: Ein Denkmal der Inkompetenz
Weil Wales nun Autonomierechte genießt, muss ein richtiges Parlamentsgebäude her. Doch seit einem Jahr ruht die Arbeit und bisher existiert nur eine Baugrube. Der Hintergrund: ein heftiges Gerangel um Geld, Politik und Architekten
CARDIFF taz ■ Wer unabhängig sein will, benötigt ein Parlamentsgebäude. Das gilt auch für die Waliser, obwohl sich ihre Autonomie auf Nebensächlichkeiten beschränkt. Die walisische Volksvertretung nennt sich daher „Assembly“ – Versammlung. Sie kann walisische Kultur fördern, sie kann in walisischer Sprache tagen, und wenn es um walisische Belange geht bei Gesundheit, Umwelt, Transport und Bildung, kann sie auch Entscheidungen treffen, wenn die Londoner Regierung das zulässt.
Nach den Wahlen im Mai 1999 bildete die Labour Party eine Minderheitsregierung. Bereits sieben Monate zuvor hatte das Ministerium für Wales mit großem Getöse ein neues Gebäude für die „Assembly“ vorgestellt, das rechtzeitig zu den nächsten Wahlen 2003 fertig sein sollte. Eine Baugrube neben Crickhowell House am Hafen von Cardiff, wo die Volksvertreter vorübergehend untergebracht sind, wurde ausgehoben, und alles schien nach Plan zu verlaufen. Dann, im Juli letzten Jahres, kündigte man überraschend den Vertrag mit der Baufirma. Seitdem ruht die Arbeit.
Edwina Hart, die walisische Finanzministerin, die für das Bauprojekt zuständig ist, sagte, sie habe das Vertrauen in die Firma verloren, als sie feststellen musste, dass die mit 13,1 Millionen Pfund veranschlagten Baukosten am Ende bei mindestens 24 Millionen Pfund liegen würden. „Es ist besser, die Notbremse zu ziehen“, sagte Hart damals, „als vor einer ungewissen und möglicherweise sehr teuren Zukunft zu stehen. Das ist eben so, wenn man irgendeinen Handwerker oder irgendeine Baufirma beauftragt, und man kommt zu der Überzeugung, sie seien dem Job nicht gewachsen.“
Freilich handelt es sich nicht um irgendeine Baufirma, sondern um Richard Rogers Partnership (RRP), eins der berühmtesten Architektenbüros Großbritanniens. Das Unternehmen hat das Centre Pompidou in Paris und das Lloyds-Haus in London gebaut, den Gerichtshof in Bordeaux und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Das bekannteste Bauwerk des Firmenchefs Lord Rogers, der 1933 in Florenz geboren wurde, ist der Millennium Dome, die imposante Kuppel am Nullmeridian in London-Greenwich, die wegen ihres drögen Inhalts Bankrott gegangen ist.
Rogers sagt, er habe die walisische Versammlung mehrmals schriftlich gewarnt, dass die Bauauflagen zu einer Erhöhung der Kosten führen könnten. So sollte er walisisches Baumaterial – vor allem Schiefer und Holz – verwenden, damit das Gebäude am Ende walisisch aussehe. Wo Edwina Hart die konkreten Zahlen her habe, weiß er nicht. „Es wurde uns nie mitgeteilt, auf welchen Berechnungen die neuen Kostenschätzungen basieren“, sagt er, „und den Mitgliedern der Versammlung sagte man es auch nicht.“ In einem unabhängigen Gutachten bekam Rogers nicht nur Recht, sondern die Assembly-Beamten wurden darüber hinaus gerügt, weil sie die Umbaukosten für Crickhowell House nicht unter Kontrolle bekamen. Der Hintergrund des Streits um das Versammlungsgebäude hat jedoch weniger mit Kosten als mit Politik zu tun. Damals, als die Pläne aus der Taufe gehoben wurden, war Alun Michael dafür verantwortlich – zunächst als britischer Minister für Wales, dann als „First Secretary“, wie der walisische Premierminister offiziell bezeichnet wird. Michael war ein Zögling des britischen Premierministers Tony Blair, er wurde dem walisischen Labour-Bezirksverband von London aufgezwungen. Das ging nicht lange gut: Im April 2000 trat er zurück, um einem Misstrauensvotum zuvorzukommen. Man warf ihm Verschleuderung der EU-Zuschüsse vor. Sein Nachfolger Rhodri Morgan ist im Gegensatz zu Michael ein Gegner des neuen Parlamentsgebäudes.
Der Labour-Abgeordnete Huw Lewis sagt: „Sie haben ein Loch ausgehoben, und das war es. Es ist ein Denkmal für die Inkompetenz. Wir haben ja gar nicht die Situation wie in Schottland, wo die Kosten völlig aus dem Ruder gelaufen sind. Unser Parlament wird ja viel bescheidener. Die Entlassung von Lord Rogers war ein Fehler. Er ist ein Genie. Und wir werfen ihn hinaus.“ Paul Hyett, Präsident des Instituts britischer Architekten, der als Vermittler eingesetzt war, sagte resignierend: „Die Ahnungslosigkeit auf Seiten des Kunden ist schier unglaublich.“
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die walisischen Behörden mit der Architektenzunft angelegt haben. Das spektakuläre Cardiff-Opernhaus, entworfen von Zaha Hadid, und das außergewöhnliche Nationale Literaturzentrum der Architekten Alsop & Stormer wurden nie gebaut. Eins der wichtigsten Gebäude des 20. Jahrhunderts, die Fabrik Bryn-mawr aus den späten Vierzigerjahren, ein Symbol für den Kampf gegen Arbeitslosigkeit, ist dagegen demoliert worden.
Das walisische Versammlungsgebäude soll nach Harts Willen dennoch nach den Plänen von Rogers gebaut werden – aber nicht von Richard Rogers Partnership. Sie will das Projekt noch einmal ausschreiben. Der Auftrag soll entweder für einen Festpreis vergeben werden, oder die walisische Versammlung mietet das Gebäude von der Baufirma für 22 Jahre, bevor es in ihr Eigentum übergeht. Als Eröffnungstermin ist nun 2004 angepeilt. „Rogers kann uns gerne ein Angebot einreichen“, sagt Hart. Seine Pläne aber gehören der Assembly. Huw Lewis fragt: „Warum sollten sich andere bewerben, wenn uns Rogers nicht gut genug ist?“ RALF SOTSCHECK
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