: Oben buckeln, unten treten
Hartz und die Frauen, oder: Auf dem Weg in die autoritäre Gesellschaft
Da behaupte noch einer, die amtierende Bundesregierung, die sich am 22. September bei ihren mehrheitlich weiblichen Wählern um Bestätigung bewirbt, sei nicht an der Überwindung traditioneller Geschlechterrollen interessiert. Hat doch die Hartz-Kommission nach entsprechender Kritik brav ihre Wortwahl geändert. Nicht „Familienväter“ sollen nun bevorzugt vermittelt werden. Jetzt heißt es: „Arbeitslose, die besondere Verantwortung für abhängige betreuungsbedürftige Personen oder Familienangehörige tragen“. Schön.
Schließlich hat die amtierende Bundesregierung „Gender Mainstreaming“ zum durchgängigen Prinzip ihres Regierungshandelns in allen Politikfeldern erhoben. Gender Mainstreaming bedeutet nach der regierungsamtlichen Definition, „bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vorneherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt“ (www.gender-mainstreaming.net). Die Bundesregierung hat sich sogar per Kabinettsbeschluss zur „Verwirklichung von Geschlechterdemokratie“ verpflichtet.
„Alle gesellschaftlichen Vorhaben“, das wäre wohl auch die Reform der Arbeitsverwaltung gewesen. Ohnehin wurde von der Hartz-Kommission Innovation erwartet – was wäre also naheliegender, als Gender Mainstreaming zur Geltung kommen zu lassen? Die Fakten: Unter den 15 Mitgliedern der Kommission befindet sich eine Frau. Von Gender Mainstreaming ist in den Ausarbeitungen nicht einmal die Rede. Gerade mal die „Familienväter“ wurden geändert.
Nur: Wer sind „Arbeitslose, die besondere Verantwortung für abhängige betreuungsbedürftige Personen tragen“? Familienväter, Alleinerziehende auch. Und Mütter, deren Ehemänner arbeiten? Wer wird bevorzugt vermittelt, wenn beide Eltern in einer Familie arbeitslos sind? Die Frau? Der Mann? Beide?
Wenn die Hartz-Kommission eine Fehlinterpretation tatsächlich hätte ausschließen wollen, hätte sie dies vor dem Hintergrund der langen und fortwirkenden Diskriminierung von Frauen auf den Arbeitsmärkten sehr deutlich zum Ausdruck bringen müssen. Stattdessen widmet sie vielen Gruppen von Arbeitslosen ausführliche Beachtung; das Geschlechterproblem findet hingegen keinerlei Erwähnung – bis dahin, dass konsequent immer nur von männlichen Arbeitslosen und Arbeitnehmern die Rede ist.
Überhaupt liegt die Botschaft des Berichts zur Geschlechterfrage vor allem in dem, was nicht empfohlen wird. Peter Hartz wurde der Öffentlichkeit durch das so genannte VW-Modell bekannt: eine Arbeitszeitverkürzung zur Vermeidung von Massenentlassungen. Ein Modell, das gleichzeitig Menschen mehr Zeit zum Leben und Eltern mehr Zeit für ihre Kinder lässt. Die Kommission hätte an dieses Modell anknüpfen können. Etwa indem sie eine besondere Förderung von Arbeitszeitverkürzungen in Klein- und Mittelbetrieben aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung vorschlägt. Doch sie konzentriert sich ganz auf Leiharbeit, Ich-AGs und Minijobs, also Beschäftigungsformen im Niedriglohnsektor. Auch die Art der Förderung von Minijobs in Privathaushalten geht zu Lasten der dort arbeitenden Frauen. Ihnen wird der Status der „Zuverdienerin“ zugewiesen. Längst liegen Konzepte für Dienstleistungsagenturen vor, die Haushalte beliefern und dafür Angestellte beschäftigen. Frauenverbände empfahlen sie der Kommission – ohne Wirkung.
Sie hätte, wenn es ihr wirklich um Arbeitsplätze auch für arbeitslose Frauen gegangen wäre, eine familienfreundliche Personalpolitik anregen können. Beschäftigungsbilanzen werden von der Kommission zwar vorgeschlagen, aber ohne die Frage geschlechterdemokratischer Personalentwicklung.
Die personelle Besetzung der Hartz-Kommission als „Gruppenbild mit Dame“ ist Ausdruck ihrer wirtschaftsdominierten Ausrichtung: Im Vergleich zu den Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden ist sogar das „Arbeitnehmerpatriarchat“ Gewerkschaft geradezu eine Avantgarde der Geschlechterdemokratie. Die Repräsentation der Gewerkschaften im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit ist eine Domäne von Gewerkschaftsfrauen – auch weil der männlich dominierte Funktionärskörper der Gewerkschaften Arbeitslosigkeit nicht als gewerkschaftliche Kernaufgabe ansieht. Die Entmachtung der Gewerkschaften in der Arbeitsmarktpolitik bedeutet nicht nur die Machtübernahme durch die Wirtschaft, sondern auch die Verdrängung von Frauen aus einem Politikfeld, in dem sie sich einen vergleichsweise hohen Einfluss verschafft hatten.
Nicht nur die personelle Besetzung der Hartz-Kommission, auch deren Konzept zur Reform der Arbeitslosenversicherung hat eine Tendenz zur Enteignung. Sie verbirgt sich unter harmlosen Etiketten wie „Doppelter Kundenauftrag: Arbeitssuchende und Arbeitgeber“. Die Arbeitslosenversicherung ist nicht mehr eine Sozialversicherung, sondern ein finanzieller und personeller Pool, auf den die Arbeitgeber den gleichen Zugriff haben wie diejenigen, die diesen Pool mit ihren Lohnabzügen speisen. Zudem hat dieser „Kundenauftrag“ eine höchst merkwürdige Form. Den Arbeitssuchenden gegenüber präsentiert er sich durch Disziplinierung, Drohung, Auflagen und Zwang. Den Arbeitgebern hingegen präsentiert er sich höflich und zuvorkommend: Er enthält weder eine Meldepflicht für offene Stellen noch andere einklagbare Verpflichtungen. Und nicht nur das: Unter neuen Vokabeln offeriert die Kommission genau das, was die Arbeitgeber seit langem fordern, einen Niedriglohnsektor mit minderen sozialen Rechten. Aus dem können sie sich nicht nur mit Arbeit zum Billigtarif versorgen – er wird ihnen auch noch aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung finanziert.
Die Protagonisten der Hartz’schen Wende am Arbeitsmarkt betonen die revolutionäre Substanz des Gesamtkonzepts, die nicht mit Detailkritik an einzelnen Komponenten zerredet werden dürfe. Was die Kommission annähernd der Hälfte derjenigen, die Beiträge an die Arbeitslosenversicherung entrichten, und auch annähernd der Hälfte der Arbeitslosen zu bieten hat, ist kein Detail. Aber mit einem nachholenden Gender Mainstreaming ist es bei diesem Kommissionsbericht nicht getan. Denn in seiner Gesamtheit hat er die Tendenz nicht nur zur Frauenfeindlichkeit, sondern zu einer autoritären Gesellschaft, die nach unten tritt und nach oben buckelt. Zwischen Androzentrismus und Autoritarismus besteht seit jeher ein enger Zusammenhang. Deshalb ist die Frauenfrage ein empfindlicher Seismograf für den Fortschritt oder den Rückschritt einer Gesellschaft im Bewusstsein der Freiheit. Charles Fourier und August Bebel war das noch klar – Gerhard Schröder allem Anschein nach nicht mehr.INGRID KURZ-SCHERF
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