: Chirac: Irakkrieg nur mit uns
Frankreichs Präsident verurteilt Unilateralismus der USA und schlägt neue Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zu Waffeninspektionen vor. Friedensforscher zweifelt an Prognosen über irakische Fähigkeit zum Bau von Atombomben
BERLIN taz ■ „Einige Pinzipien und ein wenig Ordnung sind schon notwendig, um die Angelegenheiten der Welt zu lenken“, mahnte der französiche Staatspräsident mit Blick auf seinen Kollegen in Washington. Er habe große Bedenken gegen die US-Doktrin eines Präventivkrieges, sagte Jacques Chirac in einem Interview mit der New York Times.
„Sobald ein Land das Recht auf präventive Aktionen in Anspruch nimmt, werden andere Länder natürlich das Gleiche tun.“ Man solle sich nur vorstellen, China wolle einen Präventivkrieg gegen Taiwan führen oder Indien entscheide sich für eine präventive Aktion gegen Pakistan. Zudem habe der Sicherheitsrat „niemals das Regime in Bagdad auswechseln wollen“. Das könne man zwar wünschen, Ziel könne es aber nur sein, dass die Inspekteure „frei und ohne jede Einschränkungen und Bedingungen“ im Irak arbeiteten. Wegen dessen Forderung nach einem „Regimewechsel“ griff Chirac in undiplomatischer Weise Bushs Vize Dick Cheney an.
Chirac machte aber deutlich, dass sich die Kritik seiner Regierung allein gegen einen Alleingang der USA und Großbritanniens richtet. Daher schlägt der französische Präsident vor, dem Irak in einer ersten UN-Resolution zunächst ein Ultimatum zu stellen und mit einer zweiten Resolution ein militärisches Vorgehen zu legitimieren. Angaben zu den Bedingungen, unter denen die Inspektionen stattfinden sollen, und über die Rechte der Inspekteure machte Chirac nicht.
Eine große Sorge mache ihm der Unilateralismus der USA, der in der „modernen Welt“ keinen Platz habe. Deshalb müsse der Sicherheitsrat die Federführung haben. Eingerahmt in die harsche Rhetorik gegen die US-Politik deutete Chirac damit erstmals an, dass er die Zurückhaltung gegenüber den Plänen der USA aufgegeben hat. Zwar sagte er eine Beteiligung Frankreichs an einem Krieg nicht definitiv zu, aber er distanzierte sich explizit von der Position des Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Der hatte gestern erneut eine Beteiligung Deutschlands an einem Angriff auch für den Fall einer entsprechenden Resolution des UN-Sicherheitsrates ausgeschlossen.
Zu den Behauptungen von Präsident George W. Bush und Premierminister Tony Blair, der Irak stehe kurz vor der Produktion einer Atombombe, äußerte sich Chirac nicht. Das Londoner Institut für Strategische Studien (IISS) hält es in einem gestern bekannt gewordenen Bericht für möglich, dass der Irak „innerhalb von Monaten“ eine Atombombe bauen könne – knüpfte die Prognose allerdings an eine Bedingung: Bagdad müsse das dazu notwendige spaltbare Material – also hoch angereichertes Uran oder Plutonium – geliefert bekommen.
Der Leiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) zweifelte gestern gegenüber der taz an der Aussagekraft des IISS-Berichts. „Er sagt nichts, was man nicht schon gewusst hat“, so Harald Müller. Der Irak habe Vorkenntnisse auf dem Gebiet der Atomwaffenentwicklung. Außerdem gebe es den Verdacht, dass es den Prototyp einer Bombe gegeben habe. Der Bericht des IISS lasse jedoch die entscheidende Frage außen vor: „Das big if ist das Vorhandensein von Spaltmaterial auf schwarzen Märkten.“ Es gebe keinen Anhaltspunkt, dass der Irak darauf Zugriff habe. Prognosen des US-Verteidigungsministeriums und des Bundesnachrichtendienstes aus dem vergangeen Jahr gingen von Vorlaufzeiten für den Bau einer irakischen Atombombe von drei bis sechs Jahren aus.
Gestern griffen US-amerikanische und britische Flugzeuge erneut Abwehrstellung im Süden des Irak an. Wie das „Central Command“ der US-Streitkräfte in Florida mitteilte, lagen die Ziele 275 Kilometer südöstlich von Bagdad. ERIC CHAUVISTRÉ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen