piwik no script img

Inflation am Becken

Wenn es heiß wird, verspricht das Schwimmbad Kühlung. Aber öffentliches Planschen ist fatal teuer geworden. Eine Sommergeschichte über Wutanfälle und Millionärssöhne

Eine Portion Krankmachen ist jetzt billiger als ein Runde Gesundmachen

Endlich Badesaison. Persönliches Anschwimmen. Herrliche Monate stehen mir bevor. Genauso muss sich ein junger Frosch fühlen, der den ganzen Winter über tief im gefrorenen Uferschlamm geschnarcht hat. Bei wunderschönem Wetter stehe ich an der Kasse des Columbia-Bads.

„Einmal junger Frosch“, scherze ich mit wunderbar leichtem und heiterem Gemüt. „Vier Euro“, sagt die Kassenfrau. „Was?“ – „Vier Euro!“ – „Ach so“, erleichtert schlage ich mir vor den Kopf, „ich verstehe, nein nein – ich will Ihr Schwimmbad nicht kaufen!“ „Eintritt kostet vier Euro“, wiederholt die Kassenfrau. „Für die Jahreskarte?“ – „Einmal – vier Euro!!“ – „Ich brauche auch keine Specials. Ich will weder in den Whirlpool zu den Nutten noch in Pandabärenpipi baden. Ich möchte einfach nur ins Kaltwasserbecken, ein paar Mal hin und her schwimmen. Was kostet das, bitte?“ – „Hab ich doch gesagt: Vier Euro!“

Ich beginne endgültig zu kapieren: „Das ist doch Wahnsinn! Letztes Jahr hat’s noch fünf Mark gekostet, bzw. vier mit meinem mit Bleistift gefälschten Studentenausweis. Wer ist denn dafür verantwortlich?“ – „Die da oben“, wirft sie einen gelangweilten Blick Richtung schönes Wetter. „Gott? Die Vögel? Piloten?“ – „Nee – die da oben. Die Chefs. Beschweren Sie sich bei denen – wir haben damit nüscht zu tun!“

Was der Chef sagt, wird gemacht – egal wie verbrecherisch und bescheuert es auch sein mag. Sind wir schon wieder so weit? Wird man in Deutschland denn niemals aus der Geschichte lernen? Vier Euro! Der Preis für den Schwimmbadeintritt hat die moralische Schallmauer durchbrochen und mit einem Schlag mühelos den für eine Schachtel Zigaretten überrundet. Eine Portion Krankmachen ist jetzt endgültig billiger als eine Gesundmachen. Hier wird konsequent eine fatale Tendenz fortgeführt, die in anderen Bereichen von Freizeit & Abenteuer schon länger sichtbar ist: Eine zehntägige Bergwanderung kostet 300 Euro, ein Sprung aus dem zehnten Stock ist umsonst. Ein Marathonlauf kostet die 17.000 Teilnehmer jeweils 30 Euro an Startgebühr, die Teilnahme an einem Amoklauf ist für die 17 Teilnehmer umsonst.

Und so weiter – ich denke, dass an dieser Stelle auch einfach das Bundesgesundheitsministerium gefordert ist. Nur mühsam bewahre ich die Beherrschung. Ich mahle knirschend mit den Zähnen, halte die Luft an und zugleich wird der ganze Körper von nervösen Flatulenzen geschüttelt. Dazu lasse ich tierische, aber beherrschte Schreie los und schlage den Kopf ruhig und kontrolliert stakkatoartig gegen das Kassenfenster.

„Das Kaspertheater könnse sich sparen – davon wird‘s keen Pfennich billja …“ Ich gebe ihr einen Fünf-Euro-Schein und bekomme bizarrerweise 90 Cents zurück. Die Inflationsrate an den Schwimmbadkassen wird offensichtlich nicht in Prozent sondern in Sekunden gemessen. Ich bin zu verwirrt, um mich zu beschweren. Übrigens war ich die ganze Zeit über der einzige Mensch vor der Kasse – wen wundert’s. Auf der Liegewiese und am Becken befinden sich tatsächlich ganz vereinzelt Leute. Millionärskinder vermutlich und solche, die sich im Herbst heimlich im Bad haben einschließen lassen.

Jetzt erinnere ich mich auch wieder, Silvester im Schein der Raketen ein paar Gestalten gesehen zu haben, die verstohlen Decken, Nahrungsmittel und heiße Getränke über den verschneiten Schwimmbadzaun reichten. Aber wir Besucher sind natürlich deutlich in der Minderheit gegenüber dem Heer von Bademeistern, das tatenlos um das Kaltwasserbecken herumlungert, in dem ich, wie angekündigt, ein paar mal rauf- und runterbade. Dass mir dabei beinahe ein versprengtes Millionärssöhnchen von der Seite auf den Kopf springt, ficht sie nicht an. Sie langweilen sich tödlich, doch das kennen sie ja schon von der Fremdenlegion. Dorthin müssen sie bestimmt zurück, wenn nach einer Saison mit dieser Preispolitik das Columbia-Bad für immer seine Pforten schließt.

ULI HANNEMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen