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Lebenswelten und Schatzkammern

Führungen für Gefühl und Verstand: Vor den Toren Hamburgs verkörpern die sechs Lüneburger Heideklöster 800 Jahre katholisches und evangelisches Frauenleben – zwischen, aber nicht hinter Klostermauern

von BIRGIT HOYER und HEINZ-GÜNTER HOLLEIN

Ernst hieß er. So hat er es gemeint, und so blickt er auch von seinem Porträt an der Fachwerkfassade des Hoppener-Hauses auf seine alte Residenzstadt herab. Als „Ernst der Bekenner“ und Herzog von Braunschweig-Lüneburg brach er ab 1527 von Celle aus regelmäßig zu „Visitationen“ der kirchlichen Einrichtungen seines Landes auf, um den Übertritt zum Protestantismus zu erzwingen. Ganz verziehen hat man ihm hier und da die Art und Folgen seiner „Besuche“ bis heute nicht.

Wer seinen Spuren auf einer Klostertour durch die Lüneburger Heide folgt, hört – von Wienhausen über Ebstorf bis Lüne – zuweilen einen leisen Unterton des Grolls, wenn die Führerinnen im Kreuzgang schildern, wie der rabiate Reformator im Weigerungsfall Geschirr- und Bücherschränke räumte oder Kapellen gleich im halben Dutzend abreißen ließ. Die Nonnen in den sechs „Heideklöstern“ (dazu zählen noch Walsrode, Medingen und Isenhagen) bekannten sich schließlich – nach fast vierzig Jahren zähen Widerstandes – zur neuen Glaubenslehre. Und bewahrten so die Lebensform einer selbständigen Frauengemeinschaft – bis heute.

„Die Klingeln für die Wohnungen der Damen befinden sich auf der Rückseite des Klosters“, steht neben der Eingangspforte von Wienhausen. Die „Damen“, das sind je nach Standort 12 bis 14 „Konventualinnen“, die mit – streng genommen unter – ihrer Äbtissin mietfrei im Kloster wohnen und ihm dafür „dienen“. Unter anderem, indem sie zwischen April und Oktober pro Kloster rund 15.000 Besucher durch die Geschichte und die Schätze dessen führen, was eine von ihnen „unsere christliche WG“ nennt.

Gute anderthalb Stunden dauert ein Gang durch 800 Jahre katholisches und evangelisches Frauenleben. Und immer ist die Verbindung von Persönlichem und Historischem gegenwärtig. 400 Goldmark zahlte 1910 ein Vater, um seine dritte Tochter bei ihrer Taufe ins „Damenstift“ einzukaufen. Die 93-Jährige ist heute die älteste Bewohnerin ihres Konvents. Wenn zum Beispiel in Ebstorf die Gemeinde zum Gottesdienst in die Klosterkirche kommt, sitzen die Stiftsdamen wie seit je auf der Empore über der Gemeinde in ihrem schwarz-weißen Habit hinter Holzgittern „in Klausur“. Und niemand will es anders. Ansonsten tragen die Damen ein ganz und gar nicht weltabgewandtes elegant-repräsentables Zivil. Und im Kapitelsaal von Lüne weist die Führerin mit sichtlichem Vergnügen auf das „gewagte“ Dekolletee hin, mit dem sich eine Äbtissin im 19. Jahrhundert porträtieren ließ und damit prompt die Missbilligung des Landesherrn erregte. „Aber ich trage doch den Schleier darüber“, habe die Dame den Tadel kühl gekontert.

Wenn die evangelischen Konventualinnen heute „Wir“ sagen, meinen sie immer auch ihre katholischen Vorgängerinnen, deren selbstbewusstes Beharren auf eigenständige Alltags- und Lebensgestaltung eine durchaus spezifische Tradition der Frauenklöster in der Heide darstellt. Und so mag die Zwangsbekehrung durch den Herzog Ernst weniger als religiöses Diktat abgelehnt, denn als Versuch übelgenommen worden sein, den durchaus etablierten Status der Nonnen aufzuheben.

