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die flugmeilenaffäreKein Skandal –aber merkwürdig

Ist es ein Skandal – oder ist es keiner? Das politische Berlin schien sich gestern nicht recht entscheiden zu können. Man regte sich auf, aber nicht so richtig. Dabei sind die Vorgänge rund um die Bonusmeilen beispiellos. Zumindest sind sie beispiellos merkwürdig.

Kommentarvon ULRIKE HERRMANN

Da ist ein Bund der Steuerzahler, der erst andeutet, dass er mit der Bild-Zeitung zusammengearbeitet hat – und es jetzt leugnet. Außerdem ließ diese Mittelstands-Lobbytruppe wissen, dass sie eine Liste der Meilensünder im Bundestag hat. Jetzt hat sie diese Liste angeblich nicht mehr. Es ist sogar unklar, ob es je eine Liste gab.

Merkwürdig auch: Auf dieser Liste, die es vielleicht gar nicht gab, sollen Politiker aller Parteien stehen. Trotzdem engagierte sich Bild lange nur bei „linken“ Leitfiguren: Cem Özdemir, Jürgen Trittin, Gregor Gysi. Über Unionspolitiker hingegen wurde nur widerwillig, spät und im Miniformat berichtet. Das sieht wie eine Kampagne aus, aber – ebenfalls merkwürdig – Bild hält das für objektiven Journalismus.

Auch merkwürdig: Inzwischen wurden Politiker aus jeder Partei geoutet. Nur nicht von der FDP. Das kann Zufall sein. Aber es bleibt eigenartig, dass die Liste, die es vielleicht nie gab, beim Bund der Steuerzahler von einem Mann betreut wurde, der jetzt für die Liberalen in Nordrhein-Westfalen arbeitet. Da hat Jürgen Möllemann das Sagen.

Genauso merkwürdig: Die Liste, die es vielleicht nicht gab – die gibt es seit letztem Herbst. Aber bekannt wird sie erst jetzt, acht Wochen vor der Wahl. Der Bund der Steuerzahler hält das für ernsthafte Aufklärung.

Merkwürdig schließlich: Die Liste, die der Bund der Steuerzahler hatte – oder vielleicht auch nicht –, die ist zehn Monate alt. Trotzdem kann Bild auch mit aktuellen Flügen aufwarten. Wo immer das Leck leckt, es leckt konstant. Aber das will sich die Lufthansa lieber nicht vorstellen. Sie schwört auf die Integrität von 4.000 Mitarbeitern.

Nur eines ist nicht merkwürdig: Es wirkt allzu menschlich, dass sich einige Abgeordnete hinreißen ließen, ihre dienstlichen Bonusmeilen privat zu nutzen. Das ist nicht schlimm, aber auch nicht anständig – und erklärt, warum sich im politischen Berlin niemand richtig aufregt.

Noch sind die vielen Merkwürdigkeiten kein Skandal, aber das kann sich ändern. Sehr schnell sogar. Es muss nur eine der vielen Merkwürdigkeiten irgendwo durch irgendwen zu einer erhellenden Bemerkung werden.

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