Nichts ist mehr so, wie es war

Gleich nach den Attentaten in Amerika vor einem Jahr sagten kluge Köpfe voraus: Nun werde sich unser aller Leben völlig verändern – selbst hier weit weg, in Berlin. Die Prognose war für die meisten übertrieben. Für manche Berliner jedoch nicht

Imam Mohammed Herzog hat den 11. September nicht vergessen. Der Tag, an dem die Türme des WTC zusammenbrachen, war sein 57. Geburtstag. Dann kamen die Journalisten. „Drei Tage lange haben die Kamerateams hier Schlange gestanden“, erzählt Herzog. Als Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime war er ein gefragter Gesprächspartner. Das gab ihm Gelegenheit, über sein Islambild zu sprechen: „Die Leute wissen sehr wenig über unsere Religion. Sie fordert uns nicht auf, Terror zu verüben.“

Mit der Bekanntheit kamen auch die anonymen Morddrohungen – von muslimischer Seite, so vermutete er. Herzog erstattete Anzeige. Die Polizei überwachte sein Telefon, stellte Personenschützer. Ohne Ergebnis. Bei Herzog blieb es bei verbaler Gewalt, doch Mitglieder seiner Gemeinde wurden auf der Straße angegriffen: „Frauen mit Kopftüchern wurden belästigt.“ Dass Herzog nicht angegriffen wurde, mag an seiner deutschen Herkunft liegen. Vor 23 Jahren ist er zum Islam übergetreten.

Trotzdem ging Herzog in den Wochen nach dem 11. September nur mit Bodyguards auf die Straße. Heute wird er nur noch bei besonders exponierten Auftritten bewacht – zuletzt bei einer Veranstaltung mit den Berliner Bischöfen beider christlicher Konfessionen während des Bush-Besuchs. „Die Religionen sind enger zusammengekommen, man spricht auch mehr über Religion“, lautet Herzogs – trotz allem – positives Fazit. Denn er ist überzeugt: Religion ist nicht Ursache der Gewalt, sondern deren Gegenmittel. JTG

Jasmin Shakeri-Nejad ist ratlos. „Am meisten wurmt mich, dass mir das alles mit einem deutschen Pass erspart geblieben wäre.“ Die Arroganz des US-Konsulats macht sie fassungslos. „Das ist nach dem 11. September noch schlimmer geworden“, sagt die 23-jährige Nordamerikanistik-Studentin. Am 23. August hätte die Iranerin damit beginnen können, an der Clark University in Worcester, Massachussetts, ihren Master zu machen. Mit einem Stipendium, das ihr 25.000 Dollar Studiengebühren erlässt. Doch das Konsulat in Berlin verwehrt ihr die Einreise.

Die Antragstellerin sei nicht in der Lage, „ihre familiären, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen zu ihrem Wohnsitz Deutschland ausreichend nachzuweisen“, heißt es in einem Standardschreiben. Das erhielt sie erst auf Nachfrage, vier Tage vor der Abreise. Jasmin ist in den vergangenen Jahren sechsmal in die USA eingereist, um Verwandte zu besuchen. Ohne Probleme.

Viele helfen Jasmin: Ihr Professor schreibt einen Brief an Botschafter Coats, in dem er ihr nach ihrer Rückkehr eine mögliche Anstellung am Institut in Aussicht stellt. Vater und Bruder bekräftigen ihre finanzielle Unterstützung. Jasmins Freund Karl war im Frühjahr Praktikant eines demokratischen Kongressabgeordneten. In einem Brief bittet dieser Politiker das Konsulat um eine Prüfung des Falls. Erfolglos. Jasmin schreibt am Ende eines weiteren langen Briefs: „Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie sehr mir dieses Stipendium am Herzen liegt und welcher Arbeitsaufwand damit verbunden war. Bitte lassen Sie es nicht an meiner iranischen Nationalität scheitern.“

