SPD-GENERALSEKRETÄR ZIEHT ANZEIGE GEGEN „BILD“ ZURÜCK
: Vergebliche Suche nach dem Feindbild

Herzlichen Glückwunsch, Franz Müntefering. Gut eine Woche nach der Strafanzeige gegen die Bild-Zeitung hat der SPD-Generalsekretär bewiesen, dass er dazulernen kann. Irgendwann in den letzten Tagen muss es ihm gedämmert haben, wie dumm es war, ausgerechnet kurz vor der Wahl einen juristisch aussichtslosen Kampf gegen die auflagenstärkste Zeitung der Republik zu starten.

Die verheerenden Folgen waren auch für den westfälischen Sturkopf nicht mehr zu übersehen: Statt über die gezielte Kampagne der Bild-Zeitung gegen rot-grüne Politiker wurde nur noch über den Angriff der SPD auf die Pressefreiheit geredet. Also versuchte Müntefering zu retten, was zu retten war – und zog die Anzeige zurück. Das verdient Respekt. Wer gesteht schon mitten im Wahlkampf ein, dass er einen Fehler begangen hat?

Ein Befreiungsschlag aber sieht anders aus. Müntefering ist allenfalls eine Notbremsung gelungen. Die Begründung für seinen Rückzieher ist genauso peinlich wie die Anzeige selbst. Weil die Lufthansa einen Mitarbeiter suspendierte, erklärt Müntefering die Vorwürfe gegen Bild für erledigt? Das ist absurd. Wenn es so schlimm war, dass Bild geheime Dokumente druckte, dann ändert sich daran nichts, nur weil die Lufthansa den Informanten rausschmeißt. Die plötzliche Wende zeigt nur die Hilflosigkeit eines SPD-Generalsekretärs, der vor vier Jahren als genialer Wahlkampfstratege galt.

Die Lobeshymnen waren schon damals übertrieben. Müntefering und seine Kampa nutzten nur die Wechselstimmung und machten einen Anti-Kohl-Wahlkampf. Das war einfach. Doch bei einer Regierungspartei überzeugt eine Antistrategie nicht. Das hat Müntefering nie kapiert. Statt den Amtsbonus des Bundeskanzlers zu nutzen und eigene Erfolge herauszustellen, verließ er sich ganz auf den vermeintlich rechtsextremen Gegner Stoiber, nahm die „Stoppt Strauß“-Parolen von 1980 zum Vorbild – und scheiterte. Dann rief er zum Kampf gegen „die Springer-Presse“ – vergeblich. Nun schlägt er den „deutschen Weg“ ein und präsentiert Amerika als Feindbild. Auch das wird nicht funktionieren. LUKAS WALLRAFF