: Wie frei ist freies Radio?
Im Freien Sender Kombinat gibt es Streit um Antisemitismus und Rassismus. Radio St. Paula setzt alle Sendungen im laufenden Monat aus und sendet stattdessen Stellungnahmen
Wer dieser Tage sein Radio auf 93,0 MHz einschaltet, kann nicht sichergehen, das angekündigte Programm zu hören. Nach wochenlangem Streit um Antisemitismus-Vorwürfe im Freien Sender Kombinat (FSK) hat die Redaktion Radio St. Paula jetzt aus Protest alle Sendungen für den laufenden Monat abgesetzt. Auch die Sendungen von Radyo Göçmen und Voz Latina sind seit Mitte Juli nicht mehr zu hören.
Durch die Struktur des Senders, so die Kritik der FrauenLesben-Radiogruppe St. Paula, seien die Konflikte nicht zu lösen. In der Stellungnahme, die statt der Sendungen ausgestrahlt wird, wirft Radio St. Paula Teilen der AnbieterInnengemeinschaft (ABG), dem höchsten Gremium des FSK, eine bewusste Eskalation der Auseinandersetzung vor. Seit drei Jahren würden „immer wieder dieselben Phänomene in nahezu denselben Konflikten reproduziert“. Die St. Paulas wollen sich „nicht auf eine der vermeintlichen Seiten stellen“. Sie sehen die Organisationsstruktur des FSK in Form der ABG „als gescheitert an“, da sie weder Konflikte konstruktiv lösen könne noch ein realistisches Abbild der FSK-Aktiven bilde. Denn Mitsprache hat nur, wer in einer der fünf Gruppen Mitglied ist, die die ABG bilden: Radio Loretta, Radio St. Paula, UniRadio/Academic Hardcore, Stadtteilradio sowie Forumradio. Doch viele Sendende beteiligen sich nicht, weil sie sich in keiner der Positionen wiederfinden. St. Paula hält die Mehrheitsbeschlüsse deshalb für „politisch und strukturell fragwürdig und unbrauchbar“.
Der Auslöser des aktuellen Antisemitismus-Streits war eine Sendung im April dieses Jahres von „ Afrika, Asien, Lateinamerika - Inkontakt“. Ein interviewter Palästinenser äußerte unter anderem, für ihn gebe „es keinen Unterschied zwischen den Kämpfen im Warschauer Ghetto damals gegen die Nazis und den Kämpfen in Djenin“. In ihrer Sitzung Anfang Juni beurteilte die ABG diese und weitere Äußerungen als antisemitisch. Sie beschloss eine vierwöchige Aussetzung der Sendung.
Am 13. Juni ging „Inkontakt“ trotz dieses Beschlusses über den Äther. Eine Woche später wollten FSK-Mitglieder durch eine Sitzblockade eine erneute Sendung verhindern. Als die „Inkontakt“-Redaktion sich Zutritt zum Studio verschaffen wollte, kam es zu einer Schlägerei, bei der die Sitzblockierenden als Rassisten beschimpft wurden. Daraufhin wurde auf der Juli-Sitzung der ABG ein endgültiges Sendeverbot für „Inkontakt“ beschlossen.
Zwei Sendungen von Forumradio – Radyo Göçmen und Voz Latina sahen sich daraufhin veranlasst, ihre Sendungen „aus Protest gegen den Rassismus im FSK“ auszusetzen, bis die ABG Sende- und Hausverbote aufhebe und eine öffentliche Diskussion über Rassismus stattfinde. Voz Latina sendet eine spanischsprachige Protestschleife, in der sie der ABG Zensur von Migrantenstimmen vorwirft.
Die von Radyo Göçmen und Voz Latina in einer Stellungnahme geäußerten Rassismus-Vorwürfe bezeichnen einige Mitglieder von Stadtteilradio, Academic Hardcore und Radio Loretta in einem Antwortpapier als „offenbar von einigen Missverständnissen“ ausgehend. Sie kritisieren die „Gegeneinanderstellung von Antisemitismus und Rassismus“. Statt sich mit dem Antisemitismus-Vorwurf inhaltlich auseinander zu setzen, würde jede Kritik „automatisch als rassistisch motiviert wahrgenommen und eine ‚Ungleichbehandlung‘ somit aktiv eingefordert“.
Für die St. Paulas ist diese Haltung ein Abtun von Rassismus-Vorwürfen. Sie machen einen „strukturellen Rassismus im FSK“ aus, der sich etwa in der Anzahl der stimmberechtigten Migranten in der ABG zeige.
Die Stellungnahmen sind unter fsk-hh.org/doc2index.html nachzulesen. BIRTE GOLDT
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