Die gebürtige Berlinerin trägt lange, offene Haare, Ohrringe und Lippenstift. Genau wie ihre Eltern ist sie nicht religiös. Trotzdem habe sie einen besonderen Bezug zur Sprache und Kultur ihres Landes. Ihr Studium am John-F.-Kennedy-Institut begründet sie mit „einem krassen Interesse, zu wissen, wo die Faszination Amerika liegt“. Nach ihrem Studium könnte Jasmin sich vorstellen, im diplomatischen Dienst zu arbeiten. Ihr Erlebnis hat diesen Wunsch gebremst. Eine Folge des 11. September – einen anderen Grund für die Ablehung ihres Visumsantrags kann sie nicht finden. Wie es weitergeht, weiß sie nicht: „Wenn dir jemand Steine in den Weg legt, da geht eine Alarmlampe an in deinem Kopf.“ ZEL

Abdel Amine M. lebt seit drei Jahren in einer Flüchtlingsunterkunft in Rathenow. Der 27-Jährige aus Togo ist Muslim. Da es in Rathenow keine Moschee gibt, muss er jeden Freitag nach Berlin. Doch seit dem 11. September werde ihm der Moscheebesuch von der Ausländerbehörde erschwert, ärgert sich Amine M.

„Zuerst hieß es, das Amt könne die Fahrtkosten nicht mehr bezahlen, da 100 Personen zur Moschee fahren. Wir haben dann eine Liste mit allen Namen gemacht“, erzählt Amine M. „Nur 17 Personen wollten dann tatsächlich zum Freitagsgebet fahren. Trotzdem mussten wir die Fahrkarten selbst bezahlen.“ Kurze Zeit später sollten die Gottesdienstgänger nach jedem Besuch einen Stempel von der Moschee vorweisen. „Ende Januar dann wurde mir mitgeteilt, dass ich eine Fahrkarte vorweisen muss, um den Urlaubsschein zu bekommen“, sagt Amine M. Zwar gebe es auch in Rathenow einen Gebetsraum. Das Freitagsgebet könne dort aber nicht abgehalten werden. „Nach den islamischen Prinzipien braucht man eine Mindestpersonenzahl für die Freitagszeremonie, daher müssen wir uns einer größeren Moschee anschließen.“

Für Amine M. steht fest, dass die Verweigerung der Urlaubsscheine auf Vorgaben vom Innenministerium zurückgeht. Regelungen, die nach dem 11. September getroffen wurden. Schon im Oktober habe ihm die Heimleitung mitgeteilt, dass das Heim wegen des 11. September stärker überwacht werde. „Tatsächlich sind dann Briefe immer häufiger geöffnet bei uns Bewohnern angekommen. Auch die Zimmer wurden durchsucht“, erzählt Amine M. TIL

Anes Sabitovic arbeitete vor einem Jahr als fest angestellter Webdesigner in einer kleinen Multimedia-Agentur. Als die Flugzeuge ins World Trade Center rasten, konnte er am Bildschirm verfolgen, wie die Datenübertragungsraten langsamer wurden. „Aufgrund der großen Zugriffe waren die Server ausgelastet.“

Seitdem hat sich vieles verändert für den 29-jährigen Bosnier. Die Rezession fegte auch die kleine Multimedia-Agentur hinweg. Jetzt ist Sabitovic Freelancer. Nicht nur beruflich, auch in seinem religiösen Alltag nimmt der Muslim eine Unsicherheit wahr: „Wenn man ‚Muslim‘ hört, denkt man sofort an ‚Ausländer‘. Besonders nach dem 11. 9. werden Muslime abseits geschoben.“ Ob auf Titelseiten des Spiegels oder im Laufband bei n-tv, die Berichterstattung über Muslime benutze eine undifferenzierte Sichtweise. Sabitovic kämpft für Anerkennung, „um normal leben zu können“. Deshalb engagiert er sich im christlich-islamischen Dialog an der Katholischen Akademie. Die hatte ihn nach den Anschlägen vor einem Jahr eingeladen.

Als Kriegsflüchtling hat er Erfahrung mit dem „Kampf der Kulturen“. Seine Heimat in Bosnien-Herzegowina verließ er 1992. Als Orthodoxe, Katholiken und Muslime begannen, sich dort die Köpfe einzuschlagen.

Deutschland ist der studierte Musikpädagoge dankbar. Für seine Zeit an der Uni und die Arbeit, die er hier leisten konnte. „Leider sehe ich Tendenzen in der Sicherheits- und Ausländerpolitik, deren Folgen ich nicht abschätzen kann. Anes Sabitovic schaut gequält: „Allgemein hat es sich verschlechtert.“ ZEL