Der Showeffekt reist mit

Umweltminister Jürgen Trittin hält sich im Hochwassergebiet mit Inszenierungen betont zurück. Die Fernsehkameras sind ohnehin immer dabei

aus Dresden HANNES KOCH

Wie viele Kamerateams passen in den Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes? In diesem Fall sind es drei, dazu einige Fotografen, Journalisten der schreibenden Zunft und Leute aus der Entourage des Bundesumweltministers. Start zum Hochwassereinsatz von Jürgen Trittin, schon zum zweiten Mal. Am Mittwoch hat der Grüne seinem Chef, Bundeskanzler Gerhard Schröder, bei der Flut in Dresden den Vortritt gelassen. Gestern flog der Umweltminister dann selbst hin. Heute kommt SPD-Verteidigungsminister Peter Struck.

Auf dem Rollfeld des Militärflugplatzes Dresden liegen auf Metallbahren weiß eingehüllte Kranke. 270 von ihnen werden aus Krankenhäusern, die vom Wasser bedroht sind, in andere Städte evakuiert und warten jetzt darauf, in den dunklen Bauch eines Militärtransporters geschoben zu werden. Der Umweltminister gibt den interessierten Fachmann. Er hält sich betont zurück. Keine Showtermine mit Schlauchboot vor aufgerissenen Hauswänden und verzweifelten Menschen, keine Fotos mit Gummistiefeln und Sandsäcken. Die Sache soll im Mittelpunkt stehen. „Gefahr und die Hilfe“, das soll die Botschaft sein. So folgt Besprechung auf Besprechung – mit der Einsatzleitung der Bundeswehr, mit Dresdens FDP-Oberbürgermeister Ingolf Roßberg, mit Sachsens CDU-Umweltminister Steffen Flath.

Letzterer hat ein besonderes Problem: 120 Kilometer die Elbe aufwärts sind in einer alten tschechischen Industrieanlage 250.000 Kilogramm quecksilberhaltiger Industrieabfälle nur durch eine Mauer vom Wasser der anschwellenden Elbe und Moldau getrennt. Wenige Zentimeter fehlen und die giftige Altlast wird in Richtung Dresden gespült. Diese Gefahr liefert den offiziellen Anlass für Trittins Reise.

Nicht ungelegen kommt es dem wahlkämpfenden Minister freilich, dass am Elbufer vor dem Gebäude der sächsischen Landesregierung neben den mitgereisten noch einige weitere Kamerateams stehen. Trittin spricht in die Mikrofone: „Im Augenblick können wir Entwarnung geben für die Chemiefabrik. Die Pegel von Moldau und Elbe sinken.“ Er sagt es immer wieder, gerne und in neuen Formulierungen. Und er stellt zusätzliche finanzielle Hilfen in Aussicht. Ein bisschen schade für ihn ist, dass es keinen Sinn hat, den mitgereisten Techniker des Umweltbundesamtes Wasserproben aus der Elbe ziehen zu lassen. Die Fabrik Spolana ist ja noch nicht überspült. Trittins Chemiekoffer bleibt im Laderaum des Bundeswehrjeeps.

Das Hochwasser bringt den grünen Minister – unvermeidlich – in einen Rollenkonflikt: zwischen dem verantwortungsbewussten Fachminister und dem Werber in eigener Sache. Denn das weiß auch JürgenTrittin: Der rot-grünen Bundesregierung konnte nichts Besseres passieren als ein fernsehverwertbares Großeignis mit gerechtfertigter Politikerpräsenz ein paar Wochen vor dem Wahltag. Die Bilder der Flut werden Trittin bis zum Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg begleiten. Diese Konferenz in Südafrika war ohnehin als Kernpunkt für die letzte Phase des Wahlkampfs eingeplant. Jetzt aber ist ihre Bedeutung für das mögliche politische Überleben der rot-grünen Regierung kaum zu unterschätzen.

Trittin konnte sich noch so sachbetont geben – die politische und imagemäßige Großwetterlage blieb gestern Sachsens CDU-Ministerpräsident Milbradt nicht verborgen. Als jener direkt vor Milbradts Amtssitz eine improvisierte Hochwasser-Pressekonferenz abspulte, schickte dieser den Chef der Sächsischen Staatskanzlei auf die Straße. Ungebeten stellte Stanislaw Tillich sich neben Trittin vor die Kameras und bezichtigte den Grünen, er habe die Entnahme von Wasserproben durch die Landesbehörden verhindern wollen. Später warf Milbradt der Konkurrenz aus Berlin vor, auf dem Rücken der Hochwasseropfer eine „PR-Aktion“ abzuhalten. Der Pfeil wurde nicht ganz unberechtigt abgeschossen, seinen Gegner getroffen hat er freilich nicht.