohl ich weiß, dass sie es nicht sind. Das spiegelt sich in der Literatur. Im Grunde ist das nicht sonderlich artifiziell. Es entspricht einfach der Art, wie ich tatsächlich denke.

Und wo kommen die Melonen her?

Ich weiß es nicht. Ich habe keine einzige Wassermelone auf irgendeinem Feld entdeckt. Und wenn Sie mit eigenen Augen gesehen hätten, welche Riesenberge davon an jeder Ecke angeboten werden, dann wüssten Sie, warum es so unglaublich ist, dass ich es nicht geschafft habe, eine einzige Melone wachsen zu sehen.

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