Der Geruch von gewachstem Holz schwebt in den Räumen, etwa in der „Ulenflucht“: Schlafkammern, in denen die Nonnen schließlich zumindest ein kleines Stück Privatheit fanden und die von den Stiftsdamen recht üppig ausgemalt wurden. Im Lüner Remter steht noch der lange schmale Eichentisch, an dem die Nonnen aßen und arbeiteten. Hier stickten sie Wandteppiche und über vier Meter lange Altartücher. Aber nur im Sommer. Im Winter wurden die Finger zu klamm und steif für die Hunderttausende von feinen Stichen. Bis Sophie von Bodendike – Zeitgenossin und dynamische Widersacherin des bekennenden Ernst – eine Fußbodenheizung legen ließ und damit nicht nur für ein gesund-wohliges Klima, sondern auch für eine Verdoppelung des Outputs sorgte.

Die aufwendig gestalteten Tücher und Teppiche waren eine der Einkommensquellen der Klöster, aber es blieben genug für den Hausgebrauch zurück, um in Lüne und Wienhausen zwei der bedeutendsten Sammlungen religiöser Textilien zu bilden. Zu den Exponaten gehören auch die reich bestickten, weißen Tücher, mit denen der Gemeinde während der Fastenzeit der Blick auf den Altar verwehrt wurde und die darob gleichsam am Hungertuche nagte.

Der über die Jahrhunderte von den Stiftsdamen teils eingebrachte, teils geerbte Grundbesitz stellte das Hauptvermögen der Heideklöster dar. Herzog Ernst und seine Nachfolger werden in dieser Richtung durchaus Begehrlichkeiten empfunden haben, schreckten aber vor einer Auflösung der Klöster stets zurück. Man wollte es sich doch lieber nicht mit Dutzenden von adligen Familien verderben, die ihre „überzähligen“ und mangels Mitgift schwer vermittelbaren Töchter eigens in die Konvente gegeben hatten. Heute verwaltet die Klosterkammer des Landes Niedersachsen die immer noch beträchtlichen Werte. Einkaufen müssen sich die Damen – sie sind Witwen, geschieden oder allein stehend – nicht mehr. Ihren Unterhalt bestreiten sie selbst, sei es durch eine Rente oder eigenes Vermögen, und wohnen jede für sich in Dreizimmerwohnungen.

Über all diese Dinge geben sie ebenso bereitwillig wie souverän Auskunft und sind dabei alles andere als lebende Exponate oder Kuriositäten. Sie leben und pflegen eine Kultur und engagieren sich mit wissenschaftlicher Verve, etwa bei der Entzifferung und Abschrift des Notizbuchs einer Äbtissin aus dem Siebenjährigen Krieg, das in einem Winkel des Ebstorfer Archivs zu Tage gefördert wurde. Oder sie lassen sich mal eben die Kopie einer 20-bändigen mittelalterlichen Weltgeschichte kommen, um sie – auf Latein – mit der berühmten Ebstorfer Weltkarte zu vergleichen.

Das gut drei mal vier Meter große Prunkstück der christlichen Geografie aus dem 13. Jahrhundert wurde 1830 von einer Konventualin unter den Staubmassen der Klosterkeller wieder entdeckt. Und für so einmalig befunden, dass die Karte zur Ausstellung und Ablichtung in die Landeshauptstadt Hannover wanderte, dort gegen den Willen des Klosters blieb und 1943 im „bombensicheren“ Keller des Staatsarchivs prompt verbrannte. Zum Glück bewahrt Ebstorf eine der vier originalgetreuen Kopien auf Ziegenleder aus dem 19. Jahrhundert, die heute Besucher und Konventualinnen gleichermaßen fasziniert.

Trotz der nicht wenigen Besucher haben sich die Klöster ihre eigentümlich kraftvolle Ruhe bewahrt. Und jedes hat seine eigene Atmosphäre. Lüne: verwinkelt-romatisch mit einem Hauch Blankeneser Noblesse. Wienhausen: ein gotisches Schloss aus roten Ziegeln in einer grünen Niederung. Ebstorf: ein offener, großzügiger Gutshof. Am Ende haben die Besucher wahrgenommen, dass sie nicht durch eine beliebige historische Stätte, sondern durch etwas sehr Privates geführt wurden – durch ein Leben zwischen, aber nicht hinter Klostermauern.